Eine Frau räumt in einer schmalen Küche den Geschirrspüler ein

"Equal Care Day" Neue Arbeitswelt, alte Rollenbilder

Stand: 29.02.2024 06:30 Uhr

Haushalt, Kinderbetreuung, Pflege Angehöriger: Frauen leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Das hat nicht nur Folgen für ihre Rente, sondern auch für den Arbeitsmarkt. Was können Männer für den Wandel tun?

Die Einsicht, dass seine Frau mehr leistet als er, sei ihm in der Corona-Pandemie gekommen, sagt Michel Rothgaenger. Vorher habe der Vater zweier Kinder ein klassisches Familienbild gelebt: "Man geht als Mann halt arbeiten, hat wichtige Termine und dann kommt man ab und an zu seiner Familie zurück."

Als im Lockdown sowohl er als auch seine Frau Stefanie Salomon, beide Führungskräfte, von zu Hause arbeiten mussten und zugleich niemand sonst ihre beiden Söhne betreuen konnte, merkte der Logistik-Personalberater, "dass das überhaupt nicht fair ist": zu erwarten, dass sie den Familienalltag koordiniert und stemmt, während sie außerdem im Job genauso gefordert ist wie er.

Equal Care Day ruft zu mehr Gleichberechtigung in Lohn- und Familienarbeit auf

Jasper Steinlein, NDR, Morgenmagazin, 28.02.2024 06:00 Uhr

Jeden Tag 77 Minuten mehr

Die Lösung für das Ehepaar: Sie teilen jeden Tag in Sechs-Stunden-Schichten auf. Sitzt der eine am Schreibtisch, betreut der andere die Kinder, kocht, wäscht und putzt - care work oder Sorgearbeit heißen diese Aufgaben.

In Deutschland werden sie überwiegend von Frauen übernommen: Nach Zahlen des Bundesfamilienministeriums wenden sie in der Woche knapp 30 Stunden dafür auf, für andere zu sorgen - Männer dagegen nur 21 Stunden wöchentlich. Das sind täglich 77 Minuten Unterschied.

Geld oder einen Verdienstausgleich erhalten sie dafür meist nicht, zugleich bleibt ihnen weniger Zeit für Erwerbstätigkeit oder um sich auszuruhen. Die Folgen: Frauen beziehen im Lauf ihres Berufslebens weniger Einkommen - und danach weniger Rente.

In "heterosexuellen Paarhaushalten mit Kindern", wie das Ministerium eine klassische Familie nennt, ist die Divergenz demnach besonders groß: "Während Väter mehr Erwerbsarbeit leisten als Männer ohne Kinder, leisten insbesondere die Mütter kleiner Kinder weniger Erwerbsarbeit als Frauen ohne Kinder im Haushalt", stellt die jüngst erschienene Zeitverwendungserhebung fest. An diesem Modell habe sich seit zehn Jahren wenig getan.

Aktionstag "Equal Care Day"

Nicht nur Michel Rothgaenger findet das unfair. Mit dem "Equal Care Day", den das aktivistische Paar Almut Schnerring und Sascha Verlan erfand, wollen sie und andere engagierte Personen und Gruppen auf die Ungleichverteilung von Sorgearbeit aufmerksam machen. Um das Anliegen greifbar zu machen, riefen sie den 29. Februar zum Aktionstag aus - ein in drei von vier Jahren unsichtbarer Tag, der symbolisieren soll, wie die zusätzliche Arbeitslast meist ohne Beachtung übergangen wird.

"Es bedarf eines grundsätzlichen Wandels beim Heranwachsen, dass auch Jungen dazu erzogen werden, Sorgeaufgaben zu übernehmen und später als Mann reflektieren: Wie lebe ich meine Beziehungen? Wie übernehme ich da Verantwortung?", beschreibt Verlan, der Vater dreier Kinder ist. Er schränkt ein: "Wir werden diese Herausforderung auf der individuellen Ebene nicht lösen können."

