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Umgebaute Waffen "Ein Geschäft auf Kosten der Sicherheit"

Stand: 15.11.2022 17:00 Uhr

Aus Angst vor einem Blackout wollen sich offenbar viele Deutsche bewaffnen. Beliebt scheinen freiverkäufliche Waffen zu sein, die man leicht umbauen kann, wie SWR-Recherchen zeigen. Sicherheitsexperten schlagen Alarm.

Ein leises "Pleng" ertönt, als die Kugel auf eine Konservendose aufschlägt. Das Regenwasser, das sich in ihr gesammelt hat, spritzt heraus. Nichts, was die Ruhe in dem kleinen Örtchen im Odenwald an diesem Donnerstagmittag stören könnte. "Man sieht schon, die Waffe ist schon sehr schwach insgesamt", sagt der Mann mit dem Finger am Abzug seines Luftgewehrs und einem Lachen im Gesicht.

Den Garten, in dem sich diese Szene ereignet, kennen viele. Zumindest viele, die sich für Waffen interessieren. Er gehört Jörg Sprave, ein Mann mittleren Alters, mit kräftiger Statur und Vollbart. Er ist ein Tüftler. In diesem Garten dreht er wöchentlich Videos, in denen er Waffen präsentiert, die er selbst gebaut hat: Armbrüste, Bleistift-Schleudern oder Klobürsten-"Revolver". Millionen Menschen folgen ihm und seinen Filmen auf YouTube, die inzwischen Kultstatus genießen in der Waffenszene.

Luftgewehre, die sich leicht umbauen lassen

Diesmal präsentiert Sprave allerdings keine Waffe, die er selbst gebaut hat. Es ist das Luftgewehr eines amerikanischen Herstellers, produziert in China. Sprave hat es in Deutschland auf den Markt gebracht, verkauft es in seinem Onlineshop - für stolze 999 Euro. Und das, obwohl er selbst über das Gewehr sagt, es sei "keine besonders gute" Waffe.

Denn bei diesem Gewehr geht es den Kunden nicht um Präzision, sondern um etwas ganz anderes: Angeblich kann man es mit wenigen Handgriffen umbauen, sodass es im Vergleich zu einem herkömmlichen Luftgewehr um ein Vielfaches stärker ist. Gefährlicher. Tödlich.

Konkret geht es um Pressluftgewehre, so genannte Precharged-Pneumatic-Waffen. Diese dürfen Volljährige laut Waffengesetz ohne Erlaubnis kaufen, wenn die Waffen eine Energie von 7,5 Joule nicht überschreiten. Allerdings sind die Gewehre so konstruiert, dass sie nach Angaben des Verkäufers mit wenigen Handgriffen so umgebaut werden können, dass sie anschließend eine Energie von mehr als 200 Joule erreichen, vergleichbar mit einer Polizeipistole aus den 60er-Jahren. Die für den Umbau nötigen Teile werden der Waffe beim Verkauf bereits beigelegt.

Dem SWR-Recherche-Format VOLLBILD und dem ARD-Politikmagazin Report Mainz gelang es, solch eine bei Sprave derzeit nicht lieferbare Waffe zu erwerben. In einem Versuch testeten sie, wie leicht man die Waffe umbauen kann und wie stark sie anschließend ist - gemeinsam mit dem Waffensachverständigen Thomas Malcher. Die Waffe darf zwar jeder Volljährige kaufen, wer sie allerdings ohne spezielle Genehmigung umbaut und anschließend besitzt, macht sich strafbar.

Mit handelsüblichem Werkzeug gelingt es dem Profi in weniger als 15 Minuten, die Waffe zu modifizieren. Mit dem harmlosen Luftgewehr, dessen Kugeln locker an einer Konservendose abprallen, hat die Waffe anschließend nur noch das Aussehen gemein. Nach dem Umbau zerfetzt die Kugel problemlos eine große Wassermelone. "Das ist gefährlich, das ist tödlich", urteilt Malcher. "Das ist erschreckend einfach, jeder Laie kann das genauso machen".

Angst vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen

Rund 8000 solcher Luftgewehre hat Sprave nach eigenen Angaben bereits verkauft, 2000 davon seien ausgeliefert. "Wir können die Nachfrage nicht im Ansatz bedienen", sagt Sprave. Was aber motiviert seine Kunden, für die Waffen so viel Geld auszugeben? "Das zusätzliche Sicherheitsgefühl", ist sich der Waffenhändler sicher. Dabei spielt offenbar die Energiekrise und die Sorge vor Stromausfällen eine Rolle.

Spraves Kunden gehen dabei offenbar vom Schlimmsten aus. "Dass die öffentliche Ordnung zusammenbricht, dass es in Deutschland tatsächlich bürgerkriegsähnliche Zustände gibt, mit einer dysfunktionalen Polizei, mit plündernden Horden", beschreibt Sprave die Ängste seiner Kunden. Er selbst halte das zwar für äußerst unwahrscheinlich, die Waffen verkauft er trotzdem - ohne schlechtes Gewissen.

"Ein Geschäft mit der Vorsorge", so nennt er das. Zumal das alles legal sei. Er habe die Waffen behördlich abnehmen lassen und weise beim Verkauf und auch in seinen Videos stets darauf hin, dass Umbau und anschließender Besitz ohne Genehmigung verboten seien. Außerdem müsse man doch nur über die Grenze fahren, um "viel gefährlichere Waffen" zu bekommen.

Forderung an die Bundesregierung

Weniger entspannt sieht Michael Mertens von der Gewerkschaft der Polizei den Verkauf solcher Waffen. "Diese Waffe kann Menschenleben kosten", sagt er. Ihm mache Sorge, wie kreativ die Händler seien, um den Bedarf an Schusswaffen zu befriedigen, wo es eigentlich verboten sei. "Das ist ein Geschäft auf Kosten der Sicherheit", sagt der Polizist. Er spricht von einer Gesetzeslücke und fordert die Bundesregierung auf, diese zu schließen. "Wenn jeder Mensch meint, sein Recht selbst in die Hand nehmen zu müssen, leben wir bald wieder im Wilden Westen".

Auf SWR-Anfrage verweist das Bundesinnenministerium lediglich auf die bestehenden Gesetze. Der Verkauf der Waffen sei legal, auch wenn die Umbauteile beilägen. Für den Umbau und anschließend den Besitz benötige es spezielle Erlaubnisse. Klingt also nicht so, als sehe die Bundesregierung in dem Markt ein Problem. Gut für Jörg Sprave und sein Geschäft. Denn die nächsten Kunden warten bereits darauf, dass eine weitere Charge der Luftgewehre in Deutschland eintrifft.

Philipp Reichert, Philipp Reichert, SWR, 15.11.2022 17:00 Uhr