Das zerstörte Tesla-Auto nach dem Unfall in Kalifornien
analyse

Tödlicher Autopilot-Unfall Vergleich bewahrt Tesla vor schwierigem Prozess

Stand: 09.04.2024 14:25 Uhr

Tesla hat einen Prozess wegen eines tödlichen Unfalls im letzten Moment abgewendet. Experten hegen Zweifel an Teslas Argumentation, wonach bei Unfällen mit dem Autopiloten stets der Fahrer schuld sei.

Eine Analyse von Angela Göpfert, ARD-Finanzredaktion

Am 23 März steuerte das Tesla-Fahrzeug von Walter Huang auf einer Autobahn im Silicon Valley gegen eine Betonabsperrung - bei eingeschaltetem Autopilot. Der 38-jährige Apple-Mitarbeiter erlag kurz darauf im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Sechs Jahre später hat sich seine Familie mit Tesla nun auf einen Vergleich geeinigt. Zu welchem Preis - das soll auf Wunsch von Tesla geheim gehalten werden. Fest steht: Es war eine Einigung im letzten Moment, heute sollte in San José im Bundesstaat Kalifornien der Prozess gegen Tesla starten.

Perfektes Timing für Elon Musk

Die Einigung kommt für den Elektroautobauer zu einem wichtigen Zeitpunkt, denn Tesla-Chef Elon Musk rührt zurzeit massiv die Werbetrommel für selbstfahrende Technologien. Diese seien der Schlüssel für die wirtschaftliche Zukunft des weltweit wertvollsten Autokonzerns. Erst zu Wochenbeginn kündigte Musk an, das seit Langem in Aussicht gestellte Robotaxi am 8. August vorzustellen.

Für Tesla stand damit viel auf dem Spiel, zumal es im Vorfeld einige Hinweise gab, dass der Autokonzern diesmal mit seiner üblichen Argumentationslinie, wonach die Schuld bei Unfällen mit dem Autopiloten stets beim Fahrer zu suchen sei, nicht automatisch Erfolg haben würde.

Tesla: Der Fahrer ist schuld

Zuletzt hatte das US-Unternehmen noch zwei Prozesse in Kalifornien gewonnen, indem es vorbrachte, dass die Fahrer nicht der Anweisung gefolgt seien, während der Benutzung des Autopilot-Systems immer wachsam zu bleiben.

Auch im Falle Huangs verteidigte sich Tesla damit, dass der Unfall letztlich auf die Unachtsamkeit des Fahrers zurückzuführen sei. Huang habe sein iPhone kurz vor dem tödlichen Unfall benutzt und darauf ein Videospiel gespielt.

Zeugen-Aussagen belasten Tesla

Huangs Familie sieht hingegen die Schuld bei Tesla, der Konzern habe mit dem Autopiloten wissentlich eine "fehlerhafte" Funktion eingeführt und falsche Erwartungen bei den Verbrauchern geweckt.

Tesla-Mitarbeiter haben gegenüber den Anwälten von Huangs Familie ausgesagt, dass der Autokonzern vor dem Unfall im Jahr 2018 niemals untersucht habe, wie schnell und effektiv ein Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug erlangen kann, wenn dieses vom Autopiloten direkt auf ein Hindernis zugesteuert wird.

Einem anderen Zeuge zufolge führte Tesla erst 2021 - also drei Jahre nach dem Unfall - ein Fahrerüberwachungssystem ein, das Bewegungen des Fahrers mithilfe von Kameras verfolgt und ihn alarmiert, falls er sich nicht auf die Straße vor ihm konzentriert.

Tesla-Autopilot nur ein Spurhalteassistent?

Doch wie genau funktioniert eigentlich der Tesla-Autopilot? Das hatten sich auch die Anwälte der Familie Huang gefragt. Im Juli 2023 wandten sie sich dazu an Akshay Phatak, einen Tesla-Ingenieur. Die "Washington Post" berichtete über dessen Zeugenaussage. "Wenn es deutlich markierte Fahrspurlinien gibt, folgt das System den Fahrspurlinien", sagte Phatak demnach unter Eid.

Das von Tesla als "bahnbrechend" beworbene System sei also schlicht dazu designt, den Fahrbahnmarkierungen zu folgen. In den Autos der Konkurrenz wird das meist schlicht als Spurhalteassistent bezeichnet.

Die "Post" berichtete weiter, dass Huangs Auto ausbrach, als die Fahrbahnmarkierungen immer blasser wurden. Das verwirrte offenbar den Autopiloten. Dann erkannte dieser jedoch eine deutliche Markierung auf der linken Seite - und steuerte den Tesla so direkt in die Betonabsperrung.

Blick auf die US-101 in Richtung Süden von einer Videodurchfahrt: Die durchgezogene weiße Linie, die die linke Seite markiert (mit roten Pfeilen gekennzeichnet), war markanter und sichtbarer als die rechte Seite (Bild: Nationaler Verkehrssicherheitsausschuss)

Blick auf die US-101 mit den Fahrbahnmarkierungen, die den Tesla-Autopiloten verwirrt hatten (Quelle: NTSB).

Verkehrssicherheitsbehörde kritisiert Tesla

Zu diesem Ergebnis kam auch eine Untersuchung der US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB (National Transportation Safety Board). Tesla habe versagt, den Gebrauch des Autopiloten in solchen Fällen einzuschränken, das habe zu dem Unfall beigetragen. Musks Konzern gab gegenüber der NTSB zu, der Autopilot sei nur für Straßen mit "klaren Fahrbahnlinien" designt.

Die Behörde bemängelte zudem, dass die "ineffektive Überwachung des Fahrereingriffs" zur "Selbstgefälligkeit und Unaufmerksamkeit" des Fahrers beitrug. Unterm Strich kam die NTSB in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass es keine eindeutige Ursache für den Unfall gebe.

Zweifel an Musks Versprechungen

Dabei ist dieser Unfall bei Weitem kein Einzelfall. Die NTSB untersuchte mindestens 956 Unfälle, in denen der Tesla-Autopilot in Verwendung gewesen sein soll. In 40 Fällen, 23 davon mit Todesfolge, stellte die Behörde Ermittlungen an. Inmitten dieser Ermittlungen rief Tesla erst im Dezember mehr als zwei Millionen Autos mit Autopilot zurück, um durch ein Software-Update mehr Fahreralarmsysteme zu installieren.

Aktuell sieht sich Tesla in den USA mit über einem Dutzend von Autopilot-Prozessen konfrontiert; in acht davon geht es um tödliche Unfälle, die für den Autokonzern das Risiko hoher Strafzahlungen bergen. Kein Wunder also, dass Tesla im Falle des tödlich verunglückten Apple-Mitarbeiters einen Präzedenzfall fürchtete.

Die zahlreichen Autopiloten-Prozesse nähren überdies Zweifel, ob Elon Musk seinen vollmundigen Versprechungen in punkto autonomes Fahren gerecht werden kann. Immerhin erklärte Musk bereits 2016, ein Tesla werde Ende 2017 in der Lage sein, von Los Angeles nach New York zu fahren - ohne dass der Fahrer das Lenkrad auch nur einmal berühren müsse.

Nils Dampz, ARD Los Angeles, zzt. San Francisco, tagesschau, 09.04.2024 06:39 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 09. April 2024 um 13:08 Uhr.