Nancy Faeser
Analyse

Nancy Faeser Doppelrolle mit Risiko

Stand: 31.01.2023 11:29 Uhr

Wahlkämpfende Spitzenkandidatin in Hessen und Ministerin in Berlin - geht das gleichzeitig? Zumindest bis zur Wahl im Herbst will Nancy Faeser diese Doppelrolle offenbar einnehmen - mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Eine Analyse von Ute Wellstein, HR

Wenn die hessische SPD-Vorsitzende Nancy Faeser am Freitag umrahmt von Malu Dreyer und Anke Rehlinger auf der Bühne steht, ist die Botschaft klar: Die SPD-Frauen können regieren. Zwei davon haben es bereits bewiesen, Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz und Anke Rehlinger im Saarland, die dritte, Nancy Faeser, will es ihnen in Hessen gleichtun.

Auf dem sogenannten Hessengipfel im nordhessischen Friedewald, einem traditionellen Treffen von hessischen SPD-Abgeordneten und Parteifunktionären, soll die Bundesinnenministerin zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Herbst gekürt werden.

Wetten, dass sie es macht?

Seit ihrem Amtsantritt im Bundeskabinett Ende 2021 stand immer wieder die Frage im Raum, ob sie nicht eigentlich lieber Ministerpräsidentin in Hessen werden will. Die Antwort wurde in den vergangenen Wochen immer klarer. "Ich wette, dass Nancy Faeser SPD-Spitzenkandidatin in Hessen wird", spottete unlängst ein führender Abgeordneter der Grünen im hessischen Landtag. Er finde nur niemanden mehr, der gegen ihn wette.

Ohne Faeser stünde die Hessen-SPD blank da

Die Hessen-SPD wäre auch schlecht beraten, wenn sie eine andere Person als Faeser ins Rennen um die Staatskanzlei in Wiesbaden schicken würde. Zumal sie wohl auch niemanden hätte und ziemlich blank dastehen würde.

Niemand in der hessischen SPD ist auch nur annähernd so bekannt wie Faeser. Auftritte auf nationaler und internationaler Bühne, mit "One-Love-Binde" bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar, Razzien gegen "Reichsbürger", schärfere Waffengesetze, die Frage nach effektiveren Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber: Als Bundesinnenministerin ist sie fast täglich in den Nachrichten.

Gefahren für den Wahlkampf

Die Doppelrolle birgt allerdings auch Gefahren für ihren Wahlkampf. Ein Anschlag, steigende Flüchtlingszahlen oder ein großer Cyberangriff könnten jederzeit dafür sorgen, dass die politische Debatte sich plötzlich um ganz andere Themen dreht als um die hessische Landespolitik. Das Risiko muss sie in Kauf nehmen, wenn sie als amtierende Bundesinnenministerin Wahlkampf führt.

Und sie nimmt es offenbar in Kauf. Sie will den Wahlkampf trotzdem führen, ohne ihr Amt als Bundesinnenministerin aufzugeben, bestätigen Vertraute aus der hessischen Landespolitik. Die Vorteile überwiegen aus Sicht der SPD die Risiken, auch wenn die Opposition das Thema schon nutzt, um sie anzugreifen. 

"Ein Landtagswahlkampf als Spitzenkandidatin fordert die ganze Person, genauso wie das Amt der Bundesinnenministerin - gerade in diesen Zeiten", sagte etwa Konstantin von Notz, Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, dem "Handelsblatt". Und FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki warnte in den Funke-Zeitungen, das Innenministerium sei "keine geeignete Wahlkampfbühne in diesen ernsten Zeiten".

Wandern mit den Grünen

Doch für Faeser spricht aus Sicht der hessischen SPD viel: Als gelernte Wirtschaftsanwältin wirkt sie auch über das klassische SPD-Milieu hinaus, sie ist aus ihrer Zeit als Oppositionsführerin im Wiesbadener Landtag bestens vernetzt im Land und sie hat gute Beziehungen zu möglichen Koalitionspartnern entwickelt. Vor dem Wechsel nach Berlin war die Sozialdemokratin seit 1996 in der hessischen Kommunal- und Landespolitik aktiv und saß 18 Jahre im Landtag.

Mit dem grünen Fraktionsvorsitzenden, Mathias Wagner, ging sie demonstrativ wandern, auch unter FDP- und CDU-Abgeordneten gilt sie als eine, mit der man nach einem streitbaren Plenumstag trotzdem noch gut reden und auch mal lachen kann. Mit der FDP hat die SPD unter ihrer Führung eine Reihe von gemeinsamen parlamentarischen Initiativen auf den Weg gebracht und der schwarz-grünen Landesregierung eine schwere Niederlage zugefügt. Auf Antrag der beiden Parteien wurde das Corona-Sondervermögen vom Hessischen Staatsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt.

Diese Anschlussfähigkeit zu anderen Parteien kann nach der hessischen Landtagswahl entscheidend sein, wenn es darum geht, eine Koalition zu schmieden. Für die CDU tritt der amtierende Ministerpräsident Boris Rhein an, für die Grünen der für einen Landespolitiker sehr bekannte Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir.

Das Wahlergebnis könnte so knapp ausfallen, dass mehrere Koalitionen denkbar wären. In die Staatskanzlei zieht dann ein, wer eine Mehrheit bilden kann - nicht zwangsläufig die Person, deren Partei auf dem ersten Platz landet.

Das Ypsilanti-Trauma

In Hessen hat man damit Erfahrung: Obwohl die CDU seit den 1970er-Jahren überwiegend stärkste Partei war, hat die SPD trotzdem einige Koalitionen mit der FDP oder den Grünen angeführt. 2008 versuchte die Parteilinke Andrea Ypsilanti, eine Regierung mit Unterstützung der Linkspartei zu bilden, obwohl sie vorher versprochen hatte, genau das nicht zu tun. Dieser Wortbruch ließ die hessische SPD abstürzen, in drei Landtagswahlen konnte sie sich nicht davon erholen. Die Partei träumt nun davon, Hessen unter der Führung von Faeser wieder zu einem roten Land zu machen.

Sie wäre dann auch die erste Frau, die das Bundesland führen würde. Dafür soll in Friedewald der offizielle Startschuss gegeben werden, mit Hilfe der beiden Ministerpräsidentinnen aus dem Saarland und aus Rheinland-Pfalz.

Modell Röttgen oder Modell Kanther?

Wenn es am Ende aber nicht reichen sollte und die hessische SPD nur Juniorpartner am Kabinettstisch würde oder gar erneut in der Opposition landen sollte - was würde Faeser dann machen? Will sie dann Bundesinnenministerin bleiben und die Landespolitik wieder ihren Genossen überlassen? Dem Vernehmen nach hat sie nicht vor, in Hessen die Opposition anzuführen, wie sie es schon einmal getan hat.

Auch darin liegt eine Gefahr: Dem damaligen CDU-Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen, Norbert Röttgen, haben die Wähler diese Haltung übelgenommen. Erst verlor er 2012 die Landtagswahl - und dann seinen Platz an Angela Merkels Kabinettstisch. In der SPD verweisen sie lieber auf Manfred Kanther, der 1995 als Bundesinnenminister in Hessen für die CDU in den Wahlkampf zog, sie zur stärksten Partei machte, aber trotzdem nicht Ministerpräsident wurde, weil sich eine rot-grüne Mehrheit fand. Er blieb danach noch jahrelang Bundesinnenminister.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 31. Januar 2023 um 03:20 Uhr.