Bundeskanzler Scholz empfängt den chinesischen Regierunsgchef Li in Berlin
analyse

Beziehung zu China Ein Balanceakt, der gerade erst begonnen hat

Stand: 20.06.2023 08:12 Uhr

Erstmals seit der Pandemie kommen China und Deutschland zu Konsultationen zusammen. Die Bundesregierung verfügt nun zwar über eine Nationale Sicherheitsstrategie. Aber was heißt das schon?

Von Kai Küstner, ARD Berlin

Geopolitisch ist China unbestritten ein Koloss. Gemessen daran räumt die Bundesregierung dem Wirtschafts- und Militärgiganten in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie minimalen Raum ein. Ein paar spärliche Zeilen eher allgemeiner Natur in dem 76-Seiten-Werk - das war's. Wer sich mehr erhofft hatte, muss sich damit trösten, dass die Ampelkoalition ja der Sicherheitsstrategie noch eine China-Strategie folgen lassen will - die allerdings noch nicht fertig ist. Aber kann das gelingen? Ein Land wie China, wenn auch vorläufig, in ein paar Zeilen zu pressen?

"Die Grundfrage ist, wie unabhängig will man denn eigentlich sein?", Stephan Stuchlik, ARD Berlin, zu den Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und China

tagesschau, 20.06.2023 12:00 Uhr

Die Bundesregierung lässt sich im Umgang mit Peking schon länger von einem Dreiklang leiten, von manchem Koalitionspolitiker auch schmunzelnd Dreifaltigkeit genannt. China ist aus deutscher Sicht dreierlei gleichzeitig: Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. Wobei, so heißt es in der Nationalen Sicherheitsstrategie, "die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den vergangenen Jahren zugenommen haben".

Autokratien gegen Demokratien

Hier hat sich schleichend eine Gewichtsverschiebung vollzogen. Zum Negativen. Oder - um es mit Finanzminister Christian Lindner zu sagen: "China ist ein Handelspartner, aber Werterivale". Dass Peking offen die Partnerschaft mit Russlands Präsident Wladimir Putin beschwört und bisweilen zelebriert, hat diesen Eindruck der Rivalität noch untermauert.

Was bedeutet das nun für den praktischen Umgang mit dem Giganten? Von einem stetigen "Ausbalancieren" spricht Bundeskanzler Olaf Scholz. Auf manchen Feldern - Stichwort Partner - ist eine Zusammenarbeit nicht nur weiter möglich, sondern unumgänglich. Etwa bei der Klimapolitik. Hier gebe es "Schnittmengen, und zwar große", betont Außenministerin Annalena Baerbock. Das Klima retten und nicht mit China reden: unmöglich. Bei den Regierungskonsultationen dürfte genau hier ein Schwerpunkt liegen.

Gleichzeitig ist unübersehbar - Stichwort Rivalität - dass der Einparteienstaat im globalen Wettbewerb zwischen Demokratien und Autokratien eben nicht an der Seite Deutschlands, der EU und der USA steht - sich vermutlich sogar weiter entfernt. Dass bis gestern gar nicht klar war, ob bei den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen überhaupt Journalisten-Nachfragen zugelassen würden, spricht Bände.

Wirtschaftliche Abhängigkeiten

Auf die Frage, wie mit dem in Demokratie- und Menschenrechtsfragen so weit entfernten China umzugehen ist, wie das "Ausbalancieren" hier gelingen kann, hört man vonseiten der Bundesregierung immer wieder: "Wir wollen kein De-Coupling, wir wollen De-Risking." So sagt es Kanzler Olaf Scholz. De-Coupling ließe sich am ehesten mit Entkopplung übersetzen. Das heißt: Alle wirtschaftlichen Bande zu China abzubrechen, wäre falsch.

Sehr wohl aber will man Risiken minimieren und darauf achten, dass man sich bei Rohstoffen oder sensiblen IT-Bauteilen, etwa bei Mobilfunknetzen, nicht zu abhängig macht und damit erpressbar wird. Derselbe Fehler wie bei der Energieabhängigkeit von Russland soll sich nicht wiederholen. Das klingt zunächst stimmig. Doch damit fängt der Balanceakt ja erst an.

Der Streit um die Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am Hamburger Hafen hat gezeigt, wie sehr innerhalb der Ampel um den richtigen Kurs gerungen wird. Der Wirtschaftsflügel der SPD warf Annalena Baerbocks Auswärtigem Amt jüngst einen Anti-China-Kurs vor. Ähnlich sieht es auf EU- oder transatlantischer Ebene aus: Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wünscht sich - auch in der Taiwan-Frage - einen deutlich sanfteren Kurs als die USA.

Frankreich vorsichtiger, USA schärfer

Da mag der Bundeskanzler noch so sehr den internationalen Gleichklang beschwören: "Wenn Sie den amerikanischen Präsidenten beim G7-Gipfel in Hiroshima gehört haben, dann klingt das ja genau so, wie wir es hier aufgeschrieben haben", unterstrich Scholz mit Verweis auf die Sicherheitsstrategie. Zwar spricht auch Joe Biden in der Tat vom De-Risking im Umgang mit China. Gleichzeitig ist schwer zu leugnen, dass sich die USA von Deutschland und Europa einen klareren Kurs wünschen.

Zieht man aber die Nationale Sicherheitsstrategie zurate, so ist die dermaßen vage formuliert, dass sich Deutschland problemlos sowohl beim vorsichtigeren Macron als auch bei den schärferen USA einsortieren könnte. Dass die neue China-Strategie noch nicht fertig ist, dürfte also kein Zufall sein - denn es sieht so aus, als müsste die Ampelkoalition ihre Rolle im Umgang mit dem asiatischen Koloss erst noch finden. Der Balanceakt hat gerade erst begonnen.

Kai Küstner, ARD Berlin, tagesschau, 19.06.2023 23:00 Uhr