Nancy Faeser
Porträt

SPD-Spitzenkandidatin Faeser Die Getriebene

Stand: 27.09.2023 10:27 Uhr

Nancy Faeser möchte Ministerpräsidentin in Hessen werden. Ihre Chancen stehen Umfragen zufolge nicht allzu gut. Das dürfte auch an ihrem Job als Bundesinnenministerin liegen. Hat sich die SPD-Politikerin verkalkuliert?

Von Nicholas Buschschlüter, HR

Nancy Faeser kämpft derzeit an vielen Fronten. Vergangene Woche hat die Innenministerin eine Neonazi-Gruppierung "Hammerskins" verboten. Heute geht es mit einer Razzia gegen andere Rechtsextremisten des Vereins "Artgemeinschaft". Außerdem hat sie erneut einen Termin im Innenausschuss des Bundestags, es geht um die Asyl- und Migrationspolitik.

Im Innenausschuss war sie vergangene Woche erst. Da ging es um die umstrittene Abberufung des früheren BSI-Präsidenten Arne Schönbohm, die sie als Ministerin durchgesetzt hat. Drei Stunden lang wurde die SPD-Politikerin von den Abgeordneten in nicht-öffentlicher Sitzung befragt. Danach bekam sie von der Opposition erneut vorgehalten, dass ihre Antworten nicht zufriedenstellend seien. Zumal die Ministerin erst auf die dritte Einladung des Ausschusses überhaupt gekommen war, was ihr den Vorwurf einbrachte, kritischen Fragen aus dem Weg gehen zu wollen.

Hin- und hergerissen zwischen Bund und Land

Faeser wirkt in diesen Tagen wie eine Getriebene, aufgerieben von ihrer selbstgewählten Doppelrolle. Denn Faeser macht neben ihrem Job als Bundesinnenministerin noch Wahlkampf in eigener Sache. Sie möchte Ministerpräsidentin in Hessen werden. Eineinhalb Wochen sind es noch bis zur Landtagswahl. Für sie und ihre SPD sieht es nicht sonderlich gut aus.

Ein Problem: Die Ministerpräsidentenkandidatin kann in Hessen nicht wirklich angreifen, da sie sich in der Hauptstadt verteidigen muss. Eine Herausforderin hin- und hergerissen zwischen Bund und Land. Eine kräftezehrende Doppelbelastung, die vor allem von der CDU mit neuen Fragen und Vorwürfen immer wieder angefacht wird. Auch in der aktuellen Migrationsdebatte steht Faeser als Innenministerin unter Druck, für mehr Kontrolle zu sorgen.

Ministerjob als Sprungbrett

Dabei sah der SPD-Plan für die Wiedereroberung der Wiesbadener Staatskanzlei ganz anders aus. Am Nikolaustag 2021 wurde Nancy Faeser von Bundeskanzler Olaf Scholz als künftige erste Bundesinnenministerin vorgestellt. Ein Überraschungscoup: Mit der damals 51 Jahre alten hessischen Oppositionsführerin hatte in Berlin kaum jemand gerechnet. Als Ministerin sollte die gelernte Juristin an Profil für eine mögliche Kandidatur in Hessen gewinnen. Schließlich ist das Bundesinnenministerium ein Schlüsselressort und mit rund 80.000 Mitarbeitern, inklusive Bundespolizei, eines der größten Ministerien Deutschlands. Wer das ordentlich führt, ist auch für die Wiesbadener Staatskanzlei gut gerüstet, so der Plan. Nach 24 Jahren in der Opposition sollte Faeser die hessische SPD wieder in die Regierung führen.

Doch auch nach knapp zwei Jahren als Ministerin schlägt sich der Amtsbonus in den Umfragen kaum nieder. Die SPD-Politikerin ist zwar bekannter geworden, aber nicht beliebter. Im HessenTrend von Infratest dimap im Auftrag des HR liegt Faeser auf den Feldern Sympathie, Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Führungsstärke jeweils hinter den anderen beiden Kandidaten, Amtsinhaber Boris Rhein (CDU) und Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne). Auch bei einer hypothetischen Direktwahl zur Ministerpräsidentin würde die SPD-Kandidatin nur auf Platz drei landen.

