Das Bundeskabinett bei der Klausur in Schloss Meseberg.
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Kabinettsklausur in Meseberg Momentaufnahme der Geschlossenheit

Stand: 30.08.2023 19:13 Uhr

Die Ampelkoalition hat bei ihrer Kabinettsklausur zahlreiche Vorhaben auf den Weg gebracht und Harmonie demonstriert. Und doch gab es mindestens einen Elefanten im Raum.

Eine Analyse von Corinna Emundts, tagesschau.de

Bis zum Abschlussstatement der Kabinettsklausur in Meseberg fehlte auch am zweiten Tag ein ganz bestimmtes Wort - und das sicher nicht zufällig: Vom "Neustart" der Ampelkoalition mochte hier keiner reden. Wenn es nach Bundeskanzler Olaf Scholz geht, braucht es den auch nicht, allenfalls gehe es um bessere Kommunikationsstrategien. Schließlich, so betonte er häufig, könne sich die Leistungsbilanz der Ampelkoalition sehen lassen.

Man meint bei ihm immer noch die Erleichterung zu spüren, etwa bei Netzausbau und Bürokratieabbau schneller loslegen zu können, als in der Zeit der Großen Koalition.

Ampelkoalition bringt mehrere Gesetzentwürfe bei Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg auf den Weg

Claudia Buckenmaier, ARD Berlin, tagesschau, 30.08.2023 20:00 Uhr

Wohlfühlevent nach Fehlstart

Und doch war im Kabinett jedem Mitglied klar, dass die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit an einen Neustart nach der Sommerpause hoch war - nach der verkorksten ersten Jahreshälfte des Bündnisses aus SPD, Grünen und FDP.

Nicht nur, dass der Bürokratieindex in den vergangenen zwei Jahren angestiegen war, wie Justizminister Marco Buschmann in Meseberg selbstkritisch anmerkte. Es liegt ein hartes Frühjahr hinter der Koalition - mit der Graichen-Affäre, verbunden mit dem Geschacher von FDP versus Grüne um das Heizungsgesetz, was an anderer Stelle - nämlich der Einigung zur Kindergrundsicherung - bis zum Sonntag weiterging.

Für den Kanzler eine Situation, die nicht seiner Art Politik zu machen entspricht: Ginge es nach Scholz, gäbe es mehr geräuschloses Regieren. Da würde möglichst hinter verschlossener Tür diskutiert, Expertinnen und Experten zugehört, lieber ein bisschen länger nachgedacht, um dann geeint nach außen getreten. Einen "Schalldämpfer" wünscht er sich deswegen für seine Koalition bei zukünftigen Auseinandersetzungen.

Keine kontroversen Themen auf der Tagesordnung

Nach außen hin soll die Klausur das Signal des Anpackens für Wirtschaftsförderung durch Steuererleichterungen und Bürokratieabbau senden, die SPD-Mann Scholz, der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck und FDP-Finanzminister Christian Lindner schon nach wenigen Stunden vorstellten - womöglich um schon mal Druck herauszunehmen und zu zeigen: Wir packen es an.

Für den Moment ist Scholz' Anspruch in Meseberg umgesetzt und erfüllt: In der recht kompakten Zusammenkunft - einem Nachmittag, einem Abend und dem folgenden Vormittag - drang kein Disput nach draußen, wenn es überhaupt einen gab. Wohl auch, weil nichts auf der Tagesordnung stand, was zu Streit einlud.

Auch bei der abschließenden Pressekonferenz schienen sich Scholz, Habeck und Lindner vorgenommen zu haben, trotz kritischer Fragen keine Meinungsverschiedenheiten zu offenbaren. Der Kanzler, der zuletzt sogar von seiner eigenen Fraktion wegen fehlender Führungsstärke und schlechter Kommunikation kritisiert worden war, wollte den Auftritt nutzen, um zu zeigen, dass er das Heft des Handelns in der Hand hat.

