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Kokain-Geschäfte der Mafia Frankfurt - Drehkreuz der Drogenkartelle

Stand: 23.06.2023 09:02 Uhr

50 Kilogramm Kokain, die Mafia und mutmaßliche Drogenbroker: Ermittlungen italienischer Anti-Mafia-Behörden führen nach Frankfurt. Laut Recherchen von MDR und FAZ sollten von dort aus Drogen südamerikanischer Kartelle nach Europa vermittelt werden.

Von Margherita Bettoni, Axel Hemmerling, Ludwig Kendzia

Die Männer, die sich an diesem Oktobertag im Jahr 2020 in einem Restaurant im Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim treffen, haben wohl etwas Wichtiges zu besprechen. Sie wollen - so werden es Ermittler später rekonstruieren - eine Lieferung von 50 Kilogramm Kokain aus Südamerika organisieren. In Ermittlungsakten, die MDR und FAZ vorliegen, findet sich ein Bild, aufgenommen von Beamten des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main. Man sieht sechs Männer, die dem Anschein nach gerade aus dem Restaurant kommen.

Manche Gesichter dürften italienische Mafia-Fahnder schnell erkannt haben: Sie halten drei der Männer für hochkarätige Mitglieder des 'Ndrangheta-Clans Forastefano-Abbruzzese. Die 'Ndrangheta ist die Mafia aus der süditalienischen Region Kalabrien.

Zentrale Rolle Frankfurts bei Kokaingeschäften

Rund zweieinhalb Jahre später, am 5. Juni 2023, gehen Ermittler der Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft Catanzaro und der italienischen Finanzpolizei Guardia di Finanza gemeinsam mit deutschen und belgischen Kollegen gegen die Männer vor. Im Rahmen des Verfahrens "Gentleman 2" finden Razzien in Italien, Deutschland und Belgien statt. Insgesamt werden 31 Menschen festgenommen, vier Haftbefehle werden in Frankfurt vollstreckt.

Ermittler werfen den Verhafteten vor, Mitglieder einer kriminellen Gruppierung mit Bezügen zur kalabrischen Mafia 'Ndrangheta zu sein. Die Gruppierung soll unter anderem Kokain von Südamerika über verschiedene Häfen wie etwa Antwerpen oder Rotterdam nach Deutschland importiert und von hier schließlich weiter nach Kalabrien transportiert haben. Außerdem soll sie auch mit Heroin gehandelt haben.

In einem Flur einer Privatwohnung lagern Drogen - rechts im Bild liegen Geldbündel auf einem Tisch

Bilder der italienischen Finanzpolizei Guardia di Finanza zeigen sichergestellte Drogen und Bargeld.

Die Ermittlungen, die rund vier Jahre andauerten, basieren unter anderem auf Chat-Nachrichten, die sich die Beschuldigten über Krypto-Handys des Anbieters SkyECC austauschten. MDR und FAZ liegen Ermittlungsunterlagen zum Verfahren vor. Sie zeigen, welche zentrale Rolle Deutschland bei den mutmaßlichen Kokaingeschäften der Gruppierung spielte.

Es geht um mutmaßliche Drogenbroker, die unter anderem von Frankfurt aus Kokaindeals eingefädelt haben sollen. Es geht um ihre mutmaßlichen Kontakte zum mexikanischen Cartel de Sinaloa und zu einem fragwürdigen Diplomaten aus Guinea-Bissau. Es geht um einen Mann, der grinsend mit Waffen vor der Kamera posiert. Und es geht um die engen Verbindungen von Menschen nach Frankfurt, die Ermittler zum Umfeld der 'Ndrangheta zurechnen.

Der albanische Drogenbroker

Gerade was das Geschäft der Gruppierung mit Kokain angeht, soll Frankfurt eine zentrale Rolle gespielt haben. Dort hielten sich nämlich zwei Männer auf, die laut Ermittlern als Drogenbroker agierten. Drogenbroker gelten als Schlüsselfiguren im Kokainhandel, denn sie vermitteln zwischen den südamerikanischen Kartellen, also den Lieferanten des Kokains, und den Großkunden in Europa, also in diesem Fall die mutmaßliche kriminelle Gruppierung aus Kalabrien.

Einer der zwei mutmaßlichen Drogenbroker, der sich in Frankfurt aufhielt, hat eine besonders abenteuerliche Geschichte. Sie fängt damit an, dass er im Laufe der Jahre über mehrere Identitäten verfügte: Mal soll er sich als griechischer Staatsbürger ausgewiesen haben, mal als albanischer. Der Mann saß bereits in Haft, ein kalabrisches Gericht hatte ihn zu 28 Jahren Haft verurteilt.

Eine Grafik zeigt Fotos und Teile einer Europakarte - auf den Fotos sind Waffen zu sehen.

Sichergestellte Waffen, die bei den Razzien im Rahmen des Verfahrens "Gentleman 2" in Italien, Deutschland und Belgien gefunden wurden.

