Tino Chrupalla
Analyse

Debatte in der AfD Der langsame Abschied von der Wehrpflicht

Stand: 01.03.2023 19:11 Uhr

Die AfD will die Wehrpflicht wieder einführen - so steht es zumindest im Grundsatzprogramm. Doch die Begeisterung für das Thema scheint zu schwinden. Das liegt auch an der Position zum russischen Angriff auf die Ukraine.

Eine Analyse von Martin Schmidt, ARD Berlin

Im Grundsatzprogramm der AfD ist es klar formuliert: "Die AfD tritt dafür ein, für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren den Grundwehrdienst wieder einzusetzen", steht dort seit dem Beschluss der ersten Fassung 2016. Im Bundestagswahlprogramm hatte die Partei die Forderung nochmal bestärkt - mit kleiner Einschränkung: Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft wollte die AfD nicht im Wehrdienst, "um Loyalitätskonflikte zu vermeiden". Doch diese grundsätzliche Begeisterung für die Wehrpflicht bröckelt in der AfD. Ausgerechnet in der Partei, in der auffallend viele Mandatsträger Berufs- oder Zeitsoldaten sind.

Am Freitag um kurz nach 11 Uhr wollte die AfD-Bundestagsfraktion ihre Kernforderung im Plenum mal wieder deutlich machen. "Reaktivierung der Wehrpflicht", lautete der Titel des Antrags laut Tagesordnung, die bis zum Wochenanfang auf der Homepage des Bundestages abrufbar war. Wenn der Verteidigungsminister, die Wehrbeauftragte und andere Mitglieder der Regierungsparteien offen mit der Wehrpflicht liebäugeln, könne die AfD unterstreichen, dass sie schon immer dafür war, so das Kalkül derer, die den Antrag geschrieben haben. Doch plötzlich war der Tagesordnungspunkt wieder verschwunden. Die AfD-Fraktion will erst intern nochmal über den Antrag und den richtigen Zeitpunkt dafür diskutieren.

Druck aus der Parteiführung?

Dies alles sei nicht überzubewerten, erklärt der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann den Vorgang. Er habe das Wehrpflicht-Thema zwar in einer Vorplanung des Bundestages angegeben, aber es sei normal, dieses für die endgültige Tagesordnung in der jeweiligen Sitzungswoche nochmal zu ändern. Doch die Erklärung, dass alles nur rein fraktionsorganisatorische Gründe habe, glauben einige AfD-Abgeordnete nicht.

Von Druck ist die Rede, vor allem aus der Fraktionsführung. Bei der Parteibasis könne der Eindruck entstehen, man würde die Wehrpflichtigen direkt in die Ukraine schicken wollen, erklärt ein Mitarbeiter, der mit dem Vorgang vertraut ist, die Vorbehalte. Wie üblich schütteln auch viele Abgeordnete den Kopf über diesen Vorgang, offen über die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der AfD wollen sie aber nicht sprechen.

"Eine Kernforderung unseres Grundsatzprogramms"

Dabei ist der ursprüngliche Antrag "Reaktivierung der Wehrpflicht" schon entschärft worden. In der ersten Version hatte der federführende Fraktionsarbeitskreis für Verteidigung unter der Leitung von Rüdiger Lucassen noch einen Absatz eingebaut, in dem es hieß: "Die Invasion der Ukraine durch die Russische Föderation muss auch als Bedrohung der Sicherheitsinteressen Deutschlands und seiner Verbündeten gewertet werden." Das aber wollte der Fraktionsarbeitskreis Außenpolitik so nicht durchgehen lassen.

In diesem sitzen unter anderen mit Petr Bystron, Stefan Keuter, Steffen Kotré und auch Fraktionschef Tino Chrupalla vor allem AfD-Abgeordnete, die von ihren Parteifreunden - milde ausgedrückt - als "russlandfreundlich" bezeichnet werden. Doch auch der neue Antrag, in dem das Wort Russland nicht mehr auftaucht, ist nun gestoppt. Dem ARD-Hauptstadtstudio liegen beide Versionen vor.

"Ich bedaure, dass der Antrag nicht ins Plenum kommt, zumal es sich um eine Kernforderung unseres Grundsatzprogramms handelt", sagt AfD-Verteidigungspolitiker Rüdiger Lucassen dem ARD-Hauptstadtstudio. Wer es mit dem Schutz Deutschlands ernst meine, der stehe zur Wehrpflicht. "Nie war die Zeit richtiger dafür", so Lucassen in Anspielung auf den russischen Angriff auf die Ukraine. Sein Abgeordnetenkollege Gerold Otten stimmt ihm zu: "Deutschland braucht die Wehrpflicht besser heute als morgen."

Rüdiger Lucassen

AfD-Verteidigungspolitiker Lucassen spricht sich weiterhin für die Wehrpflicht aus.

