Ein Laborarbeiter hält eine Packung "Remdesivir"
FAQ

Antivirales Medikament Was bringt Remdesivir? Was kostet es?

Stand: 03.07.2020 18:03 Uhr

Das antivirale Medikament Remdesivir ist jetzt auch für die Behandlung von Covid-19 in der EU zugelassen. Wie gut hilft es? Und wird es in Deutschland überhaupt verfügbar sein? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist Remdesivir?

Das Mittel der US-Pharmafirma Gilead Sciences wurde ursprünglich zur Behandlung der Viruserkrankung Ebola entwickelt, aber nie für diesen Einsatz zugelassen. Später gab es Hinweise darauf, dass es gegen Coronaviren wirken könnte. Remdesivir wird per Infusion verabreicht und hemmt ein Enzym der Viren, das für deren Vermehrung nötig ist.

Wie gut ist seine Wirksamkeit untersucht?

Es wurden mehrere Studien zu Remdesivir veröffentlicht, aber aus vielen ließen sich kaum Schlüsse auf eine Wirksamkeit ziehen. Im Mai präsentierte ein internationales Team jedoch erste positive Ergebnisse im "New England Journal of Medicine" (NEJM). Rund die Hälfte der 1063 Probanden bekam Remdesivir. Die andere kam in die Kontrollgruppe.

Welchen Nutzen hat Remdesivir für Covid-19-Patienten?

"Wir haben nachgewiesen, dass das Medikament bei einer Covid-19-Erkrankung den schweren Verlauf abmildert und die Krankheitsphase um etwa vier Tage verkürzt", sagt der an der Studie beteiligte Infektiologe Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln. Die Patienten mit Remdesivir hatten eine Genesungszeit von elf Tagen, die der Kontrollgruppe von 15.

Remdesivir sei insgesamt sehr gut verträglich, sagt Fätkenheuer. Die Studie verzeichnete in der Kontrollgruppe sogar mehr Nebenwirkungen als bei Patienten mit Remdesivir. In beiden Gruppen starben jedoch Menschen am Coronavirus. Die Autoren schreiben im NEJM, die Gabe antiviraler Mittel alleine reiche wahrscheinlich nicht zur Therapie aus.

Welche Kritik gibt es an der EU-Zulassung?

Der namhafteste Kritiker in Deutschland ist Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Er betont, bisher gebe es keinen publizierten Beleg dafür, dass Remdesivir die Sterblichkeit senke: "Es gibt keine Evidenz dafür, dass wir hier Leben retten." Erfolgreiche Behandlung bedeute für ihn unter anderem auch substanzielle Sterblichkeitsreduktion. Und die sei nach derzeitigem Stand nicht gegeben.

"Es fehlen definitiv valide und verlässliche Langzeitergebnisse für Covid-19-Patienten", betont Janssens zudem. "Und prinzipiell würden wir uns in der Intensivmedizin wünschen, dass solche Studienergebnisse durch eine weitere Studie bestätigt werden."

Fätkenheuer von der Uniklinik Köln weist die Kritik zurück: "Wenn man liest 'vier Tage weniger krank gewesen', sagt man vielleicht: Naja, was soll's? Macht das soviel aus? Aber es ist natürlich ein himmelweiter Unterschied, ob jemand auf die Intensivstation kommt und künstlich beatmet wird, oder ob ihm das erspart bleibt. Und das kann von diesem Medikament abhängen, solche Fälle haben wir in der Studie gehabt."

Wer soll mit Remdesivir behandelt werden?

Das Mittel sei in der Studie sowohl bei leichter wie bei schwer erkrankten Patienten getestet worden, berichtet Fätkenheuer. Die Studie habe gezeigt, dass vor allem Patienten in einer frühen Phase der Krankheit von Remdesivir profitierten.

Was kostet die Behandlung mit dem Medikament?

Eine fünftägige Behandlung mit Remdesivir wird nach Unternehmensangaben bei Bestellung durch die US-Regierung 2340 Dollar - umgerechnet etwa 2000 Euro - pro Patient kosten. Dieser Nettobetrag sei auch für Deutschland geplant, versicherte Flörkemeier. Die Kosten werden in Deutschland von den Kassen bezahlt.

Der Forscher Fätkenheuer kritisierte den Preis als "enorm hoch": "Ich würde schon erwarten, dass gesamtgesellschaftliche und ethische Gesichtspunkte bei einem Medikament wie Remdesivir eine Rolle spielen", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Wird das Präparat in Deutschland verfügbar sein?

Die USA haben zwar einen Großteil der bis September anvisierten Produktionsmenge von Remdesivir aufgekauft. Deutschland hat sich nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums Jens Spahn frühzeitig Remdesivir-Vorräte gesichert. Es gebe derzeit noch genug Reserven.

Er erwarte von dem US-Hersteller nach der Zulassung, "dass Deutschland und Europa versorgt werden, wenn es um ein solches Medikament geht", sagte Spahn im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Mit der Zulassung von Remdesivir für den Einsatz auf dem europäischen Markt ist die Verpflichtung verbunden, auch in angemessenem Umfang liefern zu können. "Wir gehen davon aus, dass Gilead dieser Verpflichtung auch nachkommt", teilt das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage von tagesschau.de mit.

Haupt-Produktionsstandort von Remdesivir ist La Verne in Kalifornien. "Allerdings haben wir unsere eigene Herstellung durch erhebliche zusätzliche Kapazitäten von mehreren Produktionspartnern in Nordamerika, Europa und Asien ergänzt", erläuterte der Sprecher von Gilead in Deutschland, Martin Flörkemeier.

Gilead habe auch Lizenzvereinbarungen mit neun Generikaherstellern in Ägypten, Indien und Pakistan abgeschlossen. Es habe die Produktion bereits erheblich gesteigert, sie könne bei einem großen Ausbruch jedoch nicht rasch weiter hochgefahren werden.

Wieso können die USA sich eine so große Menge des Medikaments sichern?

"Es hat offensichtlich eine Menge geheimer Absprachen zwischen Gilead und der US-Regierung gegeben - vielleicht auch mit andren Ländern, von denen wir nie erfahren werden", sagt Jessica Burry, Pharmazeutin von Ärzte ohne Grenzen gegenüber tagesschau.de. Gilead verkaufe einmal mehr dorthin, wo der höchste Preis gezahlt werde. Es gebe keine internationalen Mechanismen, die so etwas verhindern könnten.

Gibt es eine Möglichkeit, durch Zwangslizenzen an das Medikament zu kommen?

Laut Burry kann in einer Situation wie der aktuellen jedes Land Zwangslizensierungen erreichen, um sich Zugang zu einem benötigten Medikament zu verschaffen - wenn der Hersteller nicht selbst genügend davon liefern kann. In Europa gibt es zusätzlich das Problem der Exklusivität von Daten - ein weiteres Monopol, das Hersteller in vielen Ländern haben, wenn sie ein Medikament dort registrieren lassen. "Jedes Land kann seine Gesetze dahingehend anpassen, um schnell an solche Zwangslizenzen zu kommen. Deutschland hat das bereits getan", sagt Burry.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 30. April 2020 um 16:50 Uhr.