2016 gelang es ihm aber aus einem italienischen Gefängnis zu flüchten. Gemeinsam mit Komplizen soll er damals die Gitterstäbe durchgesägt und sich anschließend mit Bettlaken aus dem Fenster abgeseilt haben. Seitdem lebte der Mann, der früher in Kalabrien wohnhaft war, auf der Flucht. Ermittler werfen ihm nun vor, Drogengeschäfte für die Gruppierung organisiert zu haben.

Der Mann soll auch hinter dem Deal mit jenen 50 Kilogramm Kokain stehen, für die die sechs Männer zum Frankfurter Restaurant pilgerten. Anlass für diesen Verdacht ist unter anderem ein Foto, das er einem der mutmaßlichen Chefs der Gruppierung geschickt haben soll. Es zeigt einen Zettel, auf dem verschiedene Zahlen und Anmerkungen zu lesen sind. Für die Fahnder handelt es sich dabei um die Preise des Kokains: "50 Pakete x 5500 € = 275.000 €" heißt es auf dem Zettel - also 5500 Euro pro Kilogramm Kokain.

Das Geld für das Kokain soll schließlich ein Mann aus Italien im Auto an eine Adresse im Frankfurter Stadtteil Bornheim gebracht haben. Der Kokain-Deal platzte offenbar am Ende. Unter anderem, weil einige Mitglieder der Gruppierung im Rahmen eines anderen Verfahrens verhaftet wurden.

Der Kalabrier, der mit Waffen posiert

Die Gruppierung soll auch auf einen weiteren, mutmaßlichen Drogenbroker gezählt haben: Ein Kalabrier, der in Frankfurt lebte, Spitzname "Il Bello", der Schöne. Die zwei mutmaßlichen Drogenboker, der Albaner und der Schöne, standen im engen Austausch. In den Chat-Verläufen zwischen den Beiden finden sich auch einige Bilder, die der Schöne "Erinnerungen" nennt. Er posiert darauf grinsend und im hellen Poloshirt mit verschiedenen schweren Waffen. Die beiden Männer scheinen gemeinsam große Pläne zu schmieden, um ihre mutmaßlichen Kokaingeschäfte zu erweitern.

So suggerieren Chats, dass sie auch mit dem mexikanischen Cartel de Sinaloa Kontakt hatten: "Sie sind Mexikaner des stärksten Kartells Mexikos", schreibt der Albaner seinem kalabrischen Kumpel. Und dann: "Schau Mal, wo wir angekommen sind. Entweder landen wir bei der DEA (die amerikanische Drogenbehörde, Anm.) LP oder (wir machen) Milliarden."

Ein fragwürdiger Diplomat

Die Akten des Verfahrens "Gentleman 2" geben außerdem Einblick, welche Personen sich in Deutschland zusammenfinden, wohl um illegale Geschäfte zu planen. Eine davon ist ein Mann, der aus dem westafrikanischen Staat Guinea-Bissau stammt. Im November 2021 trifft er sich in Frankfurt mit dem mutmaßlichen Broker aus Kalabrien.

In einem verwanzten Auto lassen die zwei Männer hier und da Sätze fallen, die Ermittler vermuten lassen, dass die zwei über mögliche Kokaingeschäfte verhandeln. Später gelingt es Ermittlern, den Mann zu identifizieren. Er soll der Sohn eines früheren Präsidenten von Guinea-Bissau und selbst Staatssekretär gewesen sein.

Nach MDR- und FAZ-Informationen sitzt der Mann aus Guinea-Bissau seit 2022 in den USA im Gefängnis. Er ist im Netz der amerikanischen Drogenbehörde gelandet, weil er wohl einem verdeckten Ermittler der DEA Heroin für die USA verkauft hat. MDR und FAZ liegen die Gerichtsunterlagen aus Amerika vor. Laut dieser soll es zu mehreren Treffen zwischen dem verdeckten Ermittler und dem Mann aus Guinea-Bissau gekommen sein.

Drogenschmuggel per Flugzeug

Eines der Treffen fand in Portugal statt. Daran soll auch ein "Mitglied der italienischen Mafia" teilgenommen haben. Außerdem soll der Mann bei diesem Anlass ein Flugzeug gezeigt haben, das wohl in Senegal registriert war, und soll erzählt haben, dass die italienische Mafia dieses einsetzen würde, um Drogen aus Südamerika nach Europa zu schmuggeln.

In den Gerichtsunterlagen werden auch Treffen zitiert, die zwischen dem Mann und einigen italienischen Mafia-Mitgliedern in Deutschland stattgefunden haben sollen. In Gesprächen mit einem verdeckten Agenten der DEA soll der Mann außerdem gesagt haben, dass er hinter einem Putschversuch stehe, der im Februar 2022 in seinem Heimatland stattfand. In den Gerichtsunterlagen heißt es, Ziel des Putsches sei damals gewesen, eine "drogenfreundliche Regierung zu installieren".