Zwei Passagiere mit Mundschutz sitzen in Barcelona in einem Zug.

Handys in der Corona-Krise Mit Bluetooth und Datenschutz gegen die Pandemie

Stand: 01.04.2020 11:03 Uhr

Die Nutzung von Handydaten zur Eindämmung der Pandemie ist umstritten. Ein europäisches Team von Wissenschaftlern und IT-Experten hat nun eine Technologie entwickelt, die den Datenschutz wahren soll.

Von Kristin Becker und Christian Feld, ARD Berlin

Die Zusage aus dem Verteidigungsministerium kam schnell. Ja, die Bundeswehr stehe bereit für den Praxistest einer Technologie, die in der Corona-Krise sehr hilfreich sein könnte.

Und so werden sich an diesem Nachmittag Soldatinnen und Soldaten in einer Berliner Kaserne in unterschiedlichen Anordnungen und Entfernungen aufstellen. Mit Mobiltelefonen und zur Sicherheit in Schutzanzügen. Ziel des Tests: Herausfinden, wie zuverlässig sich die Abstände zwischen den Beteiligten per Bluetooth messen lassen.

Europäisches Gemeinschaftsprojekt

Die Entwicklung dieses Ansatzes ist kein Regierungsprojekt, sondern eine Gemeinschaftsanstrengung von mehr als 130 Experten aus acht europäischen Ländern. Beteiligt sind neben dem Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut (HHI) für Nachrichtentechnik in Berlin unter anderem das Robert-Koch-Institut und verschiedene Start-Ups. Zum Team gehören aber auch Ingenieure, Programmierer, Epidemiologen und Psychologen aus Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Österreich, Spanien und der Schweiz.

Unter dem sperrigen Namen "Pan European Privacy-Protecting Proximity Tracing" (PEPP-PT) tüftelt die Gruppe seit Anfang März ehrenamtlich an der Technologie, die es möglich machen soll, Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen. Und das bei vollem Datenschutz, sagen die Verantwortlichen.

Die Idee grenzt sich bewusst von Projekten in China oder Israel ab, wo die Handys von Infizierten und Menschen in Quarantäne überwacht werden. Regierungs-Apps in Südkorea und Singapur sind vermeintlich freiwillig, aber der gesellschaftliche und politische Druck ist hoch, sie zu installieren. Zudem sammeln sie jede Menge persönlicher Daten der Nutzer. Die jetzt hierzulande entwickelte Technologie soll Apps möglich machen, die die Privatsphäre des Einzelnen wahren - und trotzdem helfen, Infektionsketten nachzuvollziehen.

Im Stadtstaat Singapur setzt die Regierung bereits eine App zur Kontaktüberwachung ein. Sie soll die Ausbreitung des Coronavirus niedrig halten.

App zur Eindämmung des Coronavirus in Singapur.

Keine persönlichen Daten

Dafür nutzen die Spezialisten vor allem Bluetooth, also eine Funktechnik, mit der im Nahbereich Daten übertragen werden können und die die meisten Smartphones besitzen. Gemessen werden der Abstand zwischen den Geräten und die Dauer eines möglichen Kontakts. Ein flüchtiges Vorbeigehen soll keine Rolle spielen, erst wenn eine bestimmte Zeitspanne, etwa einige Minuten, überschritten ist, werden die Informationen verschlüsselt auf den Handys abgelegt.

Mithilfe der Signalstärke kann zudem nachvollzogen werden, ob sich jemand zum Beispiel hinter einer Wand befunden hat. Die Geräte werden dabei nicht miteinander gekoppelt, sondern vermerken lediglich, dass ein bestimmtes anderes Smartphone in der Nähe war - aber auch das nur anonymisiert. Bewegungsprofile oder Standortdaten, etwa per GPS, werden nicht genutzt.

Es würden keine persönlichen Daten erfasst, unterstreicht Thomas Wiegand, der Leiter des HHI im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio: "Wir messen nur Abstand und Zeit. Es ist egal, wer sich getroffen hat. Es ist egal, wo sie sich getroffen haben."

Freiwillige Nutzung

Die Nutzung einer möglichen App soll freiwillig sein, Bluetooth muss dauerhaft aktiviert sein. 21 Tage sollen die sehr reduzierten Informationen über Begegnungen gespeichert werden. Wird in dieser Zeit einer der Beteiligten positiv auf Corona getestet, ist es möglich, diese Information, die durch eine Behörde oder ein Labor zum Beispiel mit einem digitalen Zertifikat verifiziert werden könnte, zu verteilen.

Am Ende würden die Nutzer, die dem Patienten begegnet sind, von der App informiert. Eine persönliche Identifizierung soll nicht stattfinden, erklärt Wiegand: "Es wird eine Warnung ausgesprochen, dass in der Vergangenheit eine zu kleine physische Distanz über eine zu lange Zeit stattgefunden hat, was möglicherweise zu einer Ansteckung geführt haben könnte." Das Ziel: Wer informiert ist, kann sich entsprechend verhalten - also in Quarantäne gehen und sich testen lassen.

Positive Signale

Die Diskussion, wie sich Handys im Kampf gegen die Epidemie nutzen lassen, hatte kontrovers angefangen. Die ursprünglichen Überlegungen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) waren auf massiven Widerstand gestoßen - auch bei Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Handy-Tracking? Die Angst vor staatlicher Überwachung mobilisierte lauten Protest.

Seit über Bluetooth-basierte, anonymisierte Lösungen diskutiert wird, sind die Reaktionen sehr viel positiver. Zustimmung kommt auch von Organisationen wie Netzpolitik.org und dem Chaos Computer Club, die traditionell sehr genau hinschauen, wenn es um staatliche Digitalprojekte geht.

Justizministerin Lambrecht kann sich vorstellen, dass viele Menschen eine solche App nutzen werden. Sie pocht jedoch darauf, dass die Nutzung freiwillig sein muss und dass die Daten nur für eine sehr begrenzte Zeit gespeichert werden dürfen. Anke Domscheit-Berg (Fraktion Die Linke) weist darauf hin, dass eine mögliche App nur dann wirklich nutze, wenn gleichzeitig die Testkapazitäten ausgebaut würden.

Gesundheit und Datenschutz

Mit der heutigen Präsentation der Initiative PEPP-PT wird die Debatte konkreter. Von einer "vernünftigen Lösung innerhalb des geltenden Rechts" spricht der FDP-Politiker Manuel Höferlin, Vorsitzender des Bundestagsausschusses Digitale Agenda. Das Projekt bestätige seine Überzeugung, "dass Gesundheitsschutz und Datenschutz auch in dieser Krise nicht gegeneinander ausgespielt werden müssen".

Eine fertige App gibt es übrigens noch nicht. Die Initiative will ein Angebot für den technischen Rahmen machen. Die Macher des Projektes halten einen Start Mitte April für möglich. In Deutschland arbeitet das Robert-Koch-Institut an einer konkreten Umsetzung.