Ärzte besprechen sich in einem Krankenhaus in Essen (Archivbild)

Digitalisierung in Krankenhäusern Kommt Zeit, kommt Fax

Stand: 22.04.2022 14:20 Uhr

Die Hospitalisierungsrate ist einer der wichtigsten Corona-Indikatoren. Doch auch im dritten Jahr der Pandemie fließen die Daten aus den Krankenhäusern umständlich und langsam zum RKI. Wo hakt es?

Von Christian Feld, ARD Berlin

Zehn Minuten dauert der Vorgang jedes Mal. Zehn Minuten für jeden Patienten, der im Matthias-Spital in Rheine erstmals positiv auf Sars-CoV-2 getestet wird. Das ärztliche Personal muss Daten in ein Formular der Krankenhaus-Software eingeben. Dann wird eine verschlüsselte E-Mail erzeugt, die dann ans Gesundheitsamt geschickt wird.

"Das ist echt ätzend", sagt Jana Schroeder. Die Chefärztin und leitende Virologin bei der Stiftung Matthias-Spital kann den Unmut ihrer Kolleginnen und Kollegen im Haus sehr gut verstehen.

Dies ist nur ein Beispiel: In anderen Krankenhäusern werden sogar weiterhin Faxe geschrieben und ans Gesundheitsamt versandt. Ein Weg, der Zeit kostet. Bis die Informationen schließlich beim Robert Koch-Institut ankommen, vergehen auch mal Wochen.

Das wirft ein Schlaglicht auf Probleme und Verzögerungen bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Auch im dritten Jahr der Pandemie fließen die Daten langsam und umständlich. Das hat Folgen - etwa für die zuverlässige Ermittlung eines der wichtigsten Indikatoren der deutschen Corona-Politik: Die sogenannte Hospitalisierungsrate soll anzeigen, wie viele Corona-Patienten je 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche in ein Krankenhaus aufgenommen wurden. Das kann Aufschluss darüber geben, wie stark das Gesundheitssystem belastet ist. Im Idealfall würden die Faxgeräte - zumindest dafür - längst ungenutzt herumstehen.

Ohne Echtzeitdaten in den Herbst?

Wie aber sieht die Realität aus? Wie viele Krankenhäuser nutzen einen direkten und voll elektronischen Meldeweg zum RKI? Das wollte Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, von der Bundesregierung wissen. Die Antwort, die dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, mache sie fassungslos, sagt die Abgeordnete: "Wenn die Digitalisierung der Hospitalisierungsmeldungen in dem Tempo und offensichtlich ohne Verbindlichkeit weitergeht, werden wir selbst die dritte Herbstwelle ohne Echtzeitdaten bewältigen müssen."

Ein erster Schritt ist in Arbeit. Laut Bundesregierung wurde am 16. März die Möglichkeit "freigeschaltet", dass Krankenhäuser eine Hospitalisierung wegen SARS-CoV-2 selbst direkt in DEMIS eintragen können - das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz. Bedeutet: Krankenhäuser müssen keine Faxe mehr verschicken, sondern können einen vom RKI angebotenen elektronischen Meldeweg nutzen.

Aus Sicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) ändert sich dadurch jedoch noch nichts Wesentliches. Auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios heißt es: "Es bleibt auch mit dem neuen System zunächst bei einer händischen Erfassung und Eingabe der Daten durch das Krankenhaus."

Online-Formular ab 2023

Aber wie schnell wird dieser erste Schritt in der Fläche umgesetzt? Die Bundesregierung schreibt: Die Funktionsfähigkeit der entsprechenden Anwendung sei "in den letzten Tagen im Rahmen von Pilotierungen von zunächst drei Krankenhäusern" getestet worden. "In den Folgewochen sollen sich nun auch die anderen meldepflichtigen Krankenhäuser anschließen." Eine verpflichtende Nutzung des Online-Formulars ist erst ab dem 1. Januar 2023 vorgesehen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft will für diesen Weg werben und geht davon aus, dass Kliniken das sehr schnell umsetzen werden.

Linken-Politikerin Domscheit-Berg äußert sich da sehr viel skeptischer. Sie bezeichnet die Antwort der Regierung als vage und glaubt nicht daran, dass dieser Prozess schnell gehen werde. Die Politikerin sammelte in früheren beruflichen Tätigkeiten jahrelang praktische Erfahrung mit großen IT-Projekten.

Die Einschätzung, dass sich bei der Hospitalisierungsrate die breite Anbindung an DEMIS noch über viele Monate ziehen könnte, bestätigen auch Fachleute, die mit der Materie in der Praxis intensiv betraut sind. Außerdem: Die Umstellung eines IT-Systems sowie die anschließenden Schulungen sind ein aufwendiger und teurer Vorgang. Deshalb, so eine weitere Befürchtung, könnten Krankenhäuser die Umsetzung gar nicht erst angehen, weil sie wissen, dass der sehr viel größere Schritt noch folgt.

Ein komplexes Vorhaben

Denn die Entlastung von Krankenhäusern und Gesundheitsämtern ist das eine. Es geht jedoch auch um Geschwindigkeit. Im Januar hatte der Corona-Expertenrat der Bundesregierung in seiner Stellungnahme gefordert, die entsprechenden Krankenhausdaten "tagesaktuell" verfügbar zu machen, in Echtzeit. Dazu reicht der erste eingeleitete Umstellungsschritt jedoch nicht aus. Die Informationen müssten automatisch aus den Krankenhausinformationssystem zum RKI fließen. Ein komplexes Vorhaben, auch weil es sehr viele unterschiedliche System gibt.

Die Bundesregierung schreibt dazu: Mit der "für Ende Mai 2022 geplanten Bereitstellung einer Schnittstelle" könnten die Hospitalisierungsmeldungen "perspektivisch automatisiert" erfolgen.

"Unverbindlicher kann man sich ja gar nicht ausdrücken", findet Domscheit-Berg. Die jetzige Antwort des Bundesgesundheitsministeriums falle hinter frühere Prognosen zurück. Dabei habe sie sich von der neuen Regierung erhofft, dass das Thema eine höhere Priorität bekomme: "Aber es verändert sich einfach nichts. Wieder gibt es Ankündigungen, und wieder werden sie nicht gehalten."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" am 12. September 2022 um 16:30 Uhr.