Mehmet O. (links) mit seinem Anwalt Engin Sanli (rechts) im bayerischen Landtag.

Untersuchungsausschuss Erstes Opfer des NSU sagt aus

Stand: 25.10.2022 04:10 Uhr

Der Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags nimmt das sogenannte Taschenlampen-Attentat des NSU von 1999 in den Fokus. Dafür lud der Ausschuss das damalige Opfer Mehmet O. vor.

Von Eva Frisch und Jonas Miller, BR

Auf diesen Tag hat Mehmet O. 23 Jahre lang gewartet: Zum ersten Mal kann er öffentlich als Zeuge aussagen, kann erzählen, wie der Bombenanschlag sein Leben für immer veränderte. Der 42-Jährige ist das erste Opfer des NSU. Als er unweit des Bayerischen Landtags einige Unterstützer trifft, regnet es in Strömen. Die Gruppe hat eine Kundgebung für ihn organisiert. Er sei aufgeregt, sagt er dort. Und dass er sich Anerkennung wünsche, für das, was ihm angetan wurde.

Als Taschenlampe getarnte Rohrbombe

Es ist der 23. Juni 1999. Die große Taschenlampe steht auf der Herrentoilette seiner Gaststätte in Nürnberg. Mehmet O. findet sie beim Aufräumen. Als er sie einschaltet, detoniert die getarnte Rohrbombe. Die Druckwelle schleudert den damals 18-Jährigen durch den Raum. Nur durch Glück überlebt der Deutschtürke den Anschlag.

Die Nürnberger Bar "Sonnenschein", in deren Toilette im Jahr 1999 eine Rohrbombe explodierte, die dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zuzurechnen ist.

Die Nürnberger Bar "Sonnenschein", in deren Toilette im Jahr 1999 eine Rohrbombe explodierte, die dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zuzurechnen ist.

Die Polizei sucht daraufhin den Täter in seinem Umfeld. "Ich war nicht das Opfer, sondern der Schuldige", sagt Mehmet O. über die damaligen Ermittlungen. Das Verfahren wird später ohne Ergebnis eingestellt.

Erst 2013 stellt einer der Angeklagten im NSU-Prozess die Verbindung her: Der Bombenanschlag war die erste Tat des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Beamte des Bundeskriminalamts legen Mehmet O. daraufhin Fotos vor. Er erkennt eine enge Freundin von Beate Zschäpe wieder. Doch die bekennende Nationalsozialistin wird nie vernommen.

Beweisstück geht in Lehrmittelsammlung

Bisher ist das sogenannte "Taschenlampen-Attentat" in Nürnberg weder juristisch noch parlamentarisch aufgearbeitet. Das will der Untersuchungsausschuss in München jetzt nachholen. Der Ausschuss hinterfragt zum Beispiel, warum die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth 1999 nur wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelte.

Das sei auf jeden Fall ein Fehler gewesen, sagt der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl von den Grünen. "Welche Auswirkungen das hatte, müssen wir herausfinden." Mehmet O.s Anwalt Engin Sanli ist sich sicher: wäre wegen versuchten Mordes ermittelt worden, wären Beweismittel noch da und könnten auf DNA-Spuren untersucht werden. Die als Taschenlampe getarnte Rohrbombe aber ging als Anschauungsmaterial an eine Lehrmittelsammlung der Polizei, mögliche Spuren waren damit unbrauchbar.

Rechtsanwalt Sanli glaubt auch, dass dann vielleicht Ermittlungen zusammen geführt worden wären. Denn ein Jahr zuvor, 1998, fand die Polizei in einer Garage von Beate Zschäpe in Jena Sprengstoff und Rohrbomben. Danach tauchte das NSU-Trio ab. Hätte damals schon eine Verbindung zum NSU hergestellt werden können?

"Mein Leben war ruiniert"

Es gibt viele offene Fragen, was den Taschenlampen-Anschlag betrifft. Auch für Mehmet O.: Warum traf der Anschlag ausgerechnet ihn? Hatte das NSU-Kerntrio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Helfer in Nürnberg? Der Weiße-Rose-Saal im Landtag ist fast voll besetzt, als Mehmet O. mit seinem Anwalt und seiner Opferbetreuerin den Raum betritt. Vor dem Ausschuss schildert er den Anschlag und dessen Folgen, unter denen er bis heute leidet. Er habe Angst um sein Leben gehabt, sagt er vor den Abgeordneten. Er verlor Arbeit und Freunde. Schließlich verließ er seine Heimatstadt Nürnberg. "Mein Leben war ruiniert", so Mehmet O.

Die Ausschussmitglieder befragen das erste Opfer des NSU teilweise kritisch. Mehmet O. widerspricht unter anderem auch seiner eigenen Aussage von vor 23 Jahren. Es geht um die Anzahl der Gäste in seinem Lokal am Abend vor dem Anschlag oder darum, wann er das Lokal verlassen habe. Patrycia Kowalska vom Beratungsnetzwerk B.U.D. Bayern, begleitet Mehmet O. bei seiner Aussage. Sie kritisiert die Art und Weise der Befragung durch die Parlamentarier: "Phasenweise erlebten wir ein Kreuzverhör ohne Verständnis für einen damals 18-Jährigen, der einen Anschlag überlebte und verdächtigt wurde, die Bombe selbst gebaut zu haben."

Der Ausschussvorsitzende, Toni Schuberl, von den Grünen rechtfertigt die Befragung. "Für uns ist es wichtig, diesen Komplex umfassend zu dokumentieren und aufzuarbeiten, weil wir eben die einzige Instanz sind, die das kann." Und er ergänzt: Für die Bewertung dessen, dass Mehmet O. ein Opfer des NSU ist, seien die Aussage-Widersprüche irrelevant. Der 42-Jährige ist den Tränen nahe, als er den Weiße-Rose-Saal verlässt. In einem Moment habe er sich wieder wie ein Schuldiger gefühlt. Und dann fügt Mehmet O. noch hinzu: "Aber sie haben auch gesagt, dass sie mich als Opfer sehen." Wenigstens dieses Ziel hat er erreicht, auch wenn es ein schwerer Tag für ihn war.