Flugzeug Boing 777

Globale Lieferketten Engpässe bei der Luftfracht

Stand: 31.03.2022 08:11 Uhr

Die Sperrung des russischen Luftraums belastet die deutschen Airlines. Sie müssen zu Zielen in Asien nun teure Umwege fliegen. Das wirkt sich auch auf die Lieferketten aus.

Von Lilli-Marie Hiltscher, ARD-Finanzredaktion

Rund ein Fünftel der gesamten Luftfracht von und nach Deutschland kommt aus Asien: In Cargo-Fliegern und Passagiermaschinen finden Güter aus China, Japan und Korea ihren Weg etwa in deutsche Supermärkte. Doch momentan verspäten sich die sonst so pünktlichen Güter immer häufiger - weil sie im Flieger transportiert werden. Denn die Flugzeiten haben sich verlängert.

Der Grund: Seit Ende Februar ist Europas Luftraum wegen des Einmarschs in der Ukraine für Flugzeuge russischer Airlines geschlossen. Am 28. Februar reagierte Russland: Das flächenmäßig größte Land der Erde schloss seinen Luftraum für den Überflug von Airlines aus Europa. Die Folge: Statt über Sibirien fliegen die deutschen Airlines nun meist über die Türkei, Georgien und Kasachstan, um nach China zu kommen. So können die Airlines einerseits die Ukraine als Kriegsgebiet und andererseits den gesperrten russischen Luftraum südlich umfliegen.

Länge Flugzeiten, höherer Kerosinverbrauch

Damit verlängern sich die Strecken, die die Flieger zurücklegen müssen, und die Flüge dauern länger: Um mehr als eine Stunde hat sich etwa die Flugdauer vom größten deutschen Flughafen in Frankfurt am Main nach Peking durch die Sperrung des russischen Luftraums erhöht. Insgesamt stiegen die Flugzeiten zu Zielen in Asien um rund 10 bis 15 Prozent.

Das hat Konsequenzen für Airlines: Dauert ein Flug länger, braucht der Flieger mehr Kerosin, um die Strecke zurücklegen zu können. Bei einer Boing 777F, wie sie etwa bei der Lufthansa Cargo im Einsatz ist, sind das rund 6,6 Tonnen Kerosin pro Stunde, erklärt Anke Keilich, Pilotin der Lufthansa Cargo im Gespräch mit tagesschau.de: "Fliegt eine Boing 777F nun von Frankfurt nach Peking, braucht sie fast zehn Tonnen mehr Sprit, wenn man einen Puffer von rund einer halben Stunde Flugzeit einplant. Wenn für den Flieger dann eine volle Ladung geplant ist, wird es knapp mit dem Tanken."

Auf dem Rückflug sei die Situation sogar noch extremer, so die Kapitänin: "Rückflüge aus Asien dauern länger als die Hinflüge, weil man immer mit Gegenwind fliegt. Darum brauchen wir für einen Flug von Peking nach Frankfurt noch mehr Sprit und können dadurch weniger Fracht laden." Eine Situation, die sie selbst in den vergangenen Wochen bei ihren Asien-Flügen schon erlebt hat: "Es kam zuletzt schon vor, dass wir Fracht stehen lassen mussten, weil wir mehr Sprit mitnehmen."

Mehr Treibstoff oder die ganze Fracht mitnehmen?

Denn was die Flugzeuge mehr an Kerosin mitnehmen, lassen sie bei der zu transportierenden Ware stehen, erklärt der Luftfahrtexperte Cord Schellenberg im Gespräch mit tagesschau.de: "Beim Flugzeug gibt es immer ein zulässiges Gesamtgewicht, und das setzt sich zusammen aus dem Leergewicht des Flugzeuges, aus der Treibstoffbetankung, aus der geladenen Fracht und natürlich den Passagieren an Bord." Erhöhe sich nun durch eine längere Strecke der Kerosinbedarf, muss eine Fluggesellschaft die zu transportierende Fracht und Anzahl der Passagiere begrenzen: "Sonst hat man nicht ausreichend Kerosin, um die Strecke nonstop zu bewältigen", so der Experte.

Viele Airlines stehen also nun vor der Frage: Mehr Kerosin mitnehmen und die Strecke nonstop fliegen - oder die volle Fracht transportieren und zum Tanken zwischenlanden? Doch ganz so einfach ist diese Rechnung momentan nicht, berichtet Pilotin Keilich. Denn bedingt durch die Pandemie gibt es kaum Ziele, an denen die Airlines problemlose Zwischenstopps für ihre Flieger einplanen können. "Durch die Pandemie ist die Einreise in viele Länder nach wie vor erschwert", sagt Anke Keilich.

Maschinen anderswo nicht einsetzbar

Neben dem höheren Kerosinverbrauch schaffen die längeren Flugstrecken aber auch Kapazitätsprobleme, erklärt Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) im Gespräch mit tagesschau.de: "Längere Flüge bedeuten auch längere Einsatzzeiten der Crews und der Flieger. Durch die längeren Flugzeiten sinken also die Kapazitäten der Airlines, denn wenn ein Flieger länger in der Luft ist, ist er für andere Einsätze der Flotte nicht verfügbar." Dies habe am Ende Folgen für die globalen Lieferketten: "Es entstehen Engpässe für die Lieferketten, denn die Kapazität für die internationale Luftfahrt und damit für den internationalen Handel wird begrenzt."

Hinzu kommt, dass im Normalbetrieb rund die Hälfte der Luftfracht, die etwa von Lufthansa Cargo transportiert wird, in Passagiermaschinen im Frachtraum geladen ist. Seit Beginn der Pandemie vor zwei Jahren aber ist die Zahl der Passagierflüge nach Asien rapide gesunken - eine Folge der strengen Corona-Politik. Dadurch musste zusätzliche Fracht auf die Cargo-Maschinen verteilt werden. Das alleine ist schon eine Herausforderung, auch ohne zusätzlichen Treibstoff zu laden.

Preise in der Luftfahrt werden steigen

Dennoch glaubt Matthias von Randow vom BDL nicht, dass die Lage für Fluggesellschaften und Flughafenbetreiber existenzbedrohend werden könnte: "Am Standort Frankfurt etwa sehen wir derzeit deutliche Erholungstendenzen nach der Pandemie. Und wir rechnen nicht damit, dass der aktuelle Krieg diese Erholung entscheidend stören wird."

Ähnlich sieht es auch Cord Schellenberg, der nicht zwingend mit Wettbewerbsnachteile für europäische Airlines und Flughäfen rechnet: "Ich glaube nicht, dass etwa die Fluggesellschaften der Golfstaaten Gewinner der aktuellen Situation sind. Denn die allermeisten europäischen Fluggesellschaften fliegen nach wie vor nonstop und bieten damit sehr attraktive Flüge an."

Vor allem Spediteure dürften allerdings schnell mit höheren Preisen für die Cargo-Flüge konfrontiert werden, schätzt Schellenberg: "Frachträume sind sehr stark nachgefragt, die Versender sind glücklich, wenn sie überhaupt einen Platz bekommen. Darum werden die Spediteure auch durchaus bereit sein, die höheren Frachtraten zu zahlen, wenn Airlines die hohen Treibstoffkosten auf die Versender umlegen." Auch bei den Tickets für Passagierflüge rechnet er mit steigenden Preisen. Aber: "Am Ende werden die Preise nicht so stark steigen, dass man eine Reise nicht mehr macht oder ein Päckchen nicht mehr versendet", so der Experte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete mex. das marktmagazin vom 30.03.2022 um 20.15 Uhr.