Migranten kommen mit ihrem Gepäck am Flughafen Tunis an, um in ihre Heimatländer auszureisen.

Exodus nach Präsidenten-Rede "Tunesien ist zum Freiluftgefängnis geworden"

Stand: 10.03.2023 11:47 Uhr

Mit einer Rede gegen Einwanderer aus anderen afrikanischen Ländern hat der tunesische Präsident Saied rassistische Gewalt angeheizt. Mehrere afrikanische Länder holen nun ihre Bürger aus Tunesien zurück.

Sie wollen einfach nur weg, raus aus Tunesien. In den vergangenen Tagen setzten sich zahlreiche Menschen aus Ländern wie Guinea, Mali und der Elfenbeinküste in Tunis in ein Flugzeug Richtung Heimat. Ihre Botschaften hatten Rückflüge organisiert, die Schlangen von Menschen mit Anträgen zur Ausreise waren lang.

Grund ist eine Rede von Tunesiens Präsident Kais Saied Ende Februar. Darin forderte er, gegen illegale Einwanderung von Menschen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara vorzugehen. Ohne Beweise behauptete er, dass "ein kriminelles Komplott" im Gange sei, "um die demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern". "Horden von illegalen Einwanderern" seien verantwortlich für "Gewalt, Verbrechen und inakzeptable Handlungen" in Tunesien, so der Staatschef. 

Gewalt nach der Rede

Was auf die Aussagen des Präsidenten folgte, war eine Demonstration gegen Rassismus und Faschismus, aber auch Gewalt gegen Migranten, beklagt Ange Séri Soka von einer Vereinigung für Menschen aus der Elfenbeinküste. Er sagt, seine Landsleute könnten sich in Tunesien nicht vor Angriffen schützen. "Wenn du keine Aufenthaltserlaubnis hast, hast du keine Rechte, damit kommt der Machtmissbrauch. Es gibt Angriffe, du kannst nicht zur Polizeiwache gehen. Tunesien ist für uns ein Freiluftgefängnis geworden."

Und auch für Schwarze mit Aufenthaltstitel habe sich die Situation in Tunesien zusehends verschlechtert, berichtet Ould Saleck Bachir, Präsident der malischen Studentenvereinigung. Die Studierenden lebten in prekären Verhältnissen, könnten oft keine Aufenthaltserlaubnisse mehr beantragen. "Es gibt Verhaftungen, Aggression und Drohungen aus der Bevölkerung. Zum Beispiel hatten wir einen Malier unter uns, der hatte seine Aufenthaltserlaubnis und seinen Studentenausweis. Trotzdem wurde er von der Polizei verhaftet und kam ins Gefängnis."

Kritiker: Saied will von Problemen ablenken

Auf Saieds Rede reagierten die Vereinten Nationen mit scharfer Kritik, die Weltbank setzte Verhandlungen zu einem neuen Abkommen mit Tunesien aus. Nachdem auch Vertreter der Afrikanischen Union Saied für seine Aussagen kritisierten, wies dieser die Rassismus-Vorwürfe zurück. Er sei stolz, Afrikaner zu sein, und alle Afrikaner seien für ihn Brüder.

Seine Kritiker werfen ihm vor, mit seinen Aussagen gegen Schwarze Migranten nur von wirtschaftlichen und sozialen Problemen ablenken zu wollen. Tunesien steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, es droht der Staatsbankrott. Seitdem der ursprünglich demokratisch gewählte Saied immer mehr Macht an sich gerissen hat, regiert er zunehmend autoritärer. Zuletzt war er immer vehementer gegen Kritiker und Oppositionelle vorgegangen.

Flüge sollen weitergehen

Einer derer, die Tunesien bereits verlassen haben, ist der Student Abramane Doumbia aus Mali. Er ist erleichtert, wieder zurück zu sein, erzählt er der französischen Nachrichtenagentur AFP nach seiner Ankunft in der Hauptstadt Bamako. Er freue sich auf seine Familie, sei aber vor allem froh, wieder in Sicherheit zu sein. "Ich persönlich bin nicht mehr rausgegangen, nicht mehr zur Schule, ich war zu Hause eingesperrt", berichtet er. "Schon jetzt macht es mich glücklich, hier ähnliche Menschen wie mich zu sehen." Er danke dem Staat, dass er zurückkommen konnte.

Laut der ivorischen Außenministerin Kandia Camara haben sich 1300 Bürger des Landes gemeldet, um Tunesien freiwillig zu verlassen. Mehrere afrikanische Staaten haben angekündigt, dass es weiterhin Rückkehrer-Flüge geben soll - bis alle, die wollen, aus Tunesien ausgereist sind.

 

Dunja Sadaqi, Dunja Sadaqi, ARD Rabat, 10.03.2023 13:07 Uhr