
Kommunalwahlen in Brasilien Aufwind für Bolsonaros Gegner
Stand: 29.11.2020 15:44 Uhr
Die Kommunalwahlen sind ein wichtiger Stimmungstest in Brasilien. Doch sie könnten für Präsident Bolsonaro zum Fiasko geraten. In Rio de Janeiro und São Paulo liegen Politiker in Umfragen vorn, die sich vom Staatschef abgrenzen.
Von Matthias Ebert, ARD-Studio Rio de Janeiro
Im November gab es viele schlechte Nachrichten für Brasiliens Präsidenten Jair Bolsonaro. Den Anfang machte die Abwahl Trumps, den Bolsonaro offen verehrt und dessen Politik und Rhetorik er oft kopierte. Mit Trump ist dem Brasilianer der wichtigste Partner abhandengekommen - und mit Joe Biden droht ihm heftiger Gegenwind auf internationalem Parkett.
Doch auch in Brasilien selbst wird es seit den Kommunalwahlen Mitte November ungemütlicher für Bolsonaro. Im ersten Wahlgang scheiterten zahlreiche Kandidaten, die Bolsonaro offen unterstützt hatte. In der Megametropole São Paulo rührte der Präsident für den rechtskonservativen Fernsehmoderator Celso Russomanno die Werbetrommel.
Es herrscht Eiszeit
Dieser ging zwar als Umfragen-Führender ins Rennen, verlor jedoch von Woche zu Woche Wählerstimmen und scheiterte schließlich kläglich am Einzug in die Stichwahl. Kommentatoren machten Witze über Russomannos kontinuierlichen Absturz in der Wählergunst: Hätte die Wahl eine Woche später stattgefunden, hieß es, würde Bolsonaros Kandidat den Wählern Stimmen schulden.
Bei der heutigen Stichwahl droht Bolsonaro ein weiterer Rückschlag. In São Paulo stehen sich der konservative Amtsinhaber Bruno Covas und der Linke Guilherme Boulos gegenüber. Während Boulos von der Linkspartei PSOL bereits seit Jahren die rechtsextreme Rhetorik Bolsonaros scharf kritisiert - auch bereits vor dessen Wahlsieg 2018 , hat sich Covas erst vor Kurzem vom Präsidenten distanziert.
Noch im März 2019 postete Covas ein Selfie von sich und dem Gouverneur von São Paulo, João Doria, mit Bolsonaro. Während damals die Chemie zwischen den konservativen Politikern stimmte, herrscht jetzt Eiszeit. Sowohl Covas als auch Doria - ein möglicher Herausforderer Bolsonaros bei der Präsidentschaftswahl 2022 - sind zu Gegnern des Präsidenten geworden. Auslöser dafür war unter anderem Bolsonaros Umgang mit der Pandemie.
Keine Verbesserungen in Rio
In Rio droht Bolsonaro eine weitaus schmerzvollere Niederlage. Dort liegt Amtsinhaber Marcelo Crivella aussichtslos zurück. Der evangelikale Bischof Crivella wurde 2016 ins Amt gewählt, ist aber mittlerweile extrem unbeliebt, weil viele Wähler unter ihm keine Verbesserungen in der Stadt am Zuckerhut wahrnehmen. Im Gegenteil: Der erzkonservative Crivella ist ein Gegner des Karnevals und hat die marode Infrastruktur der Stadt kaum spürbar verbessert. Dazu kommt ein Skandal aus dem Jahr 2018. Damals tauchte eine Audio-Aufzeichnung von einem Treffen von evangelikalen Pastoren im Palast des Bürgermeisters auf. Dabei versprach Crivella offenbar Gefälligkeiten an seine Glaubensbrüder.
Auch die Unterstützung von Bolsonaro und dessen Söhnen, von denen zwei vor Kurzem in Crivellas Partei Republicanos eingetreten waren, konnte das Blatt bislang nicht zu seinen Gunsten wenden. Als haushoher Favorit geht Eduardo Paes ins Rennen. Der Vorgänger Crivellas leitete die Geschicke Rios während der Olympischen Spiele 2016. Auch gegen Paes und Crivella gibt es Ermittlungen wegen Korruption. Dennoch durften beide zur Wahl antreten, bei der viele Einwohner von Rio aus Protest gegen den Bolsonaro-Kandidaten Crivella für Paes stimmen dürften.
Einflussreiche Verbündete
Der Druck auf Bolsonaro wächst hinsichtlich der Präsidentschaftswahlen 2022. Aussichtsreiche konservative Kandidaten wie Ex-Justizminister Sergio Moro und der bekannte Fernseh-Moderator Luciano Huck haben sich laut Medienberichten zusammengeschlossen, um eine gemeinsame Wahlalternative gegen den Rechtspopulisten Bolsonaro zu schmieden. Auch Linke wie Ex-Präsident Lula da Silva und Ex-Minister Ciro Gomes könnten mit vereinten Kräften Bolsonaro gefährlich werden.
Dieser hat sich längst neue, einflussreiche Verbündete gesucht, ohne die er politisch nicht überleben würde. Im Kongress kann sich der Präsident auf die Unterstützung wichtiger Zentrumsparteien verlassen. Diese schützen Bolsonaro vor einem Amtsenthebungsverfahren und erhalten im Gegenzug zahlreiche Posten im Staatsapparat. Gegen zahlreiche Politiker dieser Zentrumsparteien laufen Korruptionsermittlungen. Dies scheint den selbsterklärten Saubermann Bolsonaro jedoch nicht zu stören. Dabei hatte er im Wahlkampf noch angekündigt, den Kampf gegen Korruption aufnehmen zu wollen. Dieser ist jedoch zuletzt ins Stocken geraten.
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