Das US-Kapitol in Washington.
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Krise im US-Kongress Was McCarthys Abwahl bedeutet

Stand: 04.10.2023 16:15 Uhr

Nach der Abwahl des Chefs des US-Repräsentantenhauses stellen sich viele Fragen: Was wollen die extremen Republikaner um Matt Gaetz erreichen? Wie reagieren die Demokraten? Und wie geht es weiter mit der US-Hilfe für die Ukraine? Ein Überblick.

Was ist passiert?

Das US-Repräsentantenhaus ist neben dem Senat eine der beiden Kammern des US-Kongresses. Die Partei der Republikaner hat dort eine knappe Mehrheit von neun Sitzen und kann damit den Vorsitzenden stellen. Der republikanische Hardliner Matt Gaetz sowie sieben weitere Republikaner vom rechten Rand der Partei stimmten jetzt dafür, den bisherigen Amtsinhaber McCarthy zu entmachten.

Die überwältigende Mehrheit der republikanischen Fraktion stellte sich zwar hinter McCarthy, doch durch die acht Rebellen kam eine knappe Mehrheit gegen McCarthy zustande. Die Demokraten im Repräsentantenhaus wiederum verzichteten darauf, McCarthy zu Hilfe zu kommen und votierten ebenso gegen ihn.

Warum wurde McCarthy abgewählt?

Gaetz und seine Mitstreiter warfen McCarthy vor, er habe gegen fraktionsinterne Absprachen verstoßen und mache lieber mit US-Präsident Joe Biden und dessen Demokraten gemeinsame Sache, anstatt die Interessen seiner Fraktion zu vertreten. Gaetz störte sich unter anderem daran, dass McCarthy am vergangenen Wochenende mit den Stimmen von Demokraten einen drohenden Stillstand der Regierung im letzten Moment abgewendet hatte. Gaetz sagte, McCarthy sei Teil des "Sumpfes" von Washington - ihm sei nicht zu trauen.

Wer ist Matt Gaetz?

Gaetz, ein Rechtsanwalt aus Florida, gehört seit geraumer Zeit zu den erbittertsten Gegnern McCarthys. Der 41-Jährige verbreitet regelmäßig Verschwörungstheorien und vertritt extrem rechte Positionen - so ist er zum Beispiel strikt gegen Abtreibung, lehnt die gleichgeschlechtliche Ehe ab und stellt sich gegen Hilfen für die von Russland angegriffene Ukraine. Gaetz steht stramm an der Seite von Ex-Präsident Donald Trump und sagte mit Blick auf die Revolte gegen McCarthy, er betreibe lediglich "Hausputz" für die Zeit, wenn Trump an die Spitze der Regierung zurückkehre. Gegen Gaetz wurde jahrelang wegen des Verdachts ermittelt, er habe Sex mit einer Minderjährigen gehabt - das Justizministerium erhob letzlich aber keine Anklage.

Wer ist der Verlierer?

McCarthy wurde im Januar dieses Jahres erst im 15. Anlauf zum Chef des Abgeordnetenhauses gewählt. Schon das war eine Demütigung historischer Dimension. In einer Pressekonferenz nach seiner nicht minder dramatischen Abwahl gab er sich teils emotional, teils angriffslustig. Der 58-Jährige teilte gegen seine Gegner aus, insbesondere gegen Gaetz. Diesem sei es nie um Inhalte gegangen, sondern allein um Persönliches - und darum, Medienaufmerksamkeit zu bekommen. Nichts von dem, was Gaetz sage, sei wahr.

McCarthy beklagte sich auch bitterlich, dass ein Vorsitzender die überwältigende Mehrheit seiner Fraktion hinter sich habe und trotzdem von acht Abgeordneten gemeinsam mit der anderen Partei aus dem Amt entfernt werde. Das Parlament als Institution habe versagt. Er selbst sei mit sich im Reinen und würde im Rückblick nichts anders machen. Selbstironisch schob McCarthy nach: "Ich habe Geschichte geschrieben, oder?"

Wer tritt die Nachfolge an?

Wer nachrücken könnte, ist völlig unklar. McCarthy jedenfalls will nicht noch mal antreten - das machte er nach dem Votum klar. Auch Gaetz versicherte, er habe keine Ambitionen, selbst zu kandidieren - er wäre auch nicht mehrheitsfähig. In einer extrem zersplitterten Fraktion ist generell unklar, wer genug Parteikollegen hinter sich vereinen kann. Mehrere Namen gehen um: darunter die bisherige republikanische Nummer zwei in der Kammer, Steve Scalise.

Wann wird wieder gewählt?

Klar ist vorerst nur, dass eine Woche lang gar nichts passiert: So viel Zeit wollen sich die Republikaner nehmen, um sich zu sortieren und Personalien auszuloten. Frühestens Mitte kommender Woche könnte es eine Wahl geben. Wie viele Wahlgänge nötig sein werden, ist offen.

US-Repräsentantenhaus nach Abwahl von Sprecher McCarthy nicht arbeitsfähig

Gudrun Engel, ARD Washington, tagesschau, 04.10.2023 20:00 Uhr

Was sind die direkten Folgen?

