Bundesnachrichtendienst
exklusiv

Kritik an Nachrichtendienst BND soll Gespräch beim Wagner-Aufstand abgehört haben  

Stand: 07.07.2023 13:46 Uhr

Der BND soll beim Putschversuch in Russland besser im Bilde gewesen sein als bislang bekannt. Nach Recherchen von WDR und NDR soll er ein Gespräch zwischen Wagner-Chef Prigoschin und Lukaschenko verfolgt haben. Der Dienst steht unter Druck.

Von Manuel Bewarder, Florian Flade (WDR), Reiko Pinkert (NDR)

Samstag, der 24. Juni, die Welt schaute gebannt auf einen möglichen Aufstand der Söldnertruppe Wagner in Russland. Inmitten des Chaos wurden die Spione des Bundesnachrichtendienstes (BND) offenbar Zeugen eines entscheidenden Gesprächs. Nach Recherchen von WDR und NDR soll der deutsche Auslandsgeheimdienst die Kommunikation zwischen Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und dem belarusischen Machthaber Alexander Lukaschenko überwacht haben.

Der BND soll damit direkt von der Vermittlerrolle Lukaschenkos erfahren haben. Lukaschenko hatte entsprechende Sicherheitsgarantien für Prigoschin ausgehandelt, wenn dieser den Putschversuch stoppe. Prigoschin hatte daraufhin die Rebellion beendet und sollte ins Exil nach Belarus gehen - im Austausch gegen Straffreiheit.

Gab es eine eigene Quelle?

Der Inhalt der Kommunikation zwischen Prigoschin und Lukaschenko war bereits bekannt geworden. Dass der deutsche Auslandsnachrichtendienst davon aus eigenen Quellen an dem Wochenende erfuhr, war öffentlich bislang jedoch nicht bekannt.

Ein Sprecher des BND wollte sich auf Nachfrage nicht zu dem Sachverhalt äußern. Der Nachrichtendienst nehme "zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung", so der Sprecher. Damit sei keine Aussage darüber getroffen, ob der Sachverhalt zutreffend ist oder nicht. "Der Bundesnachrichtendienst berichtet zu entsprechenden Themen insbesondere der Bundesregierung und den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages."

Nachrichtendienst unter Druck

Der BND war zuletzt unter Druck geraten, nachdem Medien berichteten, der Dienst habe die Bundesregierung erst am Samstag über den Putschversuch in Russland unterrichtet - zu einem Zeitpunkt also, als dieser bereits voll in Gang war. Kritik war vor allem aus den Reihen von SPD und FDP gekommen.

Die öffentliche Kritik hatte dann noch einmal zugenommen, nachdem sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in der ARD-Sendung Maischberger nicht deutlich vor seinen Auslandsnachrichtendienst gestellt hatte. Scholz war gefragt worden, ob Medienberichte zutreffend seien, wonach der deutsche Auslandsgeheimdienst die Regierung erst sehr spät über den Aufstand der Wagner-Truppe informiert habe. Die Dienste, so Scholz, hätten es "nicht vorher gewusst". Sie hätten dann aber "berichtet, was zu beobachten ist".

 

Hinweis konnte wohl nicht verifiziert werden

Tatsächlich soll dem BND schon früher, etwa eine Woche zuvor, ein vager Hinweis auf einen möglicherweise bevorstehenden Aufstand der Wagner-Gruppe gegen den Kreml vorgelegen haben, wie die Recherche von WDR und NDR zeigt. Diese Information hätte der BND im Austausch mit seinen Partnern versucht zu verifizieren. Dies sei aber zunächst nicht gelungen. Deshalb sei das Kanzleramt hierzu nicht informiert worden.

Eine erste Warnung des BND über die Ereignisse soll dann bereits am Freitagabend an die Bundesregierung übermittelt worden sein - also am Abend, bevor die Wagner-Truppen Anlagen der russischen Streitkräfte und die russische Stadt Rostow besetzten.

Abgeordnete verlangten Erklärung

Wegen der anhaltenden Kritik hatte BND-Präsident Bruno Kahl am Mittwoch im Bundestag vor Abgeordneten über die Abläufe rund um das besagte Juni-Wochenende berichtet. Dabei konnte er offenbar zum Teil Zweifel ausräumen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), sagte, er habe "den Eindruck gewonnen, dass der Bundesnachrichtendienst auch in Kooperation mit anderen Nachrichtendiensten von Freunden und Partnern verantwortungsbewusst mit dieser Situation umgegangen ist."

