Eine amerikanisches Flugzeug startet im Rahmen der Luftwaffenübung "Air Defender 2023" in Wunstorf.
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Start von "Air Defender" Wie die Luftwaffenübung ablaufen soll

Stand: 12.06.2023 13:19 Uhr

Unter Federführung der Bundeswehr läuft über Deutschland die größte Luftwaffenübung seit Bestehen der NATO. Worum geht es beim "Air Defender"- Manöver? Welche Kritik gibt es? Und kommt es deshalb zu Flugverspätungen?

Von Kai Küstner und Uli Hauck, ARD Berlin

Wozu dient die Übung?

Bei großen Militärmanövern legen sich die Planer oft ein frei erfundenes, aber möglichst realistisch erscheinendes Szenario zurecht. So auch hier: Ein östliches Militärbündnis mit dem Fantasienamen "OCCASUS" beherrscht bereits Teile Deutschlands und will jetzt mit Spezialkräften auch noch den Hafen in Rostock erobern. Diesen Angriff versuchen die alliierten Truppen zurückzuschlagen.

Das ist ein ziemlich ausgefeiltes Übungsdrehbuch, das sich die Planer da ausgedacht haben: Die Bevölkerung ist durch die Corona-Pandemie geschwächt, die Energiereserven gehen zur Neige, es gibt Sabotageaktionen des Gegners. All das wurde in den vergangenen zwei Jahren als Szenario entwickelt. Russland wird mit keiner Silbe ausdrücklich genannt und immer wieder wird von der NATO betont, dass die Großübung rein defensiv angelegt ist, sich nicht gegen Moskau richte. Das Übungsszenario allerdings erscheint vielen europäischen Bündnispartnern seit dem 24. Februar 2022 - dem Kriegsbeginn in der Ukraine - noch realistischer also vor diesem Datum.    

Lars Stuckenberg, NDR, mit Eindrücken des Luftwaffen-Manövers vom Fliegerhorst in Wunstorf

tagesschau24, 12.06.2023 12:00 Uhr

Was genau wird trainiert?

Das buddhistische Motto "Der Weg ist das Ziel" gilt zumindest in Teilen auch für "Air Defender": Die Verlegung von Personal, Material und Kerosin - teilweise Tausende Kilometer weit über den Atlantik - ist Teil der Übung.

Während des eigentlichen Manövers werden verschiedene Dinge durchgespielt: Luftbetankung, Abfangübungen - also das, was befreundete Nationen im Baltikum und über der Ostsee ohnehin regelmäßig tun, wenn russische Jets zu dicht an den NATO-Luftraum heranfliegen. Auch der Luftkampf wird natürlich trainiert. Aber keine provozierenden Flüge in Richtung Kaliningrad, das ans Baltikum grenzt und zu Russland gehört, wie auch der deutsche Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz immer wieder betont hatte.

Wer nimmt teil?

Auch wenn es sich um die "größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der NATO" handelt - eine NATO-Übung ist "Air Defender" ausdrücklich nicht, sondern ein Luftwaffenmanöver unter "deutscher Führung".

Gleichzeitig sind fast sämtliche der 25 teilnehmenden Nationen Mitglied der NATO, allen voran die USA. Außerdem dabei: Japan. Insgesamt sind 250 Flugzeuge nach Deutschland verlegt worden, davon 100 allein aus den USA. 2000 Flüge sind geplant und 10.000 Soldatinnen und Soldaten beteiligt.

Wo findet das Manöver genau statt?

Beim Manöver "Air Defender" wird auch die Verlegung von Flugzeugen geübt, beispielsweise aus den USA nach Deutschland. Diese Verlegung der Kampfjets und Transportflugzeuge über den Atlantik ist schon seit Ende Mai im Gange.

Insgesamt gibt es drei Hauptdrehkreuze für den Flugverkehr. Von Jagel/Hohn in Schleswig-Holstein und Lechfeld in Bayern starten vor allem die Kampfjets. Der Fliegerhorst Wunstorf in Niedersachsen ist das Logistikzentrum. Von hier werden täglich Transportmaschinen starten und landen, zum Materialtransport, für Fallschirmjäger oder für die Luftbetankung der Kampfjets.

Karte Luftwaffenmanöver "Air Defender 23"

An der Luftstreitkräfteübung "Air Defender 23" nehmen 25 Staaten (grün; USA und Japan nicht im Bild) teil. Das Manöver findet vor allem in drei Lufträumen (schraffiert) statt. Außerdem gibt es Flüge zur NATO-Ostgrenze.

Dabei wird die militärische Übung den Großteil des deutschen Luftraums betreffen. Im Norden wird über der Nordsee, Schleswig-Holstein und Niedersachsen geflogen. Der Übungsraum Süd betrifft vor allem Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Hier werden während der Übungszeiten bis zu 40 Maschinen gleichzeitig in der Luft sein.

Im Osten wird über der Ostsee, Mecklenburg-Vorpommern und Teilen Sachsens geübt. Insbesondere rund um Rostock könnte es laut werden. Hier soll ein Angriff auf den Hafen simuliert werden. Geplant sind Tiefflüge bis zu einer Höhe von 330 Metern. Das entspricht den in Deutschland üblichen Standards.