Bis ein neuer Vorsitzender gewählt ist, geht nichts mehr im Repräsentantenhaus: Alle gesetzgeberische Arbeit liegt vorerst auf Eis. Und das in Zeiten, in denen der Kongress unter anderem die Verabschiedung eines Bundeshaushalts vor sich hat. Ein beschlossener Übergangshaushalt läuft Mitte November aus. Ist bis dahin kein neues Budget verabschiedet, steuern die USA einmal mehr auf einen Stillstand der Regierungsgeschäfte zu, einen "Shutdown".

Noch dazu ist ein verfassungsrechtlich wichtiger Posten unbesetzt. Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses kommt in der staatlichen Rangfolge an dritter Stelle nach dem Präsidenten und dessen Vize. Der Republikaner Patrick McHenry übernimmt zwar als Interims-Vorsitzender formale Aufgaben, füllt die Rolle aber nicht politisch aus.

Was wird mit den Hilfen für die Ukraine?

Das Parlament muss auch über neue Hilfen für die Ukraine entscheiden. Im Übergangshaushalt sind keine weiteren Hilfen für das von Russland angegriffene Land vorgesehen. Das heißt nicht, dass die USA Kiew von jetzt auf gleich nicht mehr unterstützen. Allerdings geht das bisher genehmigte Geld zur Neige, neue Mittel müssen her.

Der Kommunikationsdirektor des nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus, John Kirby, hatte am Dienstag erklärt, dass die aktuelle, vom Kongress bewilligte Tranche ausreiche, um der Ukraine noch "ein paar Wochen" oder "ein paar Monate" zu helfen. Eine präzise Schätzung hänge aber von den gegenwärtigen Gegebenheiten auf dem Schlachtfeld ab. Zugleich warnte Kirby, "dass die Zeit nicht unser Freund ist".

Wie geht es bei den Republikanern weiter?

Die Aktion ist der vorläufige Höhepunkt eines langen Kampfes der Republikaner um nicht weniger als das Wesen der Partei. Vor dem Votum duellierten sich Gaetz und andere Hardliner auf offener Bühne im Parlament mit moderaten Republikanern. Der Republikaner Tom McClintock beklagte, das Parlament werde gelähmt und Woche für Woche mit fruchtlosen Wahlgängen beschäftigt sein, während die eigentliche Arbeit liegen bleibe. Er sagte voraus: "Die Demokraten werden in der republikanischen Dysfunktionalität schwelgen, und die Öffentlichkeit wird zu Recht abgestoßen sein."

Der Republikaner Kelly Armstrong schimpfte, seine Fraktion werde von einer kleinen Gruppe als Geisel genommen. Dies könnte den Republikanern am Ende die Mehrheit kosten.

Wie reagieren die Demokraten?

Die Demokraten argumentierten, es sei nicht ihre Aufgabe, McCarthy vor dem "Bürgerkrieg" in den eigenen Reihen zu retten. Es sei an der Mehrheitsfraktion, den Vorsitzenden zu bestimmen. Vorerst könnten die Demokraten von der Implosion der republikanischen Fraktion profitieren. Doch je länger der Stillstand im Kongress dauert, umso größer dürfte der Druck auf sie werden, im Sinne des Landes Vernunft zu zeigen und einen Kompromisskandidaten zu unterstützen.

Wie fallen die weiteren Reaktionen aus?

Präsident Biden rief das Repräsentantenhaus auf, "schnell" einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu wählen. "Die dringenden Herausforderungen für unser Land werden nicht warten", erklärte seine Sprecherin Karine Jean-Pierre.

US-Präsidentschaftsbewerber Mike Pence hat die Gruppe der Republikaner um Gaetz scharf kritisiert. Er sei "zutiefst enttäuscht, dass eine Handvoll Republikaner sich mit den Demokraten im Repräsentantenhaus zusammengetan" hätten, um den Vorsitzenden zu stürzen. Chaos sei nie Amerikas Freund, sagte der frühere Vizepräsident unter Donald Trump bei einem Forum für Sicherheits- und Außenpolitik in Washington.

Auch Newt Gingrich, von 1995 bis 1999 selbst Vorsitzender des Repräsentantenhauses, kritisierte Gaetz. Der 80-jährige Republikaner aus dem US-Bundesstaat Georgia schrieb in einem Gastbeitrag für die "Washington Post": "Matt Gaetz ist ein Anti-Republikaner, der der konservativen Bewegung aktiv geschadet hat." Gaetz solle aus der Fraktion der Republikaner im Repräsentantenhaus ausgeschlossen werden. "Die Republikaner im Repräsentantenhaus haben weitaus wichtigere Dinge zu tun, als das Ego eines Mitglieds zu befriedigen", schrieb Gingrich.

Hat es so etwas schon mal zuvor gegeben?

Nein, es ist das erste Mal in der US-Geschichte, dass ein Vorsitzender des Repräsentantenhauses auf diesem Weg seinen Job verliert. Vor 113 Jahren war zuvor das letzte und einzige Mal über dessen Absetzung abgestimmt worden. Der Republikaner Joseph Cannon blieb 1910 im Amt, nachdem er die Konfrontation mit seinen Kritikern gesucht und das Votum über seine Abberufung selbst angesetzt hatte.

McCarthy selbst hatte das politische Überleben Cannons beschworen und es am Dienstag gleich auf eine Abstimmung ankommen lassen.

Ralf Borchard, ARD Washington, tagesschau, 04.10.2023 09:59 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 04. Oktober 2023 um 09:00 Uhr.