Ulrich Lechte von der FDP erklärte auf die Frage, ob der Stuhl von Kahl wackele: "Falls ihn irgendjemand angesägt hat, hat er gerade den sehr, sehr gut wieder zusammengeklebt. Und ich glaube, dass der noch eine ganze Weile halten wird." 

 

"Maulwurf" verriet Abhöraktion

Noch im vergangenen Jahr soll der BND recht gut über die Interna der russischen Wagner-Gruppe im Bilde gewesen sein. Der Auslandsgeheimdienst hatte sich offenbar in die interne Kommunikation der Söldnertruppe gehackt und fleißig mitgelesen. Dann aber soll der BND-Mitarbeiter Carsten L. die Abhöraktion an den russischen Geheimdienst verraten haben. Ihm droht im sogenannten "Maulwurf-Fall" bald eine Anklage wegen Landesverrat.

Es gehört zu den Aufgaben des BND mögliche Gefahrenlagen vorherzusehen - dazu zählen auch Putschversuche oder Umstürze in anderen Ländern, noch dazu in einer Atommacht wie Russland. Allerdings steht der Dienst derzeit nicht gut da. Die groben Analysen passen. Wenn es um konkrete Zeitpunkte ginge, lag der Dienst aber mehrmals daneben.

 

Auch in anderen Fällen Kritik am BND

Den schnellen Siegeszug der Taliban in Afghanistan im Sommer 2021 soll der BND nicht präzise genug vorhergesehen haben, insbesondere den Fall von Kabul. Tatsächlich hatte der Dienst die Lage über lange Zeit sehr detailliert und treffend analysiert, insbesondere das Erstarken der Islamisten. Für das Kabul-Fiasko machte der damalige Außenminister Heiko Maas dann aber explizit "die Nachrichtendienste" verantwortlich, die eine solche Situation nicht hätten kommen sehen.

Ähnlich zu Kriegsbeginn in der Ukraine im Februar vergangenen Jahres: Während die US-amerikanischen und britischen Geheimdienste schon früh fest davon überzeugt waren, dass Wladimir Putin einmarschieren würde, soll der BND zumindest den Beginn des Angriffs anders bewertet haben.

BND-Präsident Kahl reiste sogar noch nach Kiew, auf Wunsch seines ukrainischen Amtskollegen. Dann schlugen die ersten Raketen ein und der Spionagechef musste in einer hastigen Rettungsfahrt mit einer Fahrzeugkolonne außer Landes gebracht werden. 

 

In Frankreich wurde der Chef des Militärgeheimdienstes entlassen, weil seine Behörde Russlands Krieg gegen die Ukraine nicht richtig prognostiziert hatte. Der BND-Chef aber blieb, seine Leute liefern seitdem täglich, jeden Morgen, ihre Lageeinschätzungen an das Bundeskanzleramt, versorgen andere Ministerien mit Informationen. Die Arbeitsbelastung sei so hoch wie seit vielen Jahren nicht mehr, heißt es. Und das alles in einer Umbauphase, die auch innerhalb des Dienstes alles andere als reibungslos verläuft.

BND umstrukturiert

Der BND wurde gerade umstrukturiert, aus vielen Abteilungen wurden nun mehrere Bereiche. Beschaffung und Auswertung sind nun anders miteinander verzahnt, die neue Organisationsstruktur soll den Dienst effektiver machen - sorgt bei manchen aber auch für Frust. Hinzu kommt ein deutliches Mehr an Bürokratie. 

Seit Anfang 2022 überprüft der Unabhängige Kontrollrat (UK-Rat), ein Gremium bestehend aus Richterinnen und Richter, die technischen Überwachungsmaßnahmen des BND im Ausland. Ohne die Genehmigung der Kontrolleure dürfen keine Telefonate abgehört oder E-Mails mitgelesen werden. Für die BND-Mitarbeiter bedeutet dies vor allem: Formulare ausfüllen, Begründungen verschriften, Nachfragen beantworten. Kurzum: mehr Bürokratie, weniger Spionage.