Wachstum in Deutschland Warum geht es der deutschen Wirtschaft relativ gut?

Stand: 16.08.2011 08:33 Uhr

Auch wenn das Wachstum zuletzt spürbar nachgelassen hat - der Wirtschaft in Deutschland geht es immer noch besser als in vielen anderen europäischen Staaten. Weshalb hat die Eurokrise bisher kaum negative Auswirkungen auf das deutsche Wirtschaftswachstum? tagesschau.de hat die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengestellt.

Wie gut geht es der deutschen Wirtschaft im europäischen Vergleich?

Während die Wirtschaft dieses Jahr im gesamten Euroraum um 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigen soll, dürfte das deutsche Bruttoinlandsprodukt laut Prognosen deutlich kräftiger wachsen. Die zurückhaltenden Schätzungen von Bundesregierung und EU-Kommission von April 2011 liegen bei 2,6 Prozent, neuere Berechnungen, beispielsweise vom Internationalen Währungsfonds (IWF) oder vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwarten mehr als drei Prozent Wirtschaftswachstum. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat ähnlich hohe Erwartungen: "Es spricht alles dafür, dass wir auch in diesem Jahr wieder ein Wachstum von über drei Prozent erreichen", sagte er dem Magazin "Der Spiegel". Vor allem das erste Quartal nährte diesen Optimismus. Da wuchs die deutsche Wirtschaft gegenüber dem Vorjahr um kräftige 5,0 Prozent. Und auch im schwächeren zweiten Quartal betrug das Plus gegenüber dem Vorjahr noch 2,8 Prozent.

Woran liegt es, dass Deutschland im europäischen Vergleich so gut dasteht?

Zunächst handelt es sich beim deutschen Wirtschaftswachstum auch um eine Angleichung an die wirtschaftliche Lage vor der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008. Deutschland hatte in der Rezession mehr eingebüßt als andere europäische Länder. Während Frankreich beispielsweise nur vier Prozent seiner Wirtschaftskraft verlor, hatte Deutschland deutlich höhere Einbußen. Das gleicht sich nun durch das solide Wachstum in Deutschland wieder an: Die Bundesrepublik hat im März 2011 wieder das Niveau der Vorkrisenzeit erreicht, bei Frankreich rechnen Experten in der zweiten Hälfte dieses Jahres damit. Europäische Sorgenkinder wie beispielsweise Spanien oder Italien aber stagnieren etwa auf dem Niveau von 2008. Ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit reicht für einen Aufschwung nicht aus. Hinzu kommt: In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren zahlreiche Strukturreformen, die die Wettbewerbsfähigkeit verbessert haben - in anderen Ländern war das nicht der Fall.

Was unterscheidet die Situation Deutschlands von der in anderen europäischen Ländern?

In Deutschland war die Rezession vor allem eine importierte Krise. Anders als in anderen europäischen Ländern gab es hier im Inland nie eine Situation, in der einzelne Branchen eine extrem hohe Bedeutung für die Volkswirtschaft haben - wie beispielsweise der Immobilienmarkt in Spanien oder der Bankensektor in Großbritannien. Allerdings ist Deutschland als Exportland besonders abhängig von der wirtschaftlichen Lage der Handelspartner. Als in anderen europäischen Ländern wirtschaftliche Blasen platzten, erreichte die Rezession Deutschland erst über den Exportknick, als deren Nachfrage sank.

Wie kommt es, dass Deutschland sich so gut von der Rezession erholen kann?

Zwar hat die Exportabhängigkeit Deutschland in die Rezession geführt, gleichzeitig hat es sich gerade durch Exporte so schnell erholen können. Vor allem der Boom in den Schwellenländern China, Indien und Brasilien ist für die erste Phase des deutschen Aufschwungs in hohem Maße verantwortlich.

Dazu kommt, dass es durch die von der Bundesregierung geförderte Kurzarbeit in der Rezession wenige Entlassungen gab. Zum einen wurde die Rezession so nicht durch steigende Arbeitslosenzahlen verstärkt, zum anderen konnte man Anfang 2010 sehr schnell auf die gestiegene Nachfrage aus den Schwellenländern reagieren: Indem man die Arbeitszeiten der bereits vorhandenen Fachkräfte wieder auf ein normales Niveau anhob, konnte man die erhöhte Auftragslage bedienen. Dadurch wiederum stieg die Nachfrage auf dem Binnenmarkt, beispielsweise nach Maschinen und anderen Produktionsgeräten. So konnte das Wachstum sich selbst beschleunigen.

Aus dem erhöhten Wirtschaftswachstum entstanden wiederum Impulse für den Privatkonsum. Von einer gestiegenen Nachfrage nach Dienstleistungen, Gastronomie oder Unterhaltung profitiert überwiegend die Wirtschaft im Inland.

Welche Rolle spielt die deutsche Schuldenpolitik für das Wirtschaftswachstum?

Alle Gelder, die ein Staat für Zinsen und Tilgung seiner Schulden aufwenden muss, kann er nicht mehr investieren oder seinen Bürgern in Form von staatlichen Zahlungen oder Steuerermäßigungen zur Verfügung stellen. Andersherum: Je weniger teuer die Verschuldung eines Staates ist, umso besser für die Konjunktur. Zwar ist auch Deutschland hoch verschuldet, die Gesamtschulden betragen in diesem Jahr nach Schätzungen der EU-Kommission mehr als 80 Prozent des Brutto-Inlandproduktes. Das ist mehr als beispielsweise in Spanien oder Zypern und liegt deutlich über dem Maastricht-Grenzwert von 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes.

Trotzdem hat die hohe Verschuldung auf die deutsche Wirtschaft nicht die ähnlichen Auswirkungen wie in Griechenland oder Spanien. Das liegt vor allem daran, dass Deutschland sich in den vergangenen 50 Jahren einen Ruf als solider Schuldner erarbeitet hat. Gerade in Krisenzeiten wird gezielt in Deutschland investiert. Ein Indikator dafür sind die fallenden Zinsen von Staatsanleihen: Im Sommer 2008 musste Deutschland noch fast fünf Prozent Zinsen bezahlen, heute liegen sie stabil unter drei Prozent. Deshalb sind die Schulden selbst in Deutschland nicht so teuer wie die Schulden in Frankreich, Spanien oder Portugal. Die Gläubiger sind sich also sehr sicher, dass sie ihr Geld zurückbekommen - so sicher, wie bei kaum einem anderem Staat weltweit.

Haben die Kursverluste an den Börsen Auswirkungen auf die Konjunktur in Deutschland?

Nur fünf Prozent aller Deutschen besitzen Aktien, mit den Besitzern von Fonds zusammen sind es zwölf Prozent. Hohe Verluste an den Börsen haben also auf 88 Prozent der Deutschen keine direkten Auswirkungen. Was allerdings einen Einfluss auf die Konjunktur haben könnte, ist die Verunsicherung über enorme Schwankungen wie in den vergangenen zwei Wochen. Verunsicherte Verbraucher konsumieren und investieren generell weniger, was dann negative Auswirkungen auf die Konjunktur hat.