
Al-Hol-Camp in Nordsyrien "Wir wollen zurück zum IS"
Stand: 22.09.2019 16:40 Uhr
Tausende IS-Anhänger leben in dem Flüchtlingslager Al-Hol in Nordsyrien. Dort erlebt die Terrormiliz IS ein Comeback. Die Ideologie wird gelebt und an die Kinder weitergegeben.
Von Daniel Hechler, ARD-Studio Kairo.
Sie heben den Zeigefinger zur Begrüßung: Kinder zwischen acht und zwölf Jahren, die unter der Terrormiliz IS groß geworden sind. Sie haben Gräueltaten gesehen und den Krieg überlebt. Nun sind sie im Al-Hol-Camp gestrandet, einem Flüchtlingslager in Nordsyrien. Warum machen sie diese Geste? Die Antwort schockiert: "Wir wollen zurück zum 'Islamischen Staat'", sagt Thaker. "Da war es besser als hier". Abdul ergänzt: "Am besten war, dass ich dort zur Schule gehen konnte und dass wir den Dschihad hatten."
Folter und Hinrichtungen haben sie selbst gesehen, erzählen sie und finden das auch in Ordnung: "Wenn sie ungläubig waren oder gegen die Religion verstoßen haben, sollten unsere Brüder im 'Islamischen Staat' sie auch töten", sagt Abdul ohne jedes Mitgefühl.
Flüchtlingslager Al-Hol in Syrien: Sorgen vor radikalen IS-Anhängern
tagesschau 20:00 Uhr, 22.09.2019, Daniel Hechler, ARD Kairo, zzt. Al-Hol
Sie hoffen, dass der IS zurückkommt
In dem Camp leben 71.000 Menschen dicht gedrängt, meistens Frauen und Kinder. Die Hygiene ist katastrophal, die medizinische Versorgung ist minimal. Allein in diesem Jahr sind mehr als 300 Kinder an Mangelernährung und Infektionen gestorben. Die Menschen hier haben Jahre unter dem sogenannten Islamischen Staat verbracht.
Mit seinem Niedergang fielen sie kurdischen Kämpfern in die Hände und gerieten in Gefangenschaft. Viele hängen der Terrormiliz noch immer nach. "Wir hoffen, dass IS zurückkommt. Wir glauben, dass sie auf dem richtigen Weg sind", sagt eine vollverschleierte Frau. "Ich gehöre dem IS an. Dafür habe ich mich entschieden. Und das ist meine Überzeugung. Ist das falsch?", fragt eine andere.
Auslandstrakt: Folter und Mord
Die radikalsten IS-Anhänger sind in einem bewachten Trakt eingesperrt. Dabei sind 10.000 Frauen und Kinder aus dem Ausland, darunter etwa 100 Deutsche. Ausländische IS-Anhänger gelten als besonders radikal. Fanatiker haben in dem Trakt das Sagen. Immer wieder gibt es Gewaltexzesse gegen vermeintlich Ungläubige, Folter und Mord.
Journalisten erhalten nur äußerst selten Zutritt. Erst kürzlich war eine schwangere Indonesierin zu Tode gefoltert worden, weil sie mit westlichen Medien sprach. Kaum jemand will mit dem ARD-Team reden. "Haut ab, Ihr seid Hunde. Was habt Ihr hier verloren?", ruft eine Frau und verschwindet in ihrer Baracke.
"Wir wissen nicht, wann alles in die Luft fliegt"
95 Prozent der Bewohner dieses Trakts seien immer noch glühende Anhänger des IS, sagt Lawand Yousef Ali, der Polizeichef des Camps. Nur etwa fünf Prozent hätten ihre Einstellung ein wenig geändert. Sie müssten fürchten, dass ihre Zelte niedergebrannt, ihre Kinder umgebracht werden. Die kurdische Verwaltung ist hoffnungslos überfordert. Sie bittet Länder wie Deutschland darum, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen.
Am dringendsten brauchen sie Hilfe, um die radikalen Islamisten besser zu bewachen und um vor allem die Kinder besser betreuen zu können: "Wir wissen nicht, wann alles in die Luft fliegt", sagt der Polizeichef. "Wir tun unsere Pflicht, aber wir wissen nie, wann die Situation außer Kontrolle gerät." Einige Tage zuvor habe ein Bewohner des Camps bei den Sicherheitskräften gestanden. Sie hätten ihn daraufhin geschlagen und ihm in die Kehle gestochen. Vor ein paar Tagen hätten sie jemanden umgebracht. Einem Kameraden wurde in den Rücken gestochen, erzählt er.
IS-Anhänger radikalisieren sich
Während einige den IS schon abgeschrieben haben, scheint er hier seine Wiedergeburt zu erleben. IS-Anhänger radikalisieren sich, Kinder werden auf den IS eingeschworen, statt zur Schule zu gehen. Irgendwann einmal sollen sie in den "Heiligen Krieg" ziehen. Die Kurden hoffen, dass die Welt sie damit nicht allein lässt.
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