Ein Stecker wird in eine Steckdose gesteckt.
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Prognosen für den Energiemarkt Wie teuer Strom bis 2030 werden könnte

Stand: 07.06.2023 12:06 Uhr

Derzeit fallen die Strompreise. Doch auf längere Sicht halten Experten einen Preis von 60 bis 80 Cent je Kilowattstunde für realistisch, sollte der Ausbau der Erneuerbaren Energien mit dem Bedarf nicht Schritt halten.

Von Jörg Hommer, SWR

"Es ist eine ganz dramatische Entwicklung", fasst Bäckermeister Guido Boveleth aus Bedburg, mitten im rheinischen Kohlerevier, die vergangenen Monate zusammen. Um überhaupt noch wirtschaftlich produzieren zu können, hat er jetzt montags geschlossen. Zudem verzichtet er auf zwei Hilfskräfte, um die hohen Energiekosten aufzufangen. Seit Anfang des Jahres zahlt Boveleth für Gas und Strom monatlich 3700 Euro mehr als im Vorjahr.

Dabei dachte der Bäcker, er habe alles richtig gemacht. Bereits vor drei Jahren investierte er in einen neuen, energieeffizienten Gasofen. Dieser verbraucht dreißig Prozent weniger als das alte Modell. Vor wenigen Wochen ging seine neue Solaranlage in Betrieb. Sie deckt die Hälfte seines Strombedarfs. Wegen der aktuell hohen Stromkosten amortisiere sie sich doppelt so schnell, sagt Boveleth.

Teurer Strom, teurere Brötchen

Freuen kann er sich darüber nicht. Denn die andere Hälfte seines Strombedarfs muss er weiter teuer kaufen. Seit Anfang des Jahres hat er einen Dreijahresvertrag über 48 Cent je Kilowattstunde; doppelt so viel wie noch im vergangenen Jahr. Seitdem sind auch seine Backwaren teurer geworden - durchschnittlich um 15 Prozent. "Ärgerlich ist für mich, wir haben jetzt in die Zukunft investiert, in energieeffiziente Geräte. Und dennoch wirkt es sich nicht positiv für mich aus", sagt der Bäckermeister.

Zwar sind aktuell die Strompreise wieder niedriger. Laut Internet-Vergleichsportalen liegen sie für Neukunden im Schnitt bei knapp 30 Cent. Ob das Niveau allerdings so bleibt, ist fraglich. Denn zukünftig wird die Nachfrage nach Strom durch mehr Wärmepumpen und E-Autos schnell wachsen.

Wenn Gaskraftwerke einspringen müssen

Diese steigende Nachfrage nach Strom hält Jürgen Karl von der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen für das Nadelöhr der Energiewende. Wenn der Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht schnell genug gelingt, werde eine Stromlücke entstehen, die es zu decken gilt.

Darum fürchtet der Fachmann für Energieverfahrenstechnik, "dass Gaskraftwerke auch in Zukunft immer häufiger eingesetzt werden müssen". Bei erneut ansteigenden Gaspreisen würde sich das Hochfahren der Gaskraftwerke wiederum preisbildend für den Strompreis auswirken. Er halte deswegen "einen Strompreis von 60 bis 80 Cent pro Kilowattstunde durchaus bis 2030 für realistisch", sagt Karl.

Wie groß die Stromlücke werden könnte

Detlef Stolten, Leiter des Instituts für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich, hat exklusiv für das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus berechnet, wie groß eine Stromlücke werden kann, wenn weiterhin so schleppend ausgebaut wird wie in den vergangenen zwei Jahren. Das Ergebnis sei eine Stromlücke von 104 Gigawatt. "Auf einen ganz simplen Nenner gebracht, fehlt 2030 ungefähr ein Drittel Kapazität, wenn weiterhin so ausgebaut würde wie die letzten zwei Jahre."

Das müsse durch einen schnelleren Ausbau ersetzt werden, sagt Stolten. Nur ob die Geschwindigkeit in den verbleibenden sieben Jahren ausreicht, dürfte trotz des aktuellen Ausbaus der Erneuerbaren Energien ungewiss sein.

Sind die Ausbau-Pläne realistisch?

Schon bei Amtsantritt vor eineinhalb Jahren war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck klar, dass es schlecht um den Ausbau der Erneuerbaren steht, die Klimaziele 2030 auf dem Spiel stehen. Eilig schnürte er das sogenannte Osterpaket. Der Plan: Ab 2025 soll die Windenergie in Deutschland jährlich um zehn Gigawatt Erzeugungskapazität wachsen.

Torsten Levsen, Chef des Windparkentwicklers Denker & Wulf, steht mitten auf seiner Baustelle von drei neuen Windkraftanlagen. Seit 30 Jahren baut er Windparks. Er nennt die Ziele der Politik Leuchttürme, um Druck auf die Industrie auszuüben - aber das zu schaffen sei schwer, sagt er. "Wir wollen, dass wir unsere Ziele erfüllen. Auf der anderen Seite ist es uns wichtig, dass wir nicht überfordert werden", warnt Levsen. "Die zehn Gigawatt in den nächsten acht Jahren halte ich nicht so für realistisch."

In wenigen Wochen sollen die großen Windräder stehen, jedes sechs Megawatt Strom produzieren. Vier Gigawatt Windenergie sollen bundesweit dazukommen. Immerhin eine Verdopplung zu den vorherigen, mageren Jahren. Doch noch liegen die riesigen Bauteile auf dem Boden.

Teuerung mit Folgen für die Stromkunden

Torsten Levsen führt noch ein weiteres Problem auf. Denn auch durch die Inflation sei die Branche unter Druck geraten. Die Preise für Bauteile haben sich laut Levsen verdoppelt, die Zinsen zur Finanzierung der riesigen Anlagen verdreifacht. Insgesamt haben sich Investitionskosten für ein modernes Windrad mit rund 5,5 Megawatt Leistung innerhalb weniger Monate von 3,5 Millionen Euro auf rund 6,2 Millionen Euro verdoppelt.

Das wird der Stromkunde zu spüren bekommen, befürchtet Levsen. Ob grüner Strom einmal wirklich billig sein wird, so wie es einst die Politik versprochen hat, bleibt offen. "Meine Angst ist letztendlich, dass fossile Energien den Strompreis am Markt bestimmen. Wenn wir in der Energiewende nicht so vorankommen, kann es sein, dass immer, wenn die Stromlücke entsteht, die fossile Energie den Preis setzt. Und das führt dann zu höheren Preisen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste in der Sendung Plusminus am 31. Mai 2023 um 21:45 Uhr.