"Als selbstverständlich vorausgesetzt"

Anja Weusthoff vom Bündnis Sorgearbeit Fair Teilen, einem vom Deutschen Frauenrat getragenen Dachverband sozialer Vereine, sieht die Bundesregierung in der Pflicht: "Dazu bedarf es guter Rahmenbedingungen, die durch politische Weichenstellung gestaltet werden."

Als Beispiele nennt sie gleichstellungspolitische Vorhaben: "Die zweiwöchige bezahlte Freistellung für Väter und zweite Elternteile nach der Geburt eines Kindes, den Ausbau der nicht übertragbaren Elterngeldmonate und die Lohnersatzleistung für Pflegezeiten."

Instrumente, die Equal-Care-Day-Miterfinder Sascha Verlan hilfreich, aber nicht ausreichend findet. "Was mir in der Diskussion oft fehlt, ist der ganze wirtschaftliche Bereich: Wie sehr Unternehmen davon profitieren, dass Sorgearbeit als selbstverständlich vorausgesetzt und somit ausgebeutet wird", sagt er.

Sogenanntes Humankapital an Fachkräften und gut ausgebildeten Erwerbstätigen falle nicht einfach "vom Himmel", sondern sei das Ergebnis jahrelanger Erziehung und Bildung - also der Zuwendung und Anstrengung, die Eltern, Erzieherinnen oder Lehrerinnen kostenlos oder gering bezahlt erbracht haben. Verlan fordert deshalb ein grundsätzliches Umdenken in der Art, wie ökonomische und gesellschaftliche Strukturen organisiert sind.

Arbeit gerecht aufteilen - nur wie?

So weit gehen längst nicht alle, die sich für "Equal Care" einsetzen. Aber sie sind sich einig: Schon vermeintlich kleine Veränderungen im Alltag machen einen großen Unterschied. Denn da ist noch der "Mental Load": die Aufgabe, als Schaltzentrale der Familie jederzeit an alles zu denken. Die Initiative Equal Care von Schnerring und Verlan hat auf ihrer Webseite ein Quiz veröffentlicht, das "Sorgemeinschaften" - also Paaren und Familien - helfen soll zu erkennen, wie diese Arbeitslast bei ihnen verteilt ist.

Michel Rothgaenger und Stefanie Salomon leben ihren zwei Söhnen vor, dass die Termine von Vater und Mutter gleich wichtig sind: Inzwischen teilen sie Lohn- und Sorgearbeit im tageweisen Wechsel auf.

Wer einen "kurzen Tag" hat, arbeitet fünf Stunden im Büro und versorgt danach Kinder und Haushalt; darauf folgt ein "langer Tag" von acht Stunden Job. Tauschen und Einspringen sind möglich, indem die beiden ihre Kalender vergleichen. "Wer an dem Tag weniger Termine hat, hat gewonnen", sagt Rothgaenger - will heißen: übernimmt die Sorgearbeit.

Umdenken in Firmen

Auch in seinem Betrieb setzt der Personalberater in der Logistikbranche neue Standards, indem er ohne zu zögern Mütter einstellt und Alleinerziehende ausbildet - die seien besonders gut organisiert, ist seine Erfahrung. Es komme immer noch vor, dass eine Firma ihm die Vorgabe mache: Bitte keine Frauen!

"Da steuern wir dann sehr stark gegen, dass wir dann nur Frauen vorschlagen und sie so ein bisschen zwingen, Frauen einzustellen", sagt Rothgaenger. "Das klappt ganz gut."

Aber vor allem müssten Firmen verstehen, dass sie damit nicht Sozialdienst leisten, sondern einen wirtschaftlichen Vorteil haben: Denn wer sich aus alten Mustern von Arbeitszeiten und Geschlechterrollen löst, hat am Ende mehr Fachkräfte zur Auswahl.