Blick in den Plenarsaal des Bundestages
Analyse

Haushaltswoche im Bundestag Plötzlich andere Töne

Stand: 25.11.2022 18:37 Uhr

Die Haushaltswoche im Bundestag war wohltuend ernsthaft und konstruktiv. Nach den internen Gefechten der vergangenen Wochen wurde deutlich, dass die Ampelkoalition auch miteinander arbeiten kann.

Eine Analyse von Corinna Emundts

Man könnte meinen, die politischen Redner der Haushaltswoche im Bundestag hätten sich vom bundesweiten Vorlesetag inspirieren lassen, jeder ein Buch ins Plenum mitgenommen und Lust zum Witzeln gehabt. So konterte Bundeskanzler Olaf Scholz in Richtung Oppositionsführer Friedrich Merz, seine Ausführungen erinnerten ihn an Lewis Carolls "Alice Im Wunderland": Wer das glaube, "der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen".

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zog hingegen Jim Knopf und den Scheinriesen heran, um die Politik der Ampelkoalition zu kritisieren: "Je näher man ihr kommt, desto kleiner wird sie!" Da musste sogar Scholz grinsen.

Am letzten Debattentag nahm Ex-Gesundheitsminister und Neu-Oppositionspolitiker Jens Spahn den Faden nochmals auf: Statt Carroll sehe er hier eher Samuel Beckett angebracht, wenn es um die Unklarheiten bei den Energiepreisentlastungen für Bürgerinnen und Bürger gehe: "Warten auf Godot!"

Ringen um die richtigen Wege aus der Krise

Doch der Eindruck täuscht: Hier ging es nicht nur um oberflächliches Geplänkel, garniert mit literarischem Esprit. Diese Sitzungswoche, in der sich der Bundestag wortreich mit jedem Einzeletat eines jeden Ministeriums beschäftigte, konnte sich politisch sehen lassen. Hier rangen Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit Argumenten um die richtigen Wege aus der Krise. Kein anderes Wort dürfte dort täglich häufiger gefallen sein als dieses: Krise.

Gemessen an den hitzigen Gefechten rund um Gasumlage, Gaspreisbremse und um die von der Union angedrohte "Blockade" beim Bürgergeld, erschien diese parlamentarische Woche wohltuend ernsthaft und konstruktiv. Ein Kompromiss wurde zwischen Union und Ampelkoalition, zwischen Bund und Länderkammer bereits in Grundzügen gefunden, bevor der dazu einberufene Vermittlungsausschuss überhaupt zusammenkam.

Sorge um die Demokratie

Und auch seitens der Union gab es plötzlich andere Töne: "Es ist eine Sternstunde der Demokratie - unser System, welches auf Kompromisse setzt und die Polarisierung der Gesellschaft verringert, hat sich bewährt", sagte Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt am Freitag in der dazu tagenden Bundesratssitzung.

Er traf damit ein Thema, das spürbar in den Fluren und Cafeterien des Reichstages in Gesprächen stets präsent war: Die Sorge um die Demokratie an sich, die gerade in dieser Weltlage mit dem Vormarsch autoritärer Systeme, aber auch wachsender Demokratie-Skepsis im Inland viele Abgeordnete umtreibt. Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf die Ukraine kam entsprechend in fast jeder Rede vor.

Wie steht es um die Strahlkraft und Resilienz der westlichen Demokratien? Gerade diese große Dimension spiegelte sich in vielen Redebeiträgen, in denen die Haushalte mit ihren vielen Zahlen einem höheren Sinn zugeordnet wurden: "Wir haben hier die verdammte Pflicht sicherzustellen, dass das Völkerrecht und das Völkerstrafrecht nicht nur auf dem Papier geschrieben steht", rief etwa FDP-Justizminister Marco Buschmann ins Plenum, der ganz ohne Redeskript angetreten war. Hier gehe es darum, die Strahlkraft der liberalen Demokratien in der Welt wiederherzustellen.

Fast demonstrativ einig

Deutlich wurde nach manchen Ampel-internen Gefechten der vergangenen Wochen nun, dass die Ampel auch miteinander Arbeiten kann. Nach wochenlanger Arbeit und einer ohne Gemetzel geeinten Haushaltsbereinigungssitzung lag eine Beschlussvorlage vor, hinter der sich alle drei Koalitionspartner einreihten.

Auch Christian Lindner und Robert Habeck, gerne in den vergangenen Monaten eher als Antipoden unterwegs und beschrieben, zeigten sich fast demonstrativ einig: Ob miteinander tuschelnd während der Merz-Rede auf der Regierungsbank oder aber auch verbal am Rednerpult.

Fast wortgleich verteidigten sie die Politik der Ampelkoalition und die Haushaltsbeschlüsse. "Die Richtung ist klar: Wir bewältigen die Krise, aber wir vernachlässigen die Zukunftsaufgaben dieses Landes nicht", sagte Finanzminister Lindner. Der Haushalt schaffe die Möglichkeit, die Krise zu überstehen, "um danach in den richtigen Moment reinzukommen und die Wertschöpfung, die Wirtschaft, die Prosperität in Deutschland hochzuhalten", so der FDP-Politiker.

Geplänkel um Schuldenbremse? Vergessen!

Die Oppositionspartei CDU falle beim Haushalt weitestgehend aus, witzelt ein FDP-Abgeordneter im Gespräch mit tagesschau.de: Die einen dort riefen zum Sparen auf, während die Fach-Politiker mehr Ausgaben fordern. Unions-Fraktionschef Merz wiederum geht es im Verteidigungshaushalt nicht schnell genug zum von Scholz zugesagten Ausgabenziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Auch das Ampel-interne Geplänkel rund um die Schuldenbremse wurde diese Woche geräuschlos beiseite gelegt: Auf diesem Instrument bestand Lindner fast gebetsmühlenartig, während es in den Reihen von SPD und Grünen für die Krisensituation immer wieder infrage gestellt wurde. Nun sprach Lindner davon, dass die Schuldenbremse im "Kernhaushalt" eingehalten werde - und rechtfertigte die mittels Sondervermögen und -Fonds aufgenommenen Zusatzausgaben genauso wie SPD und Grüne.

Deutlich wurde jedoch: Die Ampelkoalitionäre schenken sich nichts und verbreiten auch keine falsche Harmonie. Als Scholz etwa das FDP-Lieblingsprojekt Aktienrente in seiner Rede am Mittwoch lobend erwähnte - da gab es nur Applaus auf den FDP-Bänken. Aber zumindest keine Buh-Rufe von SPD und Grünen. Man akzeptiert sich in der jeweiligen Unterschiedlichkeit - so ließe sich der Zustand der Ampelkoalition in dieser Woche beschreiben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 25. November 2022 um 17:00 Uhr.