Ein "X"-Zeichen prangt auf dem Hauptsitz des Unternehmens, das früher als Twitter bekannt war.
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X ein Jahr nach Musk-Übernahme Was von Twitter übrigblieb

Stand: 27.10.2023 09:25 Uhr

Weit mehr als den Namen änderte Elon Musk nach dem Twitter-Kauf vor einem Jahr. Die Plattform, die heute X heißt, ist eine andere geworden. Die Werbeerlöse sanken, zugenommen haben Hass und Desinformation.

Von Nils Dampz

Vor einem Jahr hat Elon Musk Twitter gekauft. Für eine der wichtigsten Social-Media-Plattformen hat er 44 Milliarden Dollar bezahlt. Der Unternehmenswert wird jetzt nur noch auf acht Milliarden geschätzt, außerdem soll das Netzwerk Millionen Nutzerinnen und Nutzer verloren haben. Das liegt nicht nur am Namenswechsel zu "X" - die Plattform hat sich extrem verändert. Es geht auch um die Frage, wie und wo künftig über aktuelle Themen diskutiert wird.

Plattform auf Sparflamme

Schon in den ersten Tagen nach der Übernahme entlässt Musk Tausende Mitarbeitende - aus Spargründen, wie er sagt. Quer durch die Firma werden Teams ganz aufgelöst oder stark verkleinert. Presseanfragen werden seitdem mit einer automatisierten Email beantwortet, zwischenzeitlich auch nur mit einem Kothaufen-Emoji.

Von den Entlassungen betroffen sind auch viele Mitarbeitende der Teams, die sich um kritische Inhalte kümmern, die sogenannte Content-Moderation. Das hat großen Einfluss auf die Sicherheit auf der Plattform. Mehrere Studien zeigen, dass Desinformation und Hassrede bei Twitter, jetzt X, seit der Übernahme angestiegen sind.

Seriöse Accounts schwerer zu erkennen

Das ist kein neues Problem, auch andere Plattformen kämpfen mit schädlichen Inhalten, was seit dem Krieg in Nahost besonders deutlich wurde.

Elon Musks "X" fällt aber besonders auf, weil er seit der Übernahme diverse Sicherheitsmaßnahmen eingeschränkt oder abgeschafft hat. Seriöse Accounts sind nicht mehr so leicht zu erkennen, jeder kann sich ein blaues Verifikations-Häkchen kaufen. Dadurch werden auch Diskussionen beeinflusst, da Inhalte von bezahlten Accounts sichtbarer ausgespielt werden.

Musk rechtfertigt viele Veränderungen mit der Verteidigung der Redefreiheit. Er lässt viele Accounts reaktivieren, die vorher wegen Regelverstößen gesperrt wurden. Sie haben rassistische, transfeindliche oder gewaltverherrlichende Inhalte oder Verschwörungserzählungen verbreitet. Auch Donald Trump darf wieder posten.

"Größerer Spielraum" für Hassrede

Laut Musk sollen Algorithmen die Reichweite von gefährlichen Posts einschränken. "Es gibt einen größeren Spielraum für das, was manche Hate Speech nennen. Aber das wird nicht verbreitet. Wir werden Hate Speech nicht empfehlen", sagte er in einem Podcast. 

Auch Elon Musk selbst postet immer wieder antisemitische Anspielungen und Verschwörungserzählungen. Er hat Journalisten sperren lassen und dafür gesorgt, dass seine eigenen Posts eine wesentlich größere Reichweite bekommen.

Viele Unternehmen wenden sich ab

Umsätze durch Werbung, bisher die wichtigste Einnahmequelle, seien um die Hälfte gesunken, postete Elon Musk im Sommer.

Viele Unternehmen wollen nicht mehr auf seiner Plattform werben, wollen nicht neben radikalen Inhalten auftauchen.

Linda Yaccarino heißt die Frau, die unter anderem dieses Problem lösen soll. Elon Musk hat sie im vergangenen Sommer als CEO, als neue Chefin, eingestellt. Sie ist Werbeexpertin, hat davor das Anzeigengeschäft des Medienunternehmens NBC Universal geleitet.

Musk setzt neben der Werbung vermehrt auf Abo-Einnahmen. In Neuseeland und auf den Philippinen können neue Nutzer testweise nur noch posten, wenn sie einen Dollar pro Jahr bezahlen. Laut Musk soll auch eine teurere X-Version ohne Werbung kommen.

Offenbar weniger Nutzer

Laut der Analysefirma Apptopia sind die Nutzerzahlen der mobilen Twitter- beziehungsweise X-App - seit der Übernahme vor einem Jahr um rund 13 Prozent zurückgegangen. Eine Analyse von Similarweb ergibt einen Rückgang des Datenverkehrs zur Webversion um rund 15 Prozent. Offizielle Zahlen von X sind nicht bekannt.

Ein Jahr Twitter (X) unter Elon Musk

Finja Böhling, RB, Morgenmagazin, 27.10.2023 05:30 Uhr

Seit der Übernahme hat sich X auch technisch sehr verändert. Es gibt viele neue Funktionen, Videos spielen eine größere Rolle. Schon lange treibt Musk die Vision einer Multifunktionsapp an. Auch Sprach- und Video-Anrufe sollen laut Musk bei X eingeführt werden.

Gavin Karlmeier ist Social-Media-Experte und seit Jahren Twitter-User "Es gibt extrem viele Funktionen, die eingeführt wurden, von denen ehemalige Twitter-Mitarbeiter sagen, wir haben sie nicht eingeführt, weil sie nicht zu Ende getestet wurden."

Welche Alternativen es gibt

Das heutige X unterscheidet sich deutlich von Twitter. Dass es irgendwann die eine Alternative gibt, ist auch eher unwahrscheinlich. Nutzerinnen und Nutzer, die nach alternativen Plattformen suchen, haben verschiedene Optionen.

Der ehemalige Sicherheits-Chef von Twitter, Yoel Roth, sprach auf einer Tech-Konferenz von aufregenden Social-Media-Zeiten, "endlich wird so viel in neue Plattformen investiert".

Mastodon, Bluesky oder Threads vom Facebook-Konzern Meta werden gerade oft genannt. Was sich wie gut durchsetzt, wird sich zeigen. Für Gavin Karlmeier ist aber eine Sache klar: "Du kannst Twitter an die Wand fahren. Aber die Idee Microblogging, die stirbt nicht".

Nils Dampz, ARD Los Angeles, tagesschau, 27.10.2023 05:32 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete am 27. Oktober 2023 das Erste um 06:17 Uhr im ARD-Morgenmagazin und NDR Info um 07:41 Uhr in der Wirtschaft.