Bundesamt für Verfassungsschutz
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Inlandsnachrichtendienst Wofür der Verfassungsschutz Geld bekommt

Stand: 24.11.2022 12:00 Uhr

Der Haushalt des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Aus geheimen Unterlagen der Behörde geht hervor, wofür der Inlandsnachrichtendienst seiner Ansicht nach das Geld benötigt.

Von Von Florian Flade, WDR, und Reiko Pinkert, NDR

Thomas Haldenwang zeichnete ein reichlich düsteres Bild, als er bei einer öffentlichen Anhörung Mitte Oktober vor den Abgeordneten des Bundestages sprach. Mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sei auch für Deutschland ein sicherheitspolitischer Wendepunkt eingetreten, so der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV).

Putins Geheimdienste seien zwar schon lange als aggressive Akteure bekannt, nun aber müsse man mit verstärkten und noch konspirativeren Spionageaktivitäten rechnen, außerdem mit mehr Cyberangriffen und Desinformationskampagnen.

Geheimdienstchef sieht massiven Mehrbedarf

Auch die anderen Gefahren dürften keineswegs unterschätzt werden, warnte Haldenwang, dessen Behörde als deutscher Inlandsnachrichtendienst für die Beobachtung von Extremisten und Terroristen sowie der Abwehr von Spionage zuständig ist.

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (Archiv).

Verfassungsschutzchef Haldenwang sieht nicht zuletzt aufgrund von zahlreichen Mehraufgaben einen höheren Geldbedarf für seine Behörde.

Die wachsende Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen etwa sei zu nennen, die sich durch die Energiekrise und Inflation beflügelt fühlten. Mit Blick auf alle Arbeitsfelder seiner Behörde fügte er hinzu: "Der Bedarf an Personal, Mittel und Ressourcen der vergangenen Jahre war richtig und bleibt berechtigt!"

470 Millionen Euro gefordert

Wie bei nahezu allen Sicherheitsbehörden ist auch der Etat des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zuletzt stetig gestiegen. An diesem Freitag nun soll im Bundestag der Haushalt des Inlandsnachrichtendienstes für das kommende Jahr beschlossen werden. Es wird wohl wieder viel Geld für die Verfassungsschützer geben. Nach Recherchen von NDR und WDR soll das BfV im Jahr 2023 einen Etat von fast 470 Millionen Euro fordern.

Zwar würden die Verfassungsschützer damit etwas weniger Geld als in den Jahren 2020 und 2021 bekommen, jedoch hat sich der Haushalt des Bundesamtes innerhalb der vergangenen zehn Jahre mehr als verdoppelt: 2012 waren es noch Mittel in Höhe von knapp 190 Millionen Euro. Seither stieg auch die Zahl der Verfassungsschützer deutlich. So gab es im Jahr 2011 im BfV rund 2600 Mitarbeitende, Mitte dieses Jahres waren es fast 4000.

Vertrauensgremium entscheidet im Geheimen

Über den Haushalt der Geheimdienste entscheiden die Mitglieder eines geheim tagenden Gremiums des Bundestages - dem Vertrauensgremium. Gegenüber diesen Abgeordneten müssen die Dienste offenlegen, für welche Projekte und Anschaffungen sie mehr Finanzmittel benötigen.

Aus geheimen Unterlagen der Behörde aus den vergangenen Jahren, die NDR und WDR einsehen konnten, ist ersichtlich, dass es dabei neben strategischen Ausrichtungen, wie etwa einer verbesserten IT-Ausstattung oder der Verstärkung der Observationskräfte, auch immer wieder um Anpassungen an aktuelle Gefahrenlagen ging.

Bereits zuvor massive Aufstockungen

So bekam das BfV im Jahr 2015 rund 100 Planstellen und mehr als 13 Millionen Euro zusätzlich für den Ausbau der Spionage- und Cyberabwehr. Weitere 470 Stellen und rund 30 Millionen Euro wurden im darauffolgenden Jahr 2016 unter anderem für das Aufspüren und Überwachen von Dschihadisten gebilligt, die in Kriegsgebiete wie Syrien und Irak gereist waren. In dieser Zeit kam es zu schweren islamistischen Anschlägen in Europa, in Paris und Brüssel beispielsweise, aber auch in Nizza und auf dem Berliner Breitscheidplatz.

