Flüssiggas-Terminal in Venedig

Lieferungen aus Russland Wie sich Italien von Russlands Gas lösen will

Stand: 11.04.2022 12:34 Uhr

Auch Italien ist stark von Gasimporten aus Russland abhängig. Trotzdem zeigt sich die Regierung offen für ein Embargo der EU. Bei einem Besuch in Algier lotet Ministerpräsident Draghi Alternativen aus.

Wenn dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi etwas sehr wichtig ist, dann drückt er es in wenigen Worten aus. "Bevorzugen Sie den Frieden? Oder die eingeschaltete Klimaanlage?" Man müsse sich entscheiden - so reagierte Draghi in der Diskussion über ein Gas-Embargo auf die Frage eines Journalisten während einer Pressekonferenz.

Mit "Whatever it takes" war Draghi als Präsident Europäischen Zentralbank (EZB) bereit, den Euro mit allen Mitteln zu retten. Nun geht es um den Krieg in der Ukraine, die Abhängigkeit vom russischen Gas. Wenn die Europäische Union das Gas-Embargo vorschlage und sie darin einer Meinung sei, werde die italienische Regierung dem gerne folgen, stellte der 74-Jährige klar. Bis Ende Oktober habe Italien kein Problem, die Gasreserven seien gefüllt.

Fünf Pipelines von verschiedenen Routen

Doch das Land ist sehr stark vom russischen Gas abhängig. Im vergangenen Jahr machten die Einfuhren 29 Milliarden Kubikmeter aus, das waren rund 40 Prozent aller Importe. Bei einem Stopp müsste man es als erstes durch Gas aus anderen Ländern ersetzen, so der zuständige Minister für den ökologischen Übergang, Roberto Cingolani.

Der Vorteil sei, dass Italien fünf Gaspipelines habe, die von verschiedenen Routen kommen. "Daher ist es für uns einfacher, über die verschiedenen angeschlossenen Länder zu diversifizieren", sagte Cingolani.

Italien will Importe aus Algerien erhöhen

Bei Draghis Besuch beim algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune sollen höhere Importe aus Algerien vertraglich beschlossen werden. Schon jetzt liefert das nordafrikanische Land 31 Prozent des italienischen Gasbedarfs. Auch aus Libyen bekommt Italien Gas, ebenso aus Aserbaidschan, seit Ende 2020 über die Transadriatische Pipeline.

Den momentanen Anteil von zehn Prozent könne man verdoppeln, meint Massimo Nicolazzi, Professor für Energieressourcen-Ökonomie an der Universität Turin. Mithilfe von Pumpstationen könne der Druck in den bestehenden Leitungen erhöht werden, allerdings brauche die Konstruktion der Stationen Zeit - mindestens zwei Jahre, angesichts der Genehmigungsprozesse wohl eher vier.

Weitere LNG-Terminals geplant

Ein weiterer Schritt: Den Einsatz von flüssigem Erdgas zu erhöhen, also von LNG. Italien hat drei Terminals, zwei schwimmende Anlagen kommen nun hinzu. Viele Jahre hat das Mittelmeerland selbst Gas gefördert, doch die heimische Produktion ist rapide zurückgegangen, zuletzt waren es nur noch drei Milliarden Kubikmeter im Jahr. Eine rasche Erhöhung erscheint schwierig, angesichts der komplexen rechtlichen Lage und jahrelanger Widerstände.

Eine weitere Alternative wäre die Wiederbelebung von Kohlekraft. Bereits Anfang März hatte die Regierung darüber nachgedacht. Sieben Kraftwerke stehen in Italien, die teils stillgelegt sind oder nur auf Sparflamme arbeiten. Der beschlossene Kohleausstieg würde damit verzögert werden.

Wasserstoff statt Erdgas im Netz?

Auf alle Fälle sollen nun die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden als bisher geplant. Ministerpräsident Draghi will die Genehmigungsverfahren für Solarparks und Windanlagen beschleunigen. Für die Förderung von Wasserstoff hatte die Regierung schon vor dem Ukraine-Krieg viele Milliarden eingeplant.

Snam ist der größte italienische Gaskonzern, sein Vorstandsvorsitzender Marco Alverà setzt schon seit langem auf Wasserstoff. Das Pipeline-Netz von Snam, das sich von Nordafrika bis Mitteleuropa ausbreitet, könne, so erzählt er, zu 99 Prozent Wasserstoff transportieren, man müsse nichts verändern. Alverà ist überzeugt davon, dass der grüne Wasserstoff auch für den großen Verbrauch bald kostengünstiger produziert werden kann.

Schwere Folgen für die Wirtschaft

Doch alle Alternativen zum russischen Gas brauchen Zeit, mit einer völligen Unabhängigkeit rechnet Minister Cingolani in zwei bis drei Jahren. Bis dahin wären die Folgen eines Gas-Embargos für die italienische Wirtschaft schwerwiegend. Die Regierung spielt gerade verschiedene Szenarien durch, in jedem Fall würde das Bruttoinlandsprodukt sinken.

Der Präsident des Industrieverbandes Confindustria für die Lombardei, Francesco Buzzella, befürchtet die Schließung von Unternehmen und den Verlust von Arbeitsplätzen. Die Banca d´Italia rechnet vor, dass sich die Inflation auf acht Prozent erhöhen könnte, wenn die russischen Gasflüsse unterbrochen werden und damit die Energiepreise steigen.

Selbst ohne Gas-Embargo ist die italienische Wirtschaft wegen des Krieges bereits empfindlich gebremst worden. Die Regierung hat ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr von 4,7 Prozent auf 3,1 Prozent gesenkt. Währenddessen wird landab, landauf versucht, weniger Energie zu verbrauchen. Ein Grad einsparen - so lautet die Devise. Ab Mai dürfen die Büros der öffentlichen Verwaltung an heißen Tagen nicht mehr zu stark abgekühlt werden, die Klimaanlage muss auf 27 Grad eingestellt werden.

Elisabeth Pongratz, Elisabeth Pongratz, ARD Rom, 11.04.2022 08:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 11. April 2022 um 05:22 Uhr im Deutschlandfunk.