Aktivistinnen von Fridays for Future halten ein Transparent mit der Aufschrift "Wo Grün draufsteht, sollte auch Grün drin sein."
analyse

Grüne und Umweltverbände Dicke Luft

Stand: 21.07.2023 12:15 Uhr

Jahrelang waren die Umweltverbände für die Grünen das, was die Gewerkschaften für die SPD waren: ein fester Partner an ihrer Seite. Doch seit die Partei mitregiert, ist das vorbei.

Von Oliver Neuroth, ARD Berlin

Wenn Daniel Rieger auf die Reform des Klimaschutzgesetzes zu sprechen kommt, redet er sich schnell in Rage. Für den Leiter des Bereichs Klima- und Umweltpolitik beim NABU sind die Pläne der Bundesregierung ein Unding. "Das ist ein bisschen verkehrte Welt", findet Rieger. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die Änderungen bei den sogenannten Sektorzielen, wonach einzelne Bereiche wie Verkehr, Energie, Gebäude oder Industrie bestimmte CO2-Mengen einsparen müssen.

Die Große Koalition aus Union und SPD hatte das auf den Weg gebracht. Die Ampel-Regierung verabschiedet sich nun von diesen Sektorzielen; einzelne Ministerien müssen nicht mehr nachlegen, wenn erkennbar ist, dass ihre Sektoren vom Klimapfad abweichen. Das Einsparziel wird auf alle Bereiche gemeinsam gerechnet. Das Klimaschutzgesetz werde durch eine Regierung mit grüner Beteiligung verwässert, sagt Rieger. Er spricht vom "absolut Bittersten", was die Umweltverbände anschauen müssten. Denn Deutschland hinke schon jetzt bei den Klimazielen hinterher. Und nun würden nicht einmal mehr die Verantwortlichen benannt.

"Gewisse Ernüchterung"

Es ist nur ein Beispiel, warum die Enttäuschung so groß ist. Aus Sicht der Umweltverbände sind die Grünen in der Ampelkoalition schon zu viele Kompromisse auf Kosten des Naturschutzes eingegangen. Sascha Müller-Kraenner spricht von einer "gewissen Ernüchterung", die eingetreten sei. Die Umweltverbände hätten sich viel erhofft von den Grünen in Regierungsverantwortung, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Und die Grünen wiederum hätten gedacht, dass die Umweltbewegung sie ständig lobten.

Doch die Realität zeige, dass die Verbände oft den Finger in die Wunde legen müssten. Müller-Kraenner stört sich vor allem daran, dass die Bundesregierung weiter auf Flüssiggas für die Energieversorgung setzt und nun ein LNG-Terminal vor Rügen entstehen soll. Der DUH-Geschäftsführer befürchtet Überkapazitäten und neue Geschäftsfelder für die Gasindustrie. "Hier wünsche ich mir vom Klimaminister, dass er den Klimaschutz nicht vergisst", sagt Müller-Kraenner.

Habeck ringt um Erklärungen

Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hört solche Vorwürfe nicht gern. Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio ringt er um Erklärungen. "Ja, sie haben recht, es ist fossile Energie und es ist Gas", gesteht Habeck an die Umweltverbände gerichtet ein. "Aber sie haben nicht recht, dass wir es nicht brauchen."

Der Minister bringt das Argument der Versorgungssicherheit ins Spiel - auch knapp anderthalb Jahre nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs und Wegfall der russischen Gaslieferungen seien LNG-Lieferungen nötig. Darauf zu verzichten, nennt Habeck ein "politisch nicht verantwortliches" Argument der Umweltverbände. Dieser Konflikt lässt sich nach seinen Worten nicht überbrücken.

Etwas verständnisvoller zeigt sich Grünen-Co-Chef Omid Nouripour. Er spricht von berechtigter Kritik der Umweltbewegung an den Grünen. "Wir haben jede Menge erreicht im Klimaschutz, aber bei weitem nicht so viel, um auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen", sagt Nouripour dem ARD-Hauptstadtstudio.

Grüne im Umfragetief

Das Motto der Grünen-Spitze lautet in etwa: Was sein muss, muss sein - politische Kompromisse können nicht immer mit den Urgedanken der Partei in Einklang stehen. Vor allem in Krisenzeiten. Auf Grünen-Parteitagen fällt immer öfter der Begriff "Zumutung", wenn es darum geht, was die Parteispitze der Basis so alles abverlangt: mehr Geld für die Bundeswehr, Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, wieder mehr Strom aus Kohlekraft, ein Ja zum umstrittenen Asyl-Kompromiss auf EU-Ebene und jede Menge klimapolitische Zugeständnisse. Es ist ein Dilemma für die Grünen.

Und das zeigt sich in den Umfragewerten: Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend kommt die Partei gerade einmal auf 13 Prozent. Vielen Wählern geht die Klimapolitik der Grünen zu weit, seitdem sie mit dem Heizungsgesetz die eigene Wohnung erreicht hat. Aus Sicht von etlichen Wissenschaftlern und Umweltverbänden reichen die grünen Vorstöße dagegen nicht aus.

"Raus aus dem Reparaturmodus"

Für Daniel Rieger vom NABU müssen die Grünen raus aus dem Reparaturmodus und zügig weitere Projekte aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Als Beispiel nennt er das Aktionsprogramm "natürlicher Klimaschutz", in dem vier Milliarden Euro stecken und das nach seinen Worten nicht in die Gänge kommt. Kern ist mehr Naturschutz; die Bundesregierung will den Zustand der Ökosysteme verbessern.

Es gehe um die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlage für uns alle, sagt Rieger, also das Große und Ganze. "Das duldet keine Vertagung." Aus Sicht des NABU hätte die Bundesregierung dieses und andere Vorhaben auch parallel zur Krisenbewältigung anpacken können. Denn den Grünen läuft langsam die Zeit weg. Die Hälfte der Legislaturperiode ist fast schon vorüber.

Oliver Neuroth, ARD Berlin, tagesschau, 19.07.2023 17:30 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20.07.2023, 05:56 Uhr.