Schuldenbremse Auch die Volkswirte sind uneins
"Die Schuldenbremse wird 2024 eingehalten": So lautete eine der bestimmenden Schlagzeilen nach dem nächtlichen Haushaltsberatungsmarathon. Doch warum ist das so wichtig? Und: Wie sehen das führende Volkswirte?
Volkswirte betrachten die Schuldenbremse seit dem Urteil des Verfassungsgerichts häufig jenseits der üblichen politischen Sortierung. Zwar gilt noch immer, dass linke Ökonomen für mehr Staatsschulden sind, was rechten oft nicht recht ist. Doch haben sich neue Meinungsmuster gebildet. Viele liberale und konservative Volkswirte können sich mittlerweile für mehr öffentliche Schulden erwärmen.
Bei einer Umfrage unter Professoren für Volkswirtschaft von Münchner ifo-Institut und "Frankfurter Allgemeiner Zeitung" kam heraus: Von 187 Ökonomen forderten nur sechs Prozent, dass die Schuldenbremse weg solle; 48 Prozent wollen sie erhalten, aber 44 Prozent sind für Änderungen an der Regel. Zwei Prozent sagten: "weiß nicht".
Im Kern geht es um die Frage, wie der Staat wesentliche Ausgaben bezahlen kann, ohne sich zu sehr zu verschulden. Denn bei zu hohen Schulden wäre er in Zukunft von hohen Zins- und Tilgungszahlungen gefesselt.
Klima-Umbau und Infrastruktur
Unstrittig ist politisch wie ökonomisch, dass der Umbau der Wirtschaft zu Klimaneutralität ebenso notwendig wie teuer ist. Weitgehend einig zeigen sich deutsche Ökonomen auch bei der Infrastruktur. Jahrzehntelang sei zu wenig für Straßen, Schienen und Gebäude getan worden. Nun drohe die Substanz des öffentlichen Vermögens zu zerbröseln. Wirtschaftsumbau und Infrastruktur erfordern Ausgaben von vielen Hundert Milliarden Euro.
Investition oder Konsum?
Von jeher wird das Argument vorgetragen, wenn der Staat investiere, würden auch kommende Generationen profitieren. Deshalb könnten nötige Schulden ohne Weiteres vererbt werden; solange neue Staatsschulden nicht höher seien als staatliche Investitionen, sei die Lage stabil. Über drei Jahrzehnte wurden öffentliche Haushalte an dieser "goldenen Regel" entlang aufgestellt.
Doch stellte sich heraus, dass gerade in Krisenzeiten die Schulden enorm stiegen, ohne dass entsprechende Werte entstanden. "Der Bau von Spaßbädern, Regionalflughäfen und anderen öffentlichen Prestigeprojekten hat späteren Generationen oft hohe Folgekosten aufgebürdet und wenig oder gar nichts zum Produktivitätswachstum beigetragen", sagt der wirtschaftsliberale Münchner Ökonom Clemens Fuest.
Die Schuldenbremse
Insgesamt wurden Staatsschulden nie zurückgeführt, sondern stiegen beständig. Das führte in der Finanzkrise 2009 zur Schuldenbremse. Für die Verfassungsänderung wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig, tatsächlich stimmten bei ihrer Einführung fast Dreiviertel der Abgeordneten zu. Seitdem darf der Bundeshaushalt nur noch neue Kredite bis 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat vor vier Wochen Seitenwege an der Schuldenbremse vorbei verboten.
Was sind staatliche Investitionen?
Unter Investitionen werden Ausgaben verstanden, die kalkulierbare Profite bringen sollen. Wenn von öffentlichen Investitionen gesprochen wird, sind aber oft nur sinnvolle Ausgaben gemeint. Der Berliner Volkswirt Marcel Fratzscher, der der SPD nahesteht, forderte eine "Investitionsoffensive für Zukunftsinvestitionen" und nennt als Beispiel Bildungsausgaben.
Der liberale Freiburger Lars Feld hält es grundsätzlich für fragwürdig, ob staatliche Investitionen besser seien als staatlicher Konsum. "Ausgaben für Bildung, Verteidigung oder den Rechtsstaat sind wesentliche Voraussetzungen für das Funktionieren einer Marktwirtschaft", schreibt Feld, "werden aber überwiegend dem Staatskonsum zugerechnet". Öffentliche Investitionen als Maßstab für Staatsverschuldung zu nehmen, ist also gerade bei wirtschaftsliberalen Ökonomen hoch umstritten.
Was tun mit der Schuldenbremse?
Dass die Schuldenbremse für anstehende Staatsausgaben ungeeignet sei, glauben viele. Erörtert wird, ob auch ein Prozent oder gar 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Obergrenze brauchbar wären. Die Bundesbank, von jeher Hort von Stabilität, weist nach dem Verfassungsgerichtsurteil auf eine eigene Studie vom Frühjahr vergangenen Jahres hin. Damals schrieben die Beamten abstrakt über sinnvolles Aufweichen der Schuldenbremse. Wie das eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag finden soll, schrieben sie nicht. Auf nur einer Druckseite war ein Dutzend Mal von "könnte", "hätte" und "wäre" die Rede.
Wo im Grundgesetz zuvor zwei Zeilen standen, erstreckt sich die Schuldenbremse von 2009 über eine halbe Seite. Haushaltspolitiker und Volkswirte fürchten, dass eine Reform die noch einigermaßen verständliche Regel völlig unklar machen könnte. Als Warnung wird das deutsche Steuerrecht genannt.
Zwei Experten machen Vorschläge
Zwei politisch erfahrene Ökonomen haben Möglichkeiten für eine Reform genannt. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank, schreibt, wenn gleichzeitig das Asylrecht im Grundgesetz geändert würde, könnten Union und FDP einer Reform der Schuldenbremse zustimmen. Die Änderung des Asylrechts sei für das politische Spektrum links der Mitte - also für SPD und Grüne - ein Problem.
Die Änderung der Schuldengrenze hingegen bereite den liberalen und konservativen Parteien, also Union und FDP, Bauchschmerzen. "Aber wenn man in beiden Punkten versucht, das Grundgesetz zu konkretisieren, könnte das für Deutschland sinnvoll sein", schlussfolgert Schmieding. Der Druck bei der Migration und der knappen Kassen sollte beide politischen Lager zum Umdenken bewegen.
Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, schlägt vor, neben dem Bundeshaushalt einen 500 Milliarden großen Sonderfonds für Infrastruktur und Transformation einzurichten. Vorbild soll der Sonderfonds für die Bundeswehr sein, der mit Zweidrittelmehrheit ins Grundgesetz kam. Damit steht er neben und nicht gegen die reguläre Schuldenbremse.