Start des Luftwaffen-Manövers "Air Defender" im deutschen Luftraum

Christina Harland, NDR, tagesschau, 12.06.2023 12:00 Uhr

Wann wird trainiert?

Die Belastungen für die Bevölkerung durch das zweiwöchige Manöver sollen möglichst gering gehalten werden. Deshalb versucht das Militär vorrangig über gering besiedeltem Gebiet und nur zu bestimmten Tageszeiten zu fliegen. Im Übungsraum Ost soll zwischen 10 und 14 Uhr geflogen werden, im Übungsraum Süd zwischen 13 und 17 Uhr und im Übungsraum Nord zwischen 16 und 20 Uhr. Nachts und am Wochenende werden laut Bundeswehr keine Übungsflüge stattfinden.

Was bedeutet das für den zivilen Luftverkehr?

Um die Belastungen für die zivile Luftfahrt zu minimieren, wird das Manöver "Air Defender" zwischen dem Ende der Pfingstferien in manchen Bundesländern und dem Beginn der Sommerferien abgehalten. Luftwaffe und Flugsicherung haben seit Monaten mögliche Einschränkungen durch das Manöver simuliert. Doch die Einschätzung von möglichen Folgen für den zivilen Luftverkehr ist völlig unterschiedlich.

Die Bundeswehr beruft sich auf die letzte Simulation durch die europäische Luftsicherheitsbehörde Eurocontrol. Demnach sei nicht mit Flugausfällen, sondern nur mit einzelnen Verzögerungen im zivilen Flugverkehr zu rechnen.

Mit verspäteten Flügen rechnet aber beispielsweise der Hauptstadtflughafen BER. Im Einzelfall soll dann geprüft werden, ob auf Antrag der Fluggesellschaften Starts und Landungen außerhalb der Betriebszeiten möglich sind. Denkbar seien Verspätungen bis 1.00 Uhr nachts. Nachtflugausnahmen soll es auch an den Flughäfen in Stuttgart, Hamburg und Düsseldorf geben. Am Frankfurter Flughafen werden Spätstarts bis 24.00 Uhr genehmigt.

Was hat die Übung mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu tun?

Mit der Idee für "Air Defender" ist der deutsche Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz bereits vor fünf Jahren in den USA vorstellig geworden. Also nach der Eroberung der Krim durch Russland, aber lange vor Beginn des großflächigen Angriffs auf die Ukraine.

Soll heißen: "Air Defender" hätte auch ohne den russischen Angriffskrieg stattgefunden, bekommt aber jetzt nochmal eine neue Bedeutung und lässt sich auch viel einfacher rechtfertigen. Kurz: "Air Defender" war immer schon als Abschreckung gedacht, das gilt heute umso mehr. Oder wie es Gerhartz ausgedrückt hat:

Jetzt zu zeigen, dass wir in der Lage sind, dieses Bündnis, dieses Land zu verteidigen, ist natürlich ein ganz wichtiges Signal.

Warum sind die USA so stark beteiligt?

Auch die USA wollen ein Signal der Abschreckung senden, ebenso Richtung Kreml - das ist offensichtlich. Die US-Botschafterin Amy Gutmann hatte bei der Vorstellung von "Air Defender" in Berlin bekundet, es würde sie überraschen, wenn irgendein Anführer in dieser Welt nicht merken würde, was diese Übung "an Geist und Stärke dieser Allianz demonstriert". Und sie hatte angefügt: "Das schließt Herrn Putin mit ein."

Und noch ein Signal soll davon ausgehen, dass die USA so stark vertreten sind: Sie ziehen sich nicht aus Europa zurück, im Gegenteil. Und das, nachdem es schon unter Ex-Präsident Barack Obama mal so aussah, als würde Amerika sich nun vor allem China, Asien und dem Pazifik zuwenden. Mehr USA in Europa - auch das hat Putin mit seinem Angriffskrieg erreicht.  

Welche Kritik gibt es an dem Manöver?

Es gibt zumindest kritische Fragen - etwa: Was kostet dieses Mega-Manöver? Dazu schweigt die Bundeswehr auf offizielle Nachfrage. Und verweist darauf, dass man das wohl erst hinterher sagen könne.

Es schwingt auch die Frage mit, welchen Klima-Fußabdruck die Übung mit diesem riesigen Kerosinverbrauch hinterlässt, soweit man vom "Fußabdruck" in der Luft sprechen kann. "Sicherheit gibt's nicht zum Nulltarif", so lautet die Antwort der Luftwaffe.

Und dann ist da auch die Frage, ob das nicht eine Provokation in Richtung Russland darstellt, ob das nicht ein Eskalationsschritt ist. Darauf gibt es eine recht eindeutige Antwort: Eine größere Eskalation als den Überfall auf ein defensives Nachbarland - wie der Angriff Russlands auf die Ukraine - kann es kaum geben.

Kai Küstner, Uli Hauck, ARD Berlin, tagesschau, 12.06.2023 06:35 Uhr