Ein Kampfpanzer "Leopard 2A6" der Bundeswehr nimmt an der litauisch-deutschen Militärübung "Griffin Storm 2023" auf einem Truppenübungsplatz in Pabrade teil.

Mehr als 11,7 Milliarden Euro So viele Rüstungsexporte wie noch nie

Stand: 27.12.2023 15:55 Uhr

Die Ampelregierung hatte sich vorgenommen, die deutschen Rüstungsexporte einzudämmen. Jetzt hat sie einen neuen Rekord aufgestellt. Das liegt vor allem an den Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine - aber nicht nur.

Die Bundesregierung hat bis Mitte Dezember Rüstungsexporte für mindestens 11,71 Milliarden Euro genehmigt und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Der bisherige Höchststand von 9,35 Milliarden Euro aus dem Jahr 2021 wurde um 25 Prozent übertroffen. Im Vergleich zum Vorjahr betrug der Anstieg sogar 40 Prozent.

Mehr als ein Drittel der genehmigten Ausfuhren ging mit 4,15 Milliarden Euro an die Ukraine für den Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen vom Bündnis Sahra Wagenknecht hervor, die der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.

Knapp 90 Prozent für NATO-Staaten und Verbündete

Die Zahlen betreffen den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 12. Dezember 2023, in dem die Bundesregierung die Ausfuhr von Kriegswaffen im Wert von 6,15 Milliarden Euro und von sonstigen Rüstungsgütern für 5,57 Milliarden Euro genehmigte. Knapp 90 Prozent entfallen auf Staaten der EU und der NATO, die Ukraine sowie auf Staaten, die bei der Rüstungsexportkontrolle genauso oder ähnlich wie NATO-Staaten behandelt werden - zum Beispiel Japan, Australien oder Südkorea.

Für sonstige sogenannte Drittländer wie zum Beispiel Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien gab die Bundesregierung Waffen und sonstige Rüstungsgüter für 1,76 Milliarden Euro aus deutscher Produktion frei.

Zeitenwende auch in der Rüstungsexportpolitik

Die Ampelregierung hatte sich in ihren Koalitionsverhandlungen auf Drängen von SPD und Grünen eigentlich vorgenommen, die Rüstungsexporte einzudämmen und dafür ein Kontrollgesetz auf den Weg zu bringen. Dann kam mit dem Ukraine-Krieg die Kehrtwende in der Rüstungspolitik. Das selbst auferlegte Verbot von Waffenlieferungen in einen laufenden Krieg wurde von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner "Zeitenwende"-Rede am 27. Februar 2022 einkassiert.

Im ersten Kriegsjahr wurden Waffenlieferungen für 2,24 Milliarden Euro für die Ukraine genehmigt, darunter Flugabwehrsysteme und Artilleriegeschütze. In diesem Jahr kamen unter anderem Kampfpanzer vom Typ "Leopard 2" hinzu, die die Bundesregierung nach langem Zögern bereitstellte. Die Exporterlaubnisse für die Ukraine stiegen auf 4,15 Milliarden Euro.

Der hohe Gesamtwert ist aber nicht alleine darauf zurückzuführen. Auch ohne die Ukraine genehmigte die Bundesregierung Exporte im Wert von weit mehr als sieben Milliarden Euro. Zum Vergleich: In den 16 Regierungsjahren von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde die Sieben-Milliarden-Marke nur drei Mal überschritten.

In der Rangliste der wichtigsten Empfängerländer folgen hinter der Ukraine mit Norwegen (1,20 Milliarden Euro), Ungarn (1,03 Milliarden Euro), Großbritannien (654,9 Millionen Euro), USA (545,4 Millionen Euro) und Polen (327,9 Millionen Euro) fünf NATO-Staaten.

Rüstungsexporte nach Israel verzehnfacht

Auf Platz sieben steht Israel mit Lieferungen für 323,2 Millionen Euro - etwa zehn Mal so viel wie im gesamten Jahr 2022 mit 32 Millionen Euro. Der Großteil der mehr als 200 Einzelgenehmigungen für Israel wurde früheren Angaben des Ministeriums zufolge nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober erteilt. Es geht dabei insbesondere um Komponenten für die Flugabwehr und Kommunikationsausrüstung.

Unter den Top Ten ist neben Israel mit Südkorea (256,4 Millionen Euro) nur ein Land, das nicht der NATO angehört. In deutlich kleinerem Umfang wurden auch in diesem Jahr wieder Rüstungslieferungen in Staaten aus dem arabischen Raum erlaubt, darunter die Vereinigten Arabische Emirate (78,2 Millionen Euro bis zum 30. November), Ägypten (40,3 Millionen), Katar (15,1 Millionen) und Saudi-Arabien (13,3 Millionen). Das geht aus einer weiteren Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage Dagdelens hervor. Exporte an diese Länder sind vor allem wegen der Menschenrechtslage dort und der Verwicklung in regionale Konflikte umstritten.

Nouripour mahnt Kontrollgesetz an

Nach Ansicht Dagdelens blamiert sich das Ampel-Bündnis mit "Gerede" über eine restriktive Rüstungsexportpolitik. Die Bundesregierung müsse aufhören, mit immer mehr Waffen weltweit Öl ins Feuer zu gießen. Dies befeuere auch den "sinnlosen Abnutzungskrieg" in der Ukraine.

Angesichts des Rekords bei den Rüstungsexporten setzt sich Grünen-Chef Omid Nouripour für eine baldige Einigung der Ampel auf ein Kontrollgesetz ein. Der neue Höchststand sei "eine schlechte Nachricht, weil das auch was aussagt über die Lage der Welt", sagte Nouripour der dpa. "Notwendig ist, dass wir jetzt vorankommen mit dem vereinbarten Rüstungsexportkontrollgesetz." Er gehe davon aus, dass das Gesetz im nächsten Jahr beschlossen wird.

Auch SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner nannte den Rekord eine "schlechte Nachricht". Ebenfalls der dpa sagte er: "Ich glaube, dass wir immer noch gut beraten wären, keine Waffen in Krisengebiete und Diktaturen zu liefern." Vor allem Rüstungsexporte an andere Drittstaaten außerhalb von EU und NATO kritisierte er. Insbesondere an Länder, "die jetzt nicht gerade zu den gefestigten Demokratien gehören." Als Beispiel nannte er Saudi-Arabien.

Anders sieht das der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter: Er forderte die Bundesregierung auf, ihre Blockade der Lieferung von "Eurofighter"-Jets nach Saudi-Arabien aufzugeben. Ein solcher Kurswechsel sei notwendig, "auch um zu verhindern, dass Saudi Arabien aus dem westlichen Lager abdriftet und sich beispielsweise China anschließt".

Georg Schwarte, tagesschau, 27.12.2023 09:15 Uhr