Windräder ragen aus dichtem Bodennebel in den Himmel
Hintergrund

Begriffe erklärt Klimaneutral, CO2-neutral - nicht egal

Stand: 30.08.2021 13:34 Uhr

Plötzlich wollen alle irgendwie klimaneutral sein - Unternehmen, Staaten, Politik. Oft ist auch von CO2-neutral oder Treibhausgas-neutral die Rede. Egal, Hauptsache neutral? Keineswegs.

Die FDP-Fraktion im Bundestag arbeitet nach eigenen Angaben vollkommen klimaneutral. Nach Ansicht der Linkspartei soll Deutschland bis 2035 klimaneutral sein. Im verschärften Klimaschutzgesetz der noch amtierenden Bundesregierung wird Treibhausgasneutralität bis 2045 angepeilt. Oder ist Klimaneutralität gemeint? Oder beides? Die Union will ein klimaneutrales Deutschland schaffen, ohne Wohlstand und Arbeitsplätze zu gefährden. Die europäischen Öl- und Gasriesen Shell und Total streben bis 2050 eine CO2-Neutralität an. Die Begriffe gehen munter durcheinander. Ein Überblick.

Die Ausgangslage

Das Klima auf der Erde war über die vergangenen 10.000 Jahre einigermaßen stabil, und das gilt als eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung von Hochkulturen der Menschheit. Aber die gesamte Erdgeschichte zeigt, dass es zwischen stabilen Phasen auf sehr unterschiedlichen Temperaturniveaus auch Zeiten mit stark schwankenden Bedingungen gab. Der Unterschied bei der derzeitigen Klimakrise: Sie ist menschengemacht und läuft etwa zehnmal schneller ab.

Das liegt daran, dass der Mensch in kurzer Zeit eine Menge von zusätzlichen Klimagasen freisetzt. Vor allem dadurch, dass Kohlenstoffvorräte, die die Natur in Jahrmillionen als Kohle, Öl und Gas eingelagert hat, in wenigen Jahren verbrannt