Eine Frau mit einem Handy in der Hand liegt mit geschlossenen Augen vor einem Laptop auf einem Bett.

Long Covid Awareness Day Wenn schon das Zähneputzen schwerfällt

Stand: 15.03.2024 20:24 Uhr

Bis zu einer Million Deutsche leiden an Long Covid. Der heutige Awareness Day will auf ihr Schicksal aufmerksam machen. Tanja Gorges hat eine junge Frau getroffen, die ein aktives Leben führte - und nun fürchtet, ein Pflegefall zu werden.

Von Tanja Gorges, BR

Judith Gerstner hat sich im März 2020 in der ersten Coronawelle als eine der ersten mit Covid infiziert. Die heute 21-Jährige stand kurz davor, ihre Ausbildung zur Kinderpflegerin zu beenden. Sie führte ein aktives Leben. "Ich habe mich mit Freunden getroffen und gerne Sport gemacht, von Yoga über Zumba bis zu Kickboxen. Sport war eine ganz große Leidenschaft von mir", erzählt sie. Außerdem war Judith gerne kreativ, hat gesungen und gebastelt.

Atemnot und chronische Schmerzen

Doch vier Jahre später befürchtet die junge Frau, ein kompletter Pflegefall zu werden. Denn sie ist an Long Covid erkrankt. Davon spricht man, wenn Menschen auch lange nach einer Coronainfektion noch Beschwerden haben. Judiths ständige Begleiter seitdem: Atemnot, dauerhafte Kopfschmerzen, Reizempfindlichkeit, extreme Erschöpfung, auch bekannt als chronisches Fatigue Syndrome (ME/CFS). Dazu kommen Muskel- und Gelenkschmerzen im ganzen Körper.

Judith kämpft um Sichtbarkeit und Anerkennung. Über die Sozialen Medien seien Betroffene eng vernetzt, doch Judith wünscht sich, dass auch außerhalb dieser Bubble eine Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild stattfindet. Vor allem wünscht sie sich mehr Verständnis. Betroffene seien nämlich noch oft mit Vorurteilen konfrontiert: Ihre Erkrankung sei nur eingebildet, die Ursache psychisch. Judith verliert deswegen sogar einige Freunde.

Diffuses Krankheitsbild erschwert Diagnose

Die Versorgungslage sei zudem auch Jahre nach der Pandemie noch schlecht, kritisiert Judith. Sie wünscht sich, dass Ärzte bessere Erkenntnisse über die Krankheit hätten. Viele experimentelle Therapien müsse sie selbst zahlen. Auch an Studien hat sie schon versucht teilzunehmen, aber sie wurde abgelehnt. Zu schlecht sei ihr Zustand.

Doch nicht nur die Behandlung von Long Covid ist schwierig, sondern auch die Diagnose. Das Krankheitsbild ist diffus. Unter anderem, weil so viele unterschiedliche Symptome zusammenkommen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat darum im vergangenen September angekündigt, im Bundeshaushalt 2024 insgesamt 100 Millionen Euro für die Erforschung von Long Covid bereitstellen zu wollen.

Viele Arztbesuche

Wer vermutet, unter Long Covid zu leiden, sollte zunächst seine Hausärztin oder seinen Hausarzt aufsuchen. Mit den gesammelten Untersuchungsergebnissen kommt dann als zweiter Schritt der Gang zu Fachärzten. Wenn andere Erkrankungen ausgeschlossen sind, kann es sinnvoll sein, eine Post Covid-Ambulanz aufzusuchen.

Auch Judith hat diesen Weg versucht. Für sie beginnt damit aber eine Odyssee von Arzt zu Arzt. "Ich war bestimmt bei 40 bis 50 Ärzten in drei Kliniken." Statt Hilfe begegnete ihr allerdings nur Hilflosigkeit. Es geht ihr, wie vielen anderen Long Covid Patienten: Viele Ärzte glauben ihr nicht, nehmen sie nicht ernst. "Gerade wenn ich das dann in zeitlichen Zusammenhang gesetzt habe mit Coronainfektionen, wollten sie das ganz ungern hören. Gerade die ersten Monate - da waren die Ärzte total auf Gegenwehr. 'Das kommt doch nicht von Corona, das kann ich nicht glauben' - solche Sachen. Da bin ich verzweifelt."

Zustand verschlechtert sich schleichend

Judith schleppt sich dennoch weiter zur Arbeit. Denn die Abschlussprüfung für ihren Traumberuf will sie unbedingt ablegen. In dieser Zeit erkrankt sie zwei weitere Male an Covid-19. Im September 2022 dann verschlechtert sich Judiths Zustand drastisch. Nach einem Zusammenbruch muss sie die Ausbildung abbrechen. Ihre Gesundheit spielt nicht mehr mit. Seitdem ist sie arbeitsunfähig und pflegebedürftig daheim.

Sie verbringt viel Zeit in ihrem abgedunkelten Zimmer, die Familie hilft auch bei alltäglichen Dingen wie Zähne putzen, Haare waschen oder Essen. Zuletzt musste ihre Familie einen Rollstuhl beantragen, da sich ihr Zustand schleichend verschlechtert. Aufgeben kommt für die junge Frau aber nicht in Frage: "Für mich ist klar, dass ich wieder gesund werde. Nur die Frage wie ist schwierig. Aber darum kämpfe ich." Sie ist sich sicher, dass Long Covid keine unheilbare Krankheit ist, nur noch viel zu unerforscht.

Sarah Beham, ARD Berlin, tagesschau, 15.03.2024 20:41 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 15. März 2024 um 20:54 Uhr.