Kundinnen vergleichen Produkte im Supermarkt.

Versteckte Preiserhöhungen Verbraucherschützer warnen vor "Shrinkflation"

Stand: 19.08.2022 09:53 Uhr

Die Lebensmittelpreise steigen derzeit stark. Zunehmend gibt es Kritik an Handel und Herstellern, die Preiserhöhungen durch kleinere Verpackungen mit weniger Inhalt zu kaschieren versuchen.

Verbraucherschützer raten zum genaueren Blick auf die Preise vertrauter Produkte beim Einkaufen im Supermarkt. Zunehmend hätten Hersteller den Packungsinhalt verkleinert, anstatt den Preis direkt zu erhöhen. "Wir erleben gerade die erste Welle solcher versteckter Preiserhöhungen", sagte Armin Valet, Lebensmittelexperte bei der Verbraucherzentrale Hamburg, der Deutschen Presse-Agentur. "Aber ich denke, der Höhepunkt kommt erst noch."

Valet beobachtet seit Jahren, wie Hersteller und Handel mit Packungsgrößen tricksen, um Preiserhöhungen zu verschleiern und kürt alle zwölf Monate eine Mogelpackung des Jahres. Im Moment gebe es bei der Verbraucherzentrale Hamburg aber besonders viele Beschwerden über solche Tricksereien, sagte Valet.

Versuchung für Hersteller und Handel

Hintergrund sind die derzeit drastisch steigenden Lebensmittelpreise: Im Juli waren Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 14 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. Gestiegene Rohstoffpreise machen sich hier ebenso bemerkbar wie höhere Energiekosten oder Mehrausgaben für Logistik infolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges.

Experten sehen eine große Versuchung für Hersteller und Handel, Preiserhöhungen zu kaschieren. Das Kalkül: Schrumpft die Packung ein bisschen, fällt es beim Einkaufen weniger auf, als wenn der Preis steigt. Dafür kursiert bereits der Begriff "Shrinkflation" - eine Verbindung des englischen Wortes für Schrumpfen ("shrink") und Inflation.

Psychologische Preisschwellen

"Wir werden das in Zukunft öfter sehen als in der Vergangenheit", so der Marketing-Experte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Düsseldorf. Handel und Hersteller scheuten sich, die eingeübten Preisschwellen wie beispielsweise 1,99 Euro zu überschreiten. "Wenn eine solche Schwelle überschritten wird, erscheint ein Produkt plötzlich deutlich teurer, und es besteht die Gefahr, dass die Absatzmenge drastisch einbricht."

Der Experte hat Verständnis für diese Praxis. Er findet aber, dass die Hersteller gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit offenen Karten spielen sollten. "Wichtig ist aus Fairness-Gründen, dass die Hersteller bei Mengenreduzierungen auch die Verpackungen verkleinern." Dann könnten sie auch auf Verständnis der Konsumenten hoffen. "Manch einer ist vielleicht auch froh, durch die Mengenreduzierung nicht mehr bezahlen zu müssen."

"Preisanpassungen, um erschwinglich zu bleiben"

Beispiele für solche "Schrumpfkuren" gibt es aktuell bereits. Der Hersteller Haribo etwa verkleinerte kürzlich seine "Goldbären"-Tüte von 200 auf 175 Gramm. Der empfohlene Preis von 0,99 Cent blieb gleich, trotz 12,5 Prozent weniger Inhalt. "Als Unternehmen sind wir bereits seit Anfang des Jahres mit außergewöhnlich steigenden Kosten für hochwertige Zutaten, aber auch für Folien, Verpackungsmaterialien, Kartonage sowie Energie und Logistik im hohen doppelstelligen Bereich konfrontiert", begründete Haribo den Schritt. Das Unternehmen passe Verpackungsgrößen und Preis an, um weiterhin erschwinglich zu bleiben.

"Wichtig war uns, dass wir nicht mehr 'Luft' im Beutel haben, also den Beutel in seiner Größe beibehalten, sondern auch den Beutel sichtbar verkleinern", so ein Unternehmenssprecher. Dadurch sei die Verringerung der Füllmenge für die Kunden klar erkennbar.

Kleinere Pizza, weniger Erdnüsse

Auch der Markenartikler Henkel ging bei seinem Weichspüler der Marke "Vernel" einen ähnlichen Weg. "Da wir die Kostensteigerungen in einigen Fällen nicht vollständig auffangen konnten, haben wir uns entschieden, die Füllmengen unserer Produkte teilweise anzupassen", heißt es vom Unternehmen.

Der Knabberartikel-Hersteller Intersnack sah sich nach eigenen Angaben ebenfalls durch den Kostenanstieg "zur Anpassung der Füllmenge der ültje-Erdnüsse" gezwungen. Aber auch bei Marmelade, Margarine, Chips und sogar Tiefkühlpizza stießen die Verbraucherschützer in den vergangenen Wochen auf schrumpfende Packungsinhalte.

Mehr doppelte Preiserhöhungen

Verboten sei das nicht, räumt der Verbraucherschützer Valet ein. Aber es sei eine Trickserei zu Lasten der Kunden. Auffällig sei, dass auch Supermärkte und Discounter bei ihren Eigenmarken immer häufiger zu solchen verstecken Preiserhöhungen griffen.

Gestiegen ist nach Angaben der Verbraucherzentrale Hamburg auch die Häufigkeit sogenannter doppelter Preiserhöhungen. Gemeint sind damit Produkte, bei denen nicht nur die Füllmenge reduziert, sondern zusätzlich der Preis vom Handel erhöht wurde. Betraf das in den vergangenen zwei Jahren durchschnittlich 18 Prozent der beobachteten Artikel, so waren es im ersten Halbjahr 2022 bereits rund 35 Prozent.