Interview

Interview mit Friedensnobelpreisträger Yunus "Mein Lebenswerk ist in Gefahr"

Stand: 16.08.2012 16:32 Uhr

Für seine Idee der "Mikrokredite" erhielt Muhammad Yunus 2006 den Friedensnobelpreis. Jetzt sieht der Wirtschaftswissenschaftler die von ihm gegründete Grameen-Bank in Gefahr. Mit den Tagesthemen sprach er über die Kritik am System der Mikrokredite und den Einfluss der Regierung Bangladeschs auf die Grameen-Bank. Tagesschau.de veröffentlicht die Langversion des Gesprächs, das Gábor Halász, ARD-Studio Neu Delhi, mit Yunus führte.

ARD: Herr Yunus, wie geht es Ihnen in diesen Tagen?

Muhammad Yunus: Im Moment sind wir in einer schwierigen Situation. Um genau zu sein, ist das die schwierigste Situation in der Geschichte der Grameen-Bank. Wir sind durch verschiedene Phasen gegangen und hatten Schwierigkeiten, das Tagesgeschäft der Bank zu betreiben. Aber das ist jetzt eine ganz andere Art von Problem.

Muhammad Yunus

Muhammad Yunus gilt als der "Vater des Mikrokredits". Die von ihm gegründete Grameen-Bank vergibt Kleinstdarlehen an Arme. Das wird inzwischen von vielen Experten als erfolgreiches Mittel der Armutsbekämpfung angesehen. 2006 wurden Yunus und seiner Bank der Friedensnobelpreis verliehen.

ARD: Könnten Sie uns erklären: Was mit der Grameen-Bank und Ihnen geschehen ist?

Yunus: Die Regierung mischt sich sehr ein. De facto kontrolliert die Regierung die Bank. Das ist das Bedrohlichste. Denn ich habe die Bank gegründet, um den ärmsten Frauen zu helfen. Und deswegen wollte ich auch sicherstellen, dass sie die Eigentümerinnen der Bank sind. Und so ist es auch gekommen: Sie haben die Bank bereits in diesem Sinne geführt. Der plötzliche Wechsel jetzt wird die Struktur und die Richtung der Bank komplett ändern.

ARD: Ist Ihr Lebenswerk jetzt in Gefahr?

Yunus: Das Ganze, die Grameen-Bank, ist in Gefahr. Alles, was wir kannten und wofür wir gearbeitet haben, die Bank, die wir geschaffen haben, wird nicht mehr existieren. Das wird zu Ende gehen. Dann wird sich ein neues Gesicht der Grameen-Bank zeigen, das von der Regierung kontrolliert wird. Das ist ein sehr unglücklicher und verstörender Gedanke. Deshalb haben wir versucht, der Regierung zu erklären, dass dies nicht der richtige Schritt ist.

ARD: Wir haben mit vielen Leuten in Bangladesch gesprochen. Alle sagen, dass sie Herrn Yunus sehr respektieren. Dass sie sehr stolz sind, weil er den Nobelpreis gewonnen hat. Aber eine Sache verstehen sie nicht. Wenn es eine Frage zur Transparenz der Bank gibt, bekommen sie keine Antwort.

Yunus: Niemand hat nach irgendwelchen Informationen gefragt. Es ist doch auch alles auf unserer Internetseite veröffentlicht. Wir sind wahrscheinlich weltweit die einzige Bank, die alles auf ihrer Webseite bereitstellt. Wer etwas über Mikrokredite wissen will, dort steht alles: Erstens, zweitens, drittens - monatlich. Was in der Grameen-Bank in den einzelnen Bereichen passiert, ist dort aufgeschlüsselt. Da bleiben keine Fragen offen.

Wer aber noch Fragen hat, soll fragen. Aber eigentlich ist alles zu finden. Jetzt kann man sagen: Nicht jeder kennt sich mit dem Internet aus. Nicht alle haben einen Computer. Aber: Was sollen wir tun? Es in einer Zeitung veröffentlichen? Keiner liest Zeitungen. Dann geht die Kritik doch von vorne los.

ARD: Sie haben ja auch über Ihre Firmen gesprochen. Es heißt: Sie benutzen den Marken-Namen "Grameen", um Geld zu verdienen. Aber es ist nicht klar, wohin der Gewinn fließt.

Yunus: Jede der Firmen ist registriert. Es gibt Agenturen, die das übernehmen. Die meisten Firmen, die ich über die Jahre gegründet habe, machen gar keinen Gewinn. Das sind Non-Profit-Organisationen ohne Eigentümer.

Und: Jede dieser Firmen soll ein Problem zu lösen. Zum Beispiel haben wir eine Firma, die kümmert sich um Solarenergie. Wir verkaufen Solar-Anlagen für zu Hause. Mit dieser Firma haben wir erreicht, dass Millionen von Heim-Solar-Anlagen in Bangladesch genutzt werden. Aber es gibt keinen Eigentümer dieser Firma. Alles, was wir versucht haben, da Bangladesch nicht genügend Energie zur Verfügung hat, ist erneuerbare Energien in die Dörfer zu bringen. Damit die Menschen dort Strom haben.

ARD: Aber können Sie auch die Zweifel verstehen? Es gab immer wieder Kritik am System der Mikrokredite.

Yunus: Ja, Mikrokredite haben immer Fragen aufgeworfen. In Deutschland gab es eine Menge Diskussionen. Ist es eine gute Idee? Ist es eine schlechte Idee? Das wird auch weitergehen. Es gibt wirkliche Gründe, warum Menschen Mikrokredite oder die Grameen kritisieren können. Ich bewundere Leute, die das äußern. Ich akzeptiere, was sie sagen. Die einzige Frage, die ich dann aber diesen Menschen stelle: Warum geht ihr nicht los und probiert es selbst? Dann versteht ihr auch die Probleme.

Nur am Meeresrand zu stehen, auf den Ozean zu schauen und zu sagen: Da surft einer nicht richtig! Zu sagen: "Es muss so und so gehen", ohne jemals im Leben selbst gesurft zu sein, das reicht nicht aus. Ihr müsst selbst ins Wasser, nass werden und etwas tun. Nur so versteht ihr es auch.

Und wir suchen doch immer nach einem besseren Weg. Ich bin nicht dafür, an etwas festzuhalten, nur weil ich es erfunden habe. Meine Idee war es, den Menschen das Bestmögliche zu bieten. Also wenn jemand einen besseren Weg weiß, werde ich es sofort in der Grameen-Bank oder jeder anderen Bank vorschlagen. Sagen, bitte ändert es! Dies ist ein besserer Weg. Macht das! Mein Interesse ist nicht das Geld, nicht einfach nur Kredite vergeben. Mein Interesse gilt dem Leben der Menschen.

Das Gespräch führte Gábor Halász, ARD-Studio Neu Delhi

Das Interview führte Gabor Halasz, HR