Die Twitter-Zentrale in San Francisco.

Kündigungen bei Twitter Plötzlich ging das Login nicht mehr

Stand: 23.11.2022 17:53 Uhr

Mit Elon Musk als Eigentümer verloren bei Twitter Tausende ihren Job. Eine frühere Mitarbeiterin hat dem ARD-Studio Los Angeles geschildert, wie erniedrigend sie ihre Kündigung erlebte.

Von ihrer Kündigung erfährt Melissa Ingle per Nachricht auf ihrem Handy. Sie konnte sich plötzlich nicht mehr in die Programme einloggen, die sie für ihren Job bei Twitter braucht. Da wusste sie: Es ist vorbei. Das sei unglaublich unpersönlich und erniedrigend gewesen, sagt sie. Die offizielle Kündigung kommt erst zwei Tage später - per E-Mail.

Arbeitsmarkt von guten Leuten überflutet

"Mein Fulltime-Job ist, nach einem Job zu suchen", sagt die frühere Twitter-Mitarbeiterin. Das ist schwierig, weil der Markt gerade von extrem guten Leuten überflutet wird, die alle einen Job suchen. Ihre größten Sorgen: Kann sie es sich weiter leisten, in der extrem teuren Stadt San Francisco zu wohnen? Und ob sie ihren zwei Kindern ein schönes Weihnachten bieten kann.

Melissa Ingle

Melissa Ingle hat bei Twitter in der Abteilung gearbeitet, die sich um Tweets mit problematischen Inhalten kümmert.

Melissa Ingle ist Datenwissenschaftlerin, bei Twitter hat sie über ein Jahr im Bereich der wichtigen Content-Moderation gearbeitet. Die kümmert sich um Tweets mit problematischen Inhalten. "Wir haben die Algorithmen geschrieben und überwacht, die automatisch Tweets mit politischen Falschinformationen erkannt haben", sagt Ingle.

"Beschwerden um 50 Prozent erhöht"

Seit Musk übernommen habe, sagt sie, hätten Falschinformationen zugenommen - und nicht nur die. Im Vergleich zur Vor-Musk-Zeit habe sich die Anzahl der Beschwerden über Hassrede und beleidigende Tweets um die Hälfte erhöht. Der Grund sei die Entlassung der vielen Angestellten.

Warum das so ist, erklärt Melissa Ingle so: Bei Twitter gebe es im Schnitt 37,5 Millionen Tweets pro Stunde. Um die zum Beispiel auf Hassrede, Falschinformationen oder Kinderpornografie zu überprüfen, seien Algorithmen und künstliche Intelligenz zwingend notwendig. Menschen allein schafften das nicht hin.

Algorithmen können nicht alles

Aber auch Algorithmen können nicht alles. "Die machen keinen perfekten Job. Sie erkennen nicht, was eine Parodie oder Satire ist. Das können die nicht", sagt Ingle. Deshalb brauche es Menschen, die die Algorithmen pflegen, sie immer wieder verändern und aktuell halten - wenn sich zum Beispiel Gesetze ändern. Algorithmen wissen nur, was man ihnen beibringt. Aber bei Twitter gebe es kaum noch Menschen, die die kritischen Tweets überprüfen, sagt die ehemalige Beschäftigte.

In einer WhatsApp-Gruppe ist sie noch mit ehemaligen und aktuellen Twitter-Mitarbeitenden in Kontakt. Elon Musk hatte einen Rat für Content-Moderation angekündigt. Der sollte aus Mitgliedern verschiedener politischen Richtungen bestehen, scheine aber nicht zu existieren, sagt Ingle: "Leute, die direkt in diesem Bereich gearbeitet haben und das immer noch machen, haben keine Hinweise darauf."

Moral der Belegschaft am Boden?

Melissa Ingle war nicht festangestellt, sondern wurde über eine Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Das ist auch der Grund, warum sie dem ARD-Studio Los Angeles ein Interview gibt. Sie hat keinen sonst üblichen Geheimhaltungsvertrag unterschrieben - aber auch keine Abfindung bekommen. Sie möchte, dass die Öffentlichkeit erfährt, was gerade bei gerade Twitter passiert.

"Ich bin sehr besorgt", sagt Ingle. Die Moral der Mitarbeitenden sei am Boden. Elon Musk habe zum Beispiel interne Firmenchats durchsuchen lassen. Wenn jemand Musk kritisiert habe, sei er oder sie entlassen worden.

Ob Twitter unter Elon Musk überleben wird, kann Melissa Ingle nicht sagen. "Aber die Plattform kann nicht in einer gesunden Art und Weise funktionieren - nicht mit dem Team, das er gerade für die Content-Moderation einsetzt."

Nils Dampz, Nils Dampz, ARD Los Angeles, 23.11.2022 12:38 Uhr