Christian Lindner auf dem FDP-Bundesparteitag
analyse

FDP-Bundesparteitag "Kein Scheidungsantrag für die Koalition"

Stand: 27.04.2024 21:12 Uhr

Viel war in den vergangenen Tagen die Rede davon, ob die FDP noch in der Ampelkoalition verbleiben will. Die Töne dazu waren auf dem Bundesparteitag in Berlin ziemlich eindeutig.

Die FDP wirkt wie beflügelt - von ihrem eigenen Papier für mehr Wirtschaftswachstum, das Parteistrategen rechtzeitig und durchaus geschickt vor dem Parteitag in der Öffentlichkeit platziert hatten. Aber das Papier, das als Weckruf an das Dreierbündnis unter Olaf Scholz dienen soll, wirkt auch nach innen: Einige FDP-Delegierte tragen die zwölf Punkte stolz auf bedruckten T-Shirts durch die Parteitagshalle. Es hat einen Nerv getroffen, das spürt man am Rande des FDP-Bundesparteitags in vielen Gesprächen. 

Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger frohlockt schon in der Begrüßung voller Eigenlob: "Seit Jahren wurde nicht mehr so intensiv und ausführlich über Wirtschaftspolitik diskutiert wie in diesen Tagen." Wirtschaftspolitik sei endlich zurück in der öffentlichen Wahrnehmung - "dank unseres Weckrufs!"  

Tina Hassel, ARD Berlin, zur Rede von Parteichef Lindner auf dem Parteitag

tagesschau, 27.04.2024 20:00 Uhr

Die Wirtschaft schwächelt in Deutschland. Die FDP hat damit ihr Leib- und Magenthema wieder - und das stärkt das Selbstbewusstsein. Bürokratie abbauen, Überstunden fördern, den Soli und die Rente mit 63 abschaffen - alles für die Wirtschaft. Wie ein roter Faden zieht sich der Begriff "Wirtschaftswende" von Parteichef und Finanzminister Christian Lindner durch den Parteitag, er wird zum Dreh- und Angelpunkt seiner Rede. Den Begriff hat er vor einiger Zeit schon ins Leben gerufen.

"Weckrufe zu unserer Wettbewerbsfähigkeit"

Natürlich hätte Lindner nichts dagegen, wenn die Wortwahl bald für die zweite Hälfte der Ampel-Legislatur so historisch prägend würde wie das Wort des Bundeskanzlers von der "Zeitenwende" nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Dabei sei diese Wirtschaftswende kein Selbstzweck, denn sie diene allem: den finanziell Schwachen, die mehr Arbeit fänden, der Demokratie, der Bündnis- und Landesverteidigung.

Bericht vom Parteitag der FDP

Schließlich entstünden gerade durch Putins Angriffskrieg neue Ausgaben, eine Aufgabe für Jahrzehnte. Das gehe nicht auf Pump. Das soll eine Anspielung auf die von SPD und Grünen, aber auch CDU-regierten Ländern geforderte Reform der Schuldenbremse sein. 

Lindner beginnt seine Rede mit einem Seitenhieb auf Scholz: "Manche sagen ja, die Wirtschaft würde Klagelieder anstimmen. Ich sage, wir dürfen die Weckrufe zu unserer Wettbewerbsfähigkeit nicht überhören, denn sonst verlieren wir Substanz." Der Delegiertenapplaus ist ihm mit solchen Sprüchen sicher. 

Kein weiterer Spaltpilz

Doch insgesamt bleibt Lindner mit seiner über einstündigen Rede in der Balance zwischen Kritik und Lob der eigenen Regierung: zwischen Punkten der Ampel-Gesetzesentwürfe, die die FDP kritisch sieht und Erwähnungen der Dinge, in denen die Ampel sehr viel besser sei als die Vorgängerregierung.

Der Entwurf zur Kindergrundsicherung etwa müsse dringend überarbeitet werden, weil er den "Status der Absurdität erreicht" habe. Doch nennt Lindner dabei weder den grünen Koalitionspartner noch deren zuständige Ministerin Lisa Paus beim Namen. Stattdessen teilt er eher gegen CDU und CSU aus, gerade, wenn es um das bisherige Klimaschutzgesetz geht, das die Ampelkoalition nun "Gott sei Dank" überarbeitet und verbessert habe.