Im Jahr 2018 dann gab es sogar einen Rekordhaushalt von 421 Millionen Euro für das BfV, begründet wurde er von der Behörde ebenfalls mit der Gefahr des islamistischen Terrorismus und der Sicherheitsrisiken, die durch die Flüchtlingskrise entstanden seien. Aber auch damit, dass die Internetaufklärung des Verfassungsschutzes grundsätzlich verbessert werden müsse, zum Beispiel durch sogenannte "virtuelle Agenten", also Mitarbeitende, die unter Tarnidentitäten im Netz unterwegs sind und dort extremistische Strukturen infiltrieren und die digitalen Aktivitäten von verdächtigen Personen beobachten.

Qualifiziertes Personal kostet

Zudem erklärte die Behörde damals den Haushältern des Bundestages, es seien zusätzliche Stellen und Ressourcen notwendig, um Hackerangriffe verlässlich aufklären zu können. Auch wurde auf die wachsende Gefahr "sicherheitsgefährdender Einflussnahme" ausländischer Nachrichtendienste etwa durch die Türkei, Iran, Syrien und Russland verwiesen.

Im Jahr 2019 wollte das Bundesamt schließlich mehr Geld für die Gewinnung von qualifizierten Nachwuchskräften. 2020 gab es mehr als 350 neue Stellen, unter anderem für die verstärkte Bekämpfung des Rechtsextremismus. 2021 dann bekam schließlich auch die lange vernachlässigte Spionageabwehr einen erheblichen Personalaufwuchs. Die Mitarbeitenden dieser Abteilung klären die Aktivitäten fremder Nachrichtendienste in Deutschland auf, allen voran der russischen und chinesischen Dienste.

Vereinheitlichung der Systeme als Großprojekt

Daneben wurden zuletzt auch Finanzmittel für mehrere Großprojekte beantragt. Darunter befindet sich das Projekt "Phoenix", hinter dem sich die Anschaffung einer neuen Anlage zur Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) verbirgt, mit der Telefone von verdächtigen Personen abgehört werden können.

Das BfV ist außerdem damit beschäftigt, die Digitalisierung im Verfassungsschutzverbund voranzutreiben. So soll ein gemeinsames, einheitliches Dokumenten-Managementsystem (DMS) aufgebaut werden, mit dem die Verfassungsschutzbehörden aus Bund und Ländern sowie der Militärische Abschirmdienst künftig digital auf Unterlagen zugreifen und diese bearbeiten können.

Bislang arbeiten die Behörden mit teils sehr unterschiedlichen Systemen, die nun vereinheitlicht werden sollen. Alleine dafür sind im kommenden Jahr etwa 2,5 Millionen Euro veranschlagt.

Forschung und Liegenschaften weitere Kostenfaktoren

Auch die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft will der Verfassungsschutz ausbauen: Das BfV gründete vor zwei Jahren das neue Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF). Geplant ist, jährlich mindestens ein neues Forschungsprojekt auszuschreiben und finanziell zu fördern. Aktuell etwa läuft eine Untersuchung zur Online-Radikalisierung über den Messengerdienst Telegram.

Viel Geld verschlingen zudem weiterhin die Liegenschaften des Bundesamtes. So soll die in die Jahre gekommene Zentrale in Köln-Chorweiler für rund 16 Millionen Euro saniert werden. Auch die Akademie für Verfassungsschutz (AfK) soll für knapp drei Millionen Euro ausgebaut werden, ebenso wie der Standort in Berlin-Treptow, wo die Islamismus-Abteilung und die Cyberabwehr untergebracht sind. Kostenpunkt hier: Mehr als neun Millionen Euro.

Viele Stellen unbesetzt

Kritik am Aufwuchs der Behörde kommt indes vom Bundesrechnungshof. Wie der "Spiegel" jüngst berichtete, verweisen die Prüfer in einem aktuellen Bericht auf den Umstand, dass zuletzt rund 23 Prozent der inzwischen mehr als 5000 genehmigten Stellen beim BfV unbesetzt waren. Die Personalgewinnung läuft zwar auf Hochtouren, jedoch hat auch der Verfassungsschutz mit den Herausforderungen von Pensionierungswellen und einer alternden Gesellschaft zu kämpfen.