Vor einer Fabrik mit qualmenden Schornsteinen steht ein Zug mit Pkw.

Experten monieren Klimaschutzmaßnahmen Viel Kritik an der "Klimalücke" der Ampel

Stand: 22.08.2023 19:13 Uhr

Das schlechte Urteil des Expertenrats am Klimakurs der Ampelkoalition ruft breite Kritik hervor. Vor allem Umweltverbände sehen die eigenen Einwände bestätigt. Klimaminister Habeck räumt Nachholbedarf ein, eigene Fehler jedoch nicht.

Es ist ein ziemlich schlechtes Zeugnis, das der unabhängige Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung ausgestellt hat: Diese tut aus Sicht der Experten zu wenig für einen wirkungsvollen Klimaschutz und wird die Klimaziele für 2030 und 2045 klar verfehlen - und zwar voraussichtlich deutlicher, als es die Ampelkoaltion selbst einschätzt.

Nach der Stellungsnahme des Expertenrats lässt die Kritik von Umweltschützern nicht lange auf sich warten. "Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung ist das Gegenteil von verantwortungsvoller Politik", zog die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ihr Fazit. Deren Geschäftsführerin Barbara Metz sprach gar von einem "Pseudo-Klimaschutz". Sie wirft der Bundesregierung vor, geltendes Recht zu brechen.

Ein Vorwurf, dem sich auch die Organisation Germanwatch anschloss. Sie forderte Bundeskanzler Olaf Scholz auf, dafür zu sorgen, "dass der fortgesetzte Rechtsbruch beim Klimaschutz durch die gesamte Regierung endlich endet".

Expertenrat kritisiert Klimaschutzprogramm der Bundesregierung

Viktoria Kleber, ARD Berlin, tagesthemen, 22.08.2023 22:30 Uhr
Was ist der Expertenrat für Klimafragen?

Der Expertenrat für Klimafragen setzt sich aus fünf Sachverständigen zusammen, die für jeweils fünf Jahre von der Bundesregierung berufen werden. Derzeit hat der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, Hans-Martin Henning, den Vorsitz inne. In ihrer Arbeit werden die Mitglieder von einem wissenschaftlichen Stab unterstützt.

Der Rat ist nur an den durch das Bundesklimaschutzgesetz begründeten Auftrag gebunden und in seiner Tätigkeit unabhängig. Das Gremium prüft die jährlich durch das Umweltbundesamt erstellten Daten der Treibhausgasemissionen. Werden die Klimaziele in einem der geprüften Sektoren nicht eingehalten, sind die zuständigen Ministerien verpflichtet, Sofortprogramme zu erstellen. Auch diese werden anschließend vom Expertenrat überprüft.

Streit über geplantes Aus der Sektorenziele

Hintergrund dieses Vorwurfs ist die von der Ampelkoalition geplante Änderung des Klimaschutzgesetzes - und die damit einhergehende Abschaffung der sogenannten Sektorenziele für die einzelnen Bereiche wie Verkehr, Industrie oder den Gebäudesektor.

Verfehlt ein Bereich sein Ziel, muss bislang ein Sofortprogramm vorgelegt werden, mit welchen Maßnahmen die Überschreitungen bei den Treibhausgasemissionen vermieden werden können. Mit der geplanten Reform soll aber nur die Menge an klimaschädlichen Emissionen entscheidend sein, die alle Sektoren verursachen - und damit kann quasi ein Bereich die Überschreitungen eines anderen ausbügeln.

Solange die Reform noch nicht vom Bundestag beschlossen und in Kraft getreten ist, gilt weiterhin die Pflicht, Sofortmaßnahmen zu erarbeiten, wenn ein Sektor die Einsparungen nicht einhalten kann. Das trifft etwa auf den Verkehrsbereich unter Ministeriumschef Volker Wissing zu. Doch im April sahen das Bundesverkehrsministerium sowie das Kanzleramt die geplante Gesetzesänderung als ausreichende Begründung an, den FDP-Politiker und sein Ressort von dieser Pflicht zu entbinden.

Ein "vernichtendes", aber kein überraschendes Urteil

In der Beurteilung durch den Expertenrat bleibt der Verkehrssektor in Zukunft Klimasünder Nummer eins. Bis 2030 bleibt in diesem Bereich eine Lücke zwischen 117 und 191 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten, die eingespart werden müssten, um die Klimaziele zu erreichen. Im Gebäudesektor sind es 35 Millionen Tonnen. Und trotz des "hohen Anspruchs", den sich die Ampelkoalition mit ihren 130 Maßnahmen für einen besseren Klimaschutz gesetzt habe, bleibt in den Augen des Expertengremiums offen, wie die Bundesregierung diese Lücke schließen will.

Für den Präsidenten des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) ist das ein "vernichtendes Urteil", das jedoch keinesfalls überraschend komme. Die Bundesregierung verweigere schlicht, wirksamere Lösungen gegen den Klimawandel zu ergreifen, beispielsweise Mindesteffizienzstandards für den Gebäudesektor festzulegen. Doch die Ampel habe die Verfehlung der Klimaziele in ihrem Klimaschutzprogramm offenbar schon "eingepreist", so der Vorwurf des NABU.

Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen: Klimaschutz-Maßnahmen der Ampel reichen nicht

tagesschau24, 22.08.2023 19:00 Uhr

BUND mahnt sozialen Ausgleich an

Die Bewegung "Fridays for Future" kritisiert, mit der geplanten Aufhebung der Sektorenziele solle vertuscht werden, dass Deutschland gerade im Verkehrssektor bereits seit Jahren meilenweit hinterherhänge, was die Reduzierung von Treibhausgasen betreffe. Auch der WWF Deutschland drängte auf einen "wirksamen und umfassenden Klimaschutz in allen Sektoren. Dafür brauche es ein stringentes Gesamtkonzept mit einem starken Klimaschutzgesetz als Kern.

Während "Fridays for Future" mit Blick auf den Verkehrssektor aber auch "unpopuläre Maßnahmen" für notwendig hält, mahnte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), dass Klimaschutz auch mit sozialer Gerechtigkeit einhergehen müsse. "Die breite Zustimmung in der Bevölkerung wird daran hängen, ob Klimaschutz gleichzeitig auch gute Lebensbedingungen erhält", hieß es von der Organisation.

Spahn bescheinigt Ampel fehlerhaften Klimakurs

Auch aus der CDU kommt anlässlich der Einschätzung des Exertenrats massive Kritik am Klimakurs der Ampel. Das bisherige Vorgehen der Bundesregierung bestehe lediglich "aus Ankündigungen, Verzögerungen und Erklärungslücken", schrieb der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn im Kurzmitteilungsdienst X (ehemals Twitter). "Wir müssen wissen, welches Gesetz welchen konkreten Klima-Effekt hat."

Von den Ampelparteien entwickelte Maßnahmen wie das vorerst auf Eis gelegte Heizungsgesetz bezeichnete Spahn als pure Ideologie und monierte, dass die Bundesregierung zudem "das Herzstück einer funktionierenden Klimapolitik" missachte, und das sei ein "Klimaschutz-Markt, bestehend aus CO2-Preis und Zertifikatehandel".

Habeck räumt noch "viel Arbeit" ein

Aus den Reihen der Ampelparteien selbst klingt das natürlich etwas anders. Aus dem so scharf kritisierten Verkehrsministerium hieß es, das jüngste Klimapaket der Bundesregierung sei "ein Meilenstein". Es beinhalte gezielte Anreize für klimafreundliche Mobilität. Eine Ministeriumssprecherin verwies auf die Lkw-Maut, mehr Investitionen in die Schiene und das Deutschlandticket im Nahverkehr. "Damit kommen wir den Klimazielen weitere wichtige Schritte näher", betonte sie.

Von Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck kommen durchaus auch ein paar selbstkritische Töne. Zwar bescheinigte er der Klimaschutzpolitik der Ampel deutliche Fortschritte, gleichzeitig liege aber noch "viel Arbeit" vor der Bundesregierung. Wie bereits zuvor begründete der Grünenpolitiker dieses hohe, noch zu erfüllende Arbeitspensum auch mit den Fehlern der zuvor amtierenden Großen Koalition. Die Vorgängerregierung habe eine "Klimaschutzlücke" hinterlassen, die mit den von der Ampel geplanten Maßnahmen aber um bis zu 80 Prozent geschlossen werden könne.

Größere Lücke als erwartet

Dem Expertenrat zufolge überschätzt die Bundesregierung jedoch die eigene Einschätzung über die Wirksamkeit der Klimaschutzmaßnahmen. Die Lücke bei den Treibhausgaseinsparungen werde größer ausfallen als erwartet. Das Umweltbundesamt geht derzeit davon aus, dass bis 2030 eine Lücke an einzusparenden Emissionen von bis zu 331 Millionen Tonnen klafft.

Zu Zeiten der Großen Koalition habe diese Prognose noch 1.100 Millionen Tonnen betragen, betonte Habeck. Doch die Ampelparteien hätten viele wichtige Weichen für einen besseren Klimaschutz gestellt - vom Ausbau der Erneuerbaren Energie bis hin zur gezielten Förderung der Dekarbonisierung in der Industrie.

Scholz mahnt "Mut auf allen Ebenen" an

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz rief bei einem Besuch in einem Windpark in der Eifel zu "Mut auf allen Ebenen" auf, was den Ausbau und die Nutzung von Erneuerbaren Energiequellen betreffe. In diesem Zusammenhang mahnte er auch den schnelleren Ausbau der Stromtrassen in die südlichen Bundesländer wie Bayern an.

Erst im Juli war der Startschuss für die Stromtrasse SuedLink gefallen, welche von Brunsbüttel aus rund 700 Kilometer in den Landkreis Heilbronn führen soll. Wären solche Trassen bereits gebaut, betonte Scholz, so "hätten wir jetzt schon günstigere Strompreise in Deutschland".