Der FDP-Politiker will heute ganz offenkundig keinen weiteren Spaltpilz in die Koalition treiben, kein weiteres Signal der Ampel-Müdigkeit senden - das richtet sich auch an die parteiinternen Rebellen, jedoch eine Minderheit in der FDP, die am liebsten einen neuen Mitgliederentscheid zum Ausstieg aus der Ampel starten würden. Arbeit fördern statt Arbeitslosigkeit, Steuern senken statt Erneuerbare Energien subventionieren - Lindner erntet für jeden Punkt Applaus.

Deutliche Kritik an der CDU

Doch die FDP grenzt sich nicht nur von den Koalitionspartnern SPD und Grüne ab, ohne sie aber schlecht zu reden. Noch deutlicher ist die Kritik an der CDU, weil sie nicht verlässlich zur Schuldenbremse stehe - und weil EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Wirtschaft unnötig belaste. "Es hat einen Grund, warum die CDU ihre Europa-Spitzenkandidatin auf den Plakaten verbirgt. Denn der Bürokratiestress hat einen Vornamen: Ursula."  

Der Europawahlkampf ist damit auch auf dem FDP-Parteitag eingeläutet. Spitzenkandidatin ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die sich als Verteidigungspolitikerin einen Namen gemacht hat. Sie wirbt für eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik und warnt vor den "Rechtsradikalen" der AfD und dem "linksradikalen Bündnis" von Sahra Wagenknecht: "Beide wollen ein Mandat, um Deutschland aus allen Bündnissen, aus der EU, aus der NATO herauszuführen. Es wäre nicht nur eine volkswirtschaftliche Katastrophe, es würde uns hundert Jahre zurückwerfen." 

Trotz schlechter Umfragewerte hofft die FDP auf eine erfolgreiche Europawahl. Es wird ein wichtiger Stimmungstest, auch bundespolitisch. Ein Ergebnis unter fünf Prozent wäre für die Lindner-Partei ein schlechtes Omen - auch, wenn es bei der Europawahl keine Fünf-Prozent-Hürde gibt. Denn danach folgen im Herbst Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann hält einen Blumenstrauß hoch, neben ihr Christian Lindner (links) und Bijan Djir-Sarai (rechts)

Die FDP geht mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Spitzenkandidatin in die Europawahl.

Haushaltsklippe nach der Europawahl

Der brandenburgische Spitzenkandidat Zyon Braun will die FDP wieder in den Landtag bringen. Und appelliert an seine Partei: "In Brandenburg regiert Kenia: SPD, CDU und Grüne. Und wenn sie glauben, die Ampel ist schwierig, kann ich ihnen nur sagen, dann kommen sie mal zu uns!"

Es gibt aber auch jene Stimmen in der FDP, die offen drohen, wie Florian Kuhl aus Bayern: "Wenn unsere zwölf Punkte nicht umgesetzt werden können, wenn wir den Kurs dieses Landes nicht in Richtung von Wachstum und Innovation verändern können, dann können wir darauf nur eine Antwort geben und zwar: Raus aus der Koalition!" Die meisten halten jedoch dagegen: Die FDP wolle einiges verändern, aber in der Regierung. Dafür spricht sie sich bei diesem Parteitag selbst Mut zu. 

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bittet zum Ende des ersten Tages der Zusammenkunft eindringlich um Zustimmung zum Leitantrag: Dieser sei kein Scheidungsantrag für die Ampelkoalition, "sondern eine Liebeserklärung an unser Land!" Man sei nicht im luftleeren Raum, nicht Opposition, sondern Regierungspartei - wolle aber natürlich dies in der Koalition einbringen. Der pragmatische Kurs, das Beste aus diesem zuweilen sehr kontrovers auftretenden Dreierbündnis zu machen, hat derzeit deutlich Oberwasser gewonnen bei den Freien Demokraten - fürs Erste.

Doch die echte Klippe für das Verbleiben in der Koalition, der Haushalt 2025 und die dazugehörigen konfliktreichen Beratungen, warten spätestens nach der Europawahl. Das wissen sie alle am Tagungsort "Station Berlin". Aber vorerst, so scheint es, wollen sie sich die selbstbewusste Laune davon nicht verderben lassen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 27. April 2024 um 20:00 Uhr.