Chrupalla will AfD als "Friedenspartei" positionieren

Doch Partei- und Fraktionschef Chrupalla sieht das fundamental anders: "Ich denke, es ist jetzt nicht der Zeitpunkt über eine Wehrpflicht zu diskutieren, wo die Bürger aktuell Angst haben, dass Deutschland mit in diesen Krieg hineingezogen wird", erklärte er auf einer Pressekonferenz. Es ist auch Chrupalla, der sich maßgeblich für die aktuelle Positionierung der AfD als angebliche "Friedenspartei" eingesetzt hat. Gegen jegliche Waffenlieferungen an die Ukraine, für Friedensverhandlungen - wie auch immer diese aussehen mögen.

"Ich kann ja nicht die ganze Zeit Friedenstauben posten und dann plötzlich die Wehrpflicht in den Bundestag einbringen", versteht auch ein einflussreicher AfD-Abgeordneter, der namentlich nicht genannt werden möchte, die Argumentation Chrupallas. Dass aber "diese ganze Friedensnummer" für die AfD "schräg hängt", sagt er. Einer der selbst zu den ehemaligen Berufssoldaten unter den AfD-Abgeordneten gehört, wird da deutlicher: "Frieden schaffen ohne Waffen? Das ist doch Quatsch", meint er und fügt hinzu, dies sei auch nie die Haltung der AfD gewesen - "ich bin doch kein Hippie!"

Irritation wegen Teilnahme an Friedensdemo

Noch etwas wird hinter vorgehaltener Hand berichtet: Dass sich viele Mandatsträger der AfD geradezu euphorisch der Berliner Demonstration um Sahra Wagenknecht angeschlossen hätten, habe zu massiven Irritationen bei Bundeswehrangehörigen geführt, die eigentlich mit der Partei sympathisierten. "Wir wollten auch beim Ukraine-Krieg wieder den maximalen Antipol zum Mainstream einnehmen, gehen plötzlich mit Kommunisten auf die Straße und stellen mal eben Grundüberzeugungen wie die Wehrpflicht infrage", meint ein Abgeordneter. "Die Partei der Soldaten", als die sich die AfD immer gesehen habe, seien sie so nicht mehr.

Der Reflex zur maximalen Gegenposition gegenüber den anderen Parteien, der Drang, die radikale Alternative sein zu wollen, scheint einigen in der AfD wichtiger, als ihre inhaltlichen Überzeugungen von gestern. Parteichef Chrupalla hatte schon kurz nach Beginn des russischen Angriffs für Irritationen in der AfD gesorgt, als er den Vorstoß des Bundeskanzlers für das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr im Bundestag als "irre" bezeichnete. Dabei hatte die AfD jahrelang mehr Geld für die Bundeswehr gefordert.

Mit seiner Haltung zur Wehrpflicht irritiert er einen Teil der AfD nun erneut, seine weiteren Ausführungen auf der Pressekonferenz tragen auch dazu bei: "Es geht ja nicht um die reine Wehrpflicht an sich", sagt er. Die Fraktion werde in einer neuen Positionierung nicht nur die Wehrpflicht thematisieren, "sondern man kann es ja auch als Soziales Jahr bezeichnen, wir brauchen Pflegekräfte, Zivildienst gab es - auch das sind Dinge, die mit berücksichtigt werden sollen."

Druck aus dem rechtsextremen Lager

Von Sozialem Jahr und Zivildienst steht im Grundsatzprogramm der AfD bislang nichts. Ein überzeugendes Bekenntnis zur Wehrpflicht klingt anders. Es heißt, Chrupalla sei getrieben, vor allem von seinem sächsischen Landesverband. Dort bekommt die AfD Druck aus dem rechtsextremen Lager: Die Freien Sachsen hatten bereits eine Online-Unterschriften-Aktion gestartet, gegen den AfD-Antrag zur Wehrpflicht. "Unsere Kinder sterben nicht in euren Krieg", heißt es dort grammatikalisch wackelig. Angeblich unterzeichneten mehr als 3700 Personen den Aufruf.

Ohnehin scheint auch der in den Ostverbänden der AfD dominierende rechtsextreme Parteiflügel die Wehrpflicht infrage zu stellen. "Wehrpflicht? Nein, danke!", kommentiert der Co-Chef der Thüringer AfD, Stefan Möller, in einem Onlinebeitrag. Eine Berufsarmee reiche für Deutschlands Sicherheitsinteressen. Er werde in seinem Landesvorstand eine Diskussion anregen, ob das Grundsatzprogramm der Partei nicht geändert werden sollte, ergänzt er auf Twitter. Es ist kaum vorstellbar, dass sein Partner an der Thüringer AfD-Spitze, Björn Höcke, über diesen Vorstoß nicht informiert war.