Streikende laufen während eines Warnstreiks von Verdi durch das Terminal 1 des BER-Flughafen (Archivbild).

Drohende Streiks an Flughäfen Wie die EU-Kommission das Chaos abwenden will

Stand: 29.04.2023 08:06 Uhr

Europas Himmel ist ein Flickenteppich aus vielen Regelungen. Streiks in einem Land können zu Ausfällen in anderen führen. Die EU-Kommission sucht Lösungen, um Überflüge auch bei Streiks zu garantieren.

Allein bei Ryanair wurden in den ersten drei Monaten dieses Jahres wegen Streiks der französischen Flugsicherung die Flüge von mehr als 600.000 Passagieren gestrichen. Die irische Airline startete daraufhin eine offizielle Petition an die EU-Kommission, die künftig verhindern solle, dass der EU-Luftraum geschlossen wird.

Auch für den FDP-Europaparlamentarier Jan-Christoph Oetjen, Vizechef im Verkehrsausschuss des EU-Parlaments, ist das eine Problematik, die endlich gelöst werden müsse. "Allerdings ersetzt eine Petition natürlich nicht ein Gesetzgebungsverfahren", stellt er klar.

Insofern würden die Abgeordneten im Europäischen Parlament versuchen, eine Lösung für dieses Problem zu finden. "Dabei ist es technisch überhaupt kein Problem, dass beispielsweise ein deutscher Fluglotse nach einem Start eines Flugzeugs in Deutschland dieses Flugzeug begleitet über den französischen Luftraum hinweg bis nach Spanien, bis zum Urlaubsziel."

Euro Control hat nur ein beschränktes Mandat

Allerdings ist Europas Himmel ein Flickenteppich aus vielen nationalen Regelungen. So gibt es zwar die Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Euro Control), doch ist deren Mandat beschränkt, erklärt der EU- Abgeordnete Jens Gieseke. Der CDU-Politiker sitzt ebenfalls als stellvertretender Vorsitzender im Verkehrsausschuss des EU-Parlaments.

"Für die Regelung von Überflügen sind innerhalb der nationalen Grenzen die jeweiligen Mitgliedsstaaten zuständig", sagt er. Euro Control als europäische Flugsicherungsorganisation habe zwar eine koordinierende Funktion, aber keine direkten Eingriffsmöglichkeiten. Euro Control könnte Überflüge höchstens über die jeweiligen Netzwerkmanager an den bestreikten Ländern vorbei leiten. "Das gilt aber nur für Einzelfälle."

EU-Kommission hat einen Vorschlag erarbeitet

Die Flugsicherungsorganisation kann damit keine Lösung des Problems sein. Denn es müsse darum gehen, auch im Falle von Streiks eine hundertprozentige Kontinuität des Überflugbetriebs zu gewährleisten, wie die EU-Kommission auf Anfrage schriftlich mitteilt.

Die Behörde lässt demnach wissen, dass sie einen Vorschlag vorgelegt habe, um die Auswirkungen auf das europäische Flugverkehrsnetz zu verringern. Zwischen Rat und Parlament werde derzeit darüber verhandelt. "Ziel ist, die Zahl der Flugausfälle bei Streiks zu verringern", heißt es in der Antwort.

Der Vorschlag sehe unter anderem Maßnahmen wie die Bereitstellung von Daten vor, damit die Flugsicherungen anderer Länder in diesem Fall die erforderlichen Dienste übernehmen könnten. So sollten die Annullierungen von Flügen oder die Umleitungen des Luftverkehrs verhindert werden.

Viele EU-Staaten wollen Kompetenzen nicht abtreten

Solch eine Mindestdienstleistungsvereinbarung ist allerdings nicht in Sicht. Da müsse man realistisch sein, meint CDU-Verkehrsexperte Gieseke: "Das von Ryanair geforderte, auf ganz Europa bezogene, Minimum Service Level Agreement bei Streiks zur Gewährleistung von Überflügen ist nicht durchsetzbar." Streiks in der Luftsicherheit würden dem jeweils national geltenden Streikrecht obliegen. "Die Europäische Kommission kann und sollte hier nicht in nationale Zuständigkeiten eingreifen."

Hauptproblem ist, dass viele EU-Mitgliedsstaaten auch im Bereich Luftverkehr wenig Lust haben, Kompetenzen an die EU abzutreten. Deshalb kommen auch die Verhandlungen über den seit 2013 auf dem Tisch liegenden Vorschlag für einen einheitlichen europäischen Luftraum kaum voran. Dabei würde der nicht zuletzt zu kürzeren Flugrouten und damit auch zu deutlich weniger Schadstoffausstoß führen.

Matthias Reiche, ARD Brüssel, tagesschau, 28.04.2023 23:47 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 29. April 2023 um 08:06 Uhr.