Keine Gewinnerthemen

Das liegt auch an den Themen, mit denen Faeser als Innenministerin tagtäglich zu tun hat und mit denen sie in den Medien vor allem auftritt: Flüchtlingskrise, Clankriminalität, überforderte Kommunen. Alles keine Gewinnerthemen, sondern eher Klötze am Bein, die Faeser im Krisenmodus halten. Dazu das schlechte Image der Ampelkoalition in Berlin, das Faeser selbst als "keinen Rückenwind" bezeichnet hat.

Gleichzeitig fällt es der Ministerin schwer, mit landespolitischen Themen durchzudringen, da fast die Hälfte der hessischen Wähler Bundes- und nicht Landesthemen als wichtig für ihre Wahlentscheidung am 8. Oktober einstufen. 

Äußerlich sieht man der Sozialdemokratin den Druck, unter dem sie steht, kaum an. Im Vergleich zu ihrer Zeit im Wiesbadener Landtag wirkt sie inzwischen erfahrener, souveräner, sicherer. Ansatzlos pariert sie bei Pressekonferenzen Fragen zu so unterschiedlichen Themen wie dem Schutz der EU-Außengrenzen oder der hessischen Hausarztquote.

Im direkten Gespräch kann Faeser ausgesprochen herzlich sein, sie lacht gern und viel. Eine Rückkehr nach Hessen als Ministerpräsidentin sei für sie eine Herzensangelegenheit, betonte sie schon im vergangenen Februar.

Kampf gegen Rechtsextremismus

Faeser kann aber auch knallhart sein. Zwölf Jahre war sie innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, lieferte sich unzählige Rededuelle mit CDU-Innenminister Peter Beuth und machte sich im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss einen Namen.

Ihren Kampf gegen Rechtsextremismus hat sie in ihr Berliner Amt mitgenommen, zuletzt verbot sie die Neonazi-Gruppe "Hammerskins" und den Verein "Artgemeinschaft". In der Flüchtlingspolitik pocht sie auf ein neues europäisches Verteilsystem. Auch deshalb verorten Beobachter sie innerhalb der SPD eher im konservativen Lager, Abteilung Law-and-Order. Im hessischen Wahlkampf tritt Faeser für kostenfreie Bildung "von der Krabbelstube bis zum Meister" ein, für mehr Lehrkräfte und für bezahlbaren Wohnraum. 

Was wird aus Faeser nach der Wahl?

Sollte sie den Kampf um die Wiesbadener Staatskanzlei verlieren, will die Politikerin aus Schwalbach am Taunus nicht noch einmal Oppositionsführerin im Landtag werden. Das hat Faeser schon klargestellt. Auch den Posten einer stellvertretenden Ministerpräsidentin in einer möglichen Koalition mit der CDU schließt sie aus.

Bei einer Pressekonferenz im Rheingau wurde sie kürzlich gefragt, welche Rolle im Wahlkampf wichtiger sei: Bundesinnenministerin oder SPD-Spitzenkandidatin? Faesers Antwort: Das Amt habe immer Priorität, sie habe in Berlin schließlich große Verantwortung übernommen.

Dieses Amt in Berlin erweist sich jedoch nicht - wie anfangs erhofft - als Vorteil für sie. Im Gegenteil. Blickt man auf die aktuellen Umfragen, sieht es nicht so aus, als ob Faeser in Hessen bald Ministerpräsidentin werden könnte. Und in Berlin wird derzeit schon eine ganz andere Frage gestellt: Wird sich Faeser als Bundesinnenministerin halten können, wenn die SPD in Hessen nicht zumindest ein respektables Ergebnis einfahren sollte?

Die Spitzenkandidatin selbst sagte dazu vor einigen Tagen im Gespräch mit Journalisten: "Ich gehe davon aus, dass ich meinen Ministerposten halten würde, aber das entscheidet natürlich der Bundeskanzler."