Christian Lindner
analyse

Auftakt der Haushaltswoche Die fetten Jahre sind vorbei

Stand: 05.09.2023 06:00 Uhr

Nach dem Ende der Sommerpause bringt Finanzminister Lindner heute den Haushaltsentwurf für 2024 in den Bundestag ein. Der Etat soll die Schuldenbremse einhalten - für Zusatzwünsche bleibt wenig Spielraum.

Eine Analyse von Martin Polansky, ARD Berlin

Finanzminister Christian Lindner hat zuletzt im ARD-Sommerinterview am Sonntag klar gemacht, was mit dem Bundeshaushalt 2024 erreicht werden soll: Eine Rückkehr zu finanzpolitscher Normalität nach Jahren des Schuldenmachens. "Die Defizite sind zu hoch. Wir haben Krisenmaßnahmen, die haben die Verschuldung angetrieben", so der FDP-Politiker. Es gehe nun um Konsolidierung.

In Lindners Haushaltsentwurf sind im kommenden Jahr Ausgaben in Höhe von gut 445 Milliarden Euro vorgesehen, rund 30 Milliarden Euro weniger als in diesem Jahr, aber immer noch rund 90 Milliarden Euro mehr als 2019 - dem letzten Haushalt vor Corona. Danach folgten Pandemie und Energiekrise, bedingt durch den russischen Krieg in der Ukraine. Der Bund setzte von 2020 bis 2022 die Schuldenbremse aus und nahm Kredite auf wie nie zuvor. Im regulären Haushalt und in diversen sogenannten Sondervermögen, also Nebenhaushalten mit milliardenschweren Zusatzkrediten.

Lindner im ARD-Sommerinterview: Stärkung der Wirtschaft statt weiteren Sozialausgaben

Sarah Frühauf, ARD Berlin, tagesschau, 03.09.2023 20:00 Uhr

Fast alle Ressorts müssen sparen

Im kommenden Jahr sollen nun alle Ressorts bis auf das Verteidigungsministerium sparen. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dennis Rohde, ist seit zehn Jahren im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. "Das ist mit Abstand der herausforderndste Haushalt, den wir bislang hatten", sagt er. Vieles müsse hinterfragt werden, damit am Ende die Schuldenbremse eingehalten werden könne. "Uns ist dabei wichtig, dass am Ende die innere, äußere und soziale Sicherheit gewahrt bleibt. Und das sehe ich in diesem Haushalt."

Große Einsparbeträge ergeben sich dadurch, dass der Bund die Zuschüsse zur Renten- und zur Pflegeversicherung reduziert. Außerdem sollen sehr gut Verdienende kein Elterngeld mehr bekommen.

Es gibt aber auch zusätzliche Ausgabenwünsche: So soll das Bürgergeld angehoben werden, was im Haushaltsentwurf nur zu einem kleinen Teil berücksichtigt ist. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil rechnet mit 4,3 Milliarden Euro Gesamtkosten.

Die Gastronomie kämpft gegen die Rückkehr zum vollen Mehrwertsteuersatz im kommenden Jahr. Die Beibehaltung des verringerten Satzes würde gut drei Milliarden Euro weniger Einnahmen für den Staat bedeuten. Die energieintensive Industrie fordert staatliche Hilfen oder steuerliche Entlastungen bei den Stromkosten. Auch das wäre je nach Ausgestaltung ein milliardenschwerer Posten für den Etat. Und schließlich muss auch die lang umkämpfte Kindergrundsicherung mit konkreten Zahlen unterlegt werden, was die Finanzplanung bis 2027 betrifft. Ab 2025 soll die Kindergrundsicherung ausgezahlt werden.

Die Schuldenbremse steht

Für all das gibt es aber wenig Spielräume wegen der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse. Und deren Einhaltung ist für den haushaltspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion, Otto Fricke, Grundvoraussetzung für die Finanzpolitik: "Die Schuldenbremse ist die Garantie dafür, dass nicht spätere Generationen über Zinsen und Zinseszinsen so in ihrer Zukunft belastet werden, dass sie sich bei unserer Generation dann nur noch bedanken können."

Zukunft brauche Investitionen, heißt es dagegen immer wieder bei SPD und vor allem den Grünen. Einige in der Ampel würden die Schuldenbremse gerne erneut aussetzen, da sie nur eine sehr begrenzte Kreditaufnahme zulässt. Es brauche deutlich mehr Geld für die Infrastruktur oder auch den Klimaschutz, so das Argument.

Aber die Schuldenbremse steht - zumal neben der FDP auch Bundeskanzler Olaf Scholz nicht an ihr rütteln will. Für eine Änderung der Schuldenbremse sieht der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Sven-Christian Kindler, derzeit denn auch keine Aussichten. "Wir haben dafür sowohl in der Koalition mit SPD und FDP keine Mehrheit als auch keine verfassungsändernde Mehrheit mit der Union zum aktuellen Zeitpunkt", so Kindler. Man werde die Forderung deswegen nicht aufgeben. "Aber für die aktuellen Beratungen gilt das Grundgesetz und dort die vorgeschriebene Schuldenbremse."

Während die einen die Schuldenbremse gerne aufweichen würden, kritisiert der Bundesrechnungshof, dass Finanzminister Lindner durch die vielen milliardenschweren Sondervermögen das wahre Ausmaß der Verschuldung schönrechne. Wenn man alle Nebenhaushalte zusammenzähle, würden rund vier Mal so hohe Schulden aufgenommen, wie im regulären Bundeshaushalt ausgewiesen.

Haushaltsberatungen des Bundestags bis November

Christian Haase, der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, beklagt fehlende Klarheit der Zahlen: "Man hat keinen Überblick mehr. Wir können es den Leuten draußen oder auch in der Fraktion immer schwerer erklären, dass nur ein Teil im Haupthaushalt abgebildet wird."

Lindner betont, dass auch die Sondervermögen zurückgefahren werden sollen - insbesondere der Wirtschaftsstabilisierungsfonds WSF, der die Härten der Energiekrise mit bis zu 200 Milliarden Euro abfedern sollte. Diese Rahmen werde nicht ausgeschöpft, sagte der FDP-Politiker im ARD-Sommerinterview.

Wirtschaftsminister Robert Habeck würde mit WSF-Mitteln dagegen gerne einen subventionierten Industriestrompreis finanzieren. Dafür fehlt dem Grünen-Politiker aber die Unterstützung von Kanzler Scholz.

Auf die Vorstellung des Haushaltsentwurfs folgen monatelange Haushaltsberatungen des Parlaments. Schon jetzt ist deutlich: Die fetten Jahre in der Finanzpolitik sind vorbei. Die Haushälter des Bundestages werden bis Mitte November noch versuchen, an ein paar Stellschrauben des Etats zu drehen. Aber der Rahmen ist gesetzt.

Martin Polansky, ARD Berlin, tagesschau, 04.09.2023 19:17 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 03. September 2023 um 20:00 Uhr.