Die Bauarbeiten an der neuen Hauptstadt Ägyptens sind noch in vollem Gange, wie Container und schwere Fahrzeuge zeigen.
Reportage

"New Administrative Capital" Ägyptens neue Hauptstadt - ohne Einwohner

Stand: 13.10.2022 18:16 Uhr

Im Januar soll Ägyptens neue Hauptstadt offiziell eröffnet werden. Einige Wohnviertel sind fertiggestellt, Geschäfte geöffnet. Doch nur wenige Menschen sind bislang in die Retortenstadt vor Kairos Toren gezogen.

Sie soll das Sinnbild eines neuen Ägyptens sein: großzügig, glanzvoll, gigantisch. Ägyptens neue Verwaltungshauptstadt "New Administrative Capital" wurde in nur sieben Jahren aus dem Wüstenboden gestampft, etwa 60 Kilometer vor den Toren Kairos. Eine Metropole der Superlative mit dem größten Turm Afrikas, der größten Kirche der arabischen Welt, dem längsten Fahnenmast. Das Herzstück: ein wuchtiges Regierungsviertel mit Parlament, Präsidentenpalast, Ministerien.

2000 Schulen, 600 Kliniken, acht Universitäten sind für künftig 6,5 Millionen Einwohner vorgesehen. Das soll Entlastung schaffen für die alte Hauptstadt Kairo, die aus allen Nähten platzt, Druck von der maroden Infrastruktur nehmen, Megastaus entschärfen.

Der Anspruch der Macher ist gewaltig: "Wir erschaffen etwas richtig Großes", sagt Hany Mohamed, Leitender Ingenieur einer Baufirma. "Wir laden das gesamte Volk Ägyptens in die neue Verwaltungshauptstadt ein. Es ist die Keimzelle eines neuen Ägypten ohne überfüllte Viertel."

"New Capital": Geisterstadt vor den Toren Kairos

Daniel Hechler, ARD Kairo, tagesthemen 22:15 Uhr

Viertel wie Geisterstädte

Tatsächlich sind die Wohnungen und Villen nur für die wenigsten erschwinglich. Im Finanzdistrikt, den eine chinesische Baufirma hochzieht, kostet eine Wohnung gut 350.000 Euro. Im Durchschnitt sollen es 100.000 Euro sein. Für die meisten Ägypter ist das zu teuer.

Doch auch die gut Betuchten halten sich zurück: Einige Viertel sind schon fertiggestellt, wirken aber noch immer wie Geisterstädte. Nur eine Handvoll Menschen sollen bislang eingezogen sein, wie es heißt. Die Aufzüge funktionieren noch nicht. Es fehlen Geschäfte, Infrastruktur. Der Wüstensand setzt den Gebäuden zu: Schon jetzt blättert vielerorts der Putz. Anwohner klagen über Schimmelbefall.

Eine bröckelige Treppe zu einem Hauseingang: Die Stadt in der Wüste ist den Naturgewalten ausgesetzt.

Der Wüstensand setzt den Gebäuden zu: Schon jetzt blättert vielerorts der Putz.

Nur wenige Geschäfte geöffnet

Statt kleiner Läden und Märkte, wie sie in Ägypten typisch sind, sprießen Shoppingmalls aus dem Boden. Sie versprechen Glanz und Glamour wie in Dubai. Innen allerdings herrscht noch Tristesse. Einige Geschäfte sind zwar schon eingerichtet, in Betrieb aber nur die wenigsten, etwa das von Ashraf Wagdy. Vor einem Jahr hat der 55-jährige Familienvater seinen Fotoladen mit großen Hoffnungen eröffnet. "Ich wollte alles perfekt machen, auch damit es meine Söhne eines Tages übernehmen", erzählt er. "Das hat mich viel Geld gekostet."

Strom allerdings kommt bislang nur stundenweise über einen Generator, Kunden so gut wie keine. Etwa zwei Tage pro Woche kommt Wagdy in den Laden, staubt ab, bearbeitet Online-Aufträge. Nun will er sich mit anderen Ladeninhabern zusammentun, um das Geschäft anzukurbeln: "Wir müssen uns jetzt treffen und die Verwaltung informieren, dass der Betrieb hier aufgenommen werden muss", sagt er. "Für mich allein werden sie es nicht tun."

"Ich liebe die neue Hauptstadt" steht auf einem dekorativen Schriftzug - die bisherige Zuzugsrate spricht noch nicht dafür.

"Ich liebe die neue Hauptstadt" steht auf einem dekorativen Schriftzug - die bisherige Zuzugsrate spricht noch nicht dafür.

"Das läuft so nicht"

Eigentlich sollte die Regierung schon 2020 in die neue Hauptstadt umziehen. Zweimal wurde der Termin verschoben. Nun soll es Januar 2023 werden. Ob das allerdings auch der Startschuss wird für Millionen Menschen, in die Wüste zu ziehen, bezweifelt der Städtebauexperte Amre Abdel Kawi von der American University of Cairo:

Städte entstehen nicht aus dem Nichts, und dann bewohnen wir sie. Das ist die größte Schwäche dieses Konzepts - die Annahme, dass man eine große Stadt baut, Menschen dorthin verpflanzt, und dann blüht sie auf. Das läuft so nicht.

60 Milliarden Euro Baukosten soll das Prestigeprojekt von Ägyptens Präsident Sisi verschlingen. Viel Geld in einem Schwellenland. Das meiste davon läuft über Kredite. Ob sich das Megaprojekt je auszahlen wird, mit Leben erfüllt sein wird, zweifeln Kritiker an.

Diese und weitere Reportagen sehen Sie um 22.15 Uhr am 13.10.2022 in den tagesthemen.