Eine Klausur nach dem Geschmack des Kanzlers

Ungeklärte Fragen, wie die um den von Habeck mit Unterstützung der SPD-Fraktions- und Parteispitze vorgeschlagenen Industriestrompreis, oder einer von Lindner bevorzugten Senkung der Stromsteuer, wurden gezielt umschifft. Stattdessen lobten Lindner und Habeck die Autonomie und die Debattenbeiträge der Fraktionen.

Eine Klausur also ganz nach Geschmack des Kanzlers: Nicht nur, dass sich alle geschlossen hinter den vorgestellten Projekten öffentlich vereinen konnten - in den nicht-öffentlichen Runden gab es auch den Anspruch, den Blick über den Regierungsalltag hinaus zu weiten: Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft hielten Vorträge über Künstliche Intelligenz als Zukunftstechnologie für die Verbesserung der Verwaltungsdigitalisierung sowie über den digitalen Fortschritt zwischen Datennutzung und Datenschutz.

Matthias Deiß, ARD Berlin, zzt. Meseberg, mit Einordnungen zur Klausur in Meseberg

tagesschau, 30.08.2023 12:00 Uhr

"Triggerpunkte" der Gesellschaft

Beeindruckt, so hört man in Regierungskreisen, war das Kabinett von einem analytischen Blick auf die gesamte Gesellschaft durch den Soziologen Steffen Mau, der über gesellschaftliche Triggerpunkte referierte - und die Frage, wie gespalten die Gesellschaft wirklich sei, wie unversöhnlich sich Lager gegenüberstünden - aber auch, wo es großen Konsens gebe.

Themen, die dazu führten, dass Koalitionäre in vielen Tischgesprächen bis Mitternacht weiter diskutierten, so hört man - der harte Kern sogar bis halb 2 Uhr morgens. Habeck resümierte am Folgetag: Der Druck auf Gesellschaft und Politik sei insgesamt "sehr, sehr hoch". Dabei helfe zu verstehen, "dass verschiedene Blickwinkel eine Stärke sind". Ein ganz klar auch ins Ampelinnere gerichteter Appell.

Die schlechten Umfragewerte waren kein Thema

"Wir können also auch anders!" Mit solch einem Gefühl der Zufriedenheit mögen zumindest Scholz, Habeck und Lindner am Mittwochnachmittag nach Berlin zurückgekehrt sein - und müssten sich doch eingestehen, dass dies nur gelang, weil viel ausgeklammert wurde.

Der Elefant in den Räumen Mesebergs war aber spürbar: die schlechten Umfragewerte der Regierung und regierenden Parteien sowie der Höhenflug der AfD. Gegen beides hat die Koalition bisher kein Rezept gefunden - und beides mag so gar nicht zum Mantra der von Scholz vorgetragenen positiven Leistungsbilanz passen.

Weitestgehend ausgeklammert wurden auch die politischen Verschiedenheiten der Koalitionsparteien und der Umgang damit. Während sich SPD und Grüne eher darum bemühen, Ampelkompromisse als gemeinsame politische Erfolge darzustellen, scheint sich die FDP auf eine andere Strategie festgelegt zu haben: Sich nicht zu sehr von rot-grünen Projekten vereinnahmen lassen, sondern Schlimmstes verhindern, gar in die Oppositionsrolle zu schlüpfen.

"Zuviel Bürokratie in diesem Land", Rainer Dulger, Präsident Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

tagesthemen, 30.08.2023 22:15 Uhr

Womöglich bräuchte es noch eine weitere Klausur, dann hinter ganz verschlossenen Türen, um dieses Miteinander zu hinterfragen - oder aber um eine andere Kommunikationsstrategie zu entwickeln, die so zusammengefasst werden könnte: "Wir sind halt so, bei uns läuft es geräuschvoller und nicht ohne Disput, aber dann kommt auch etwas dabei raus." So in etwa ließ Lindner das schon in Meseberg als neues Motto anklingen.

Bei der vorletzten Frühjahrsklausur in Meseberg gab es einen Vortrag zum Thema "Zuversicht" - die wird diese ungewöhnliche Koalition auch weiter brauchen.

Mit Informationen von Claudia Buckenmaier und Michael Strempel, ARD-Hauptstadtstudio

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 30. August 2023 um 18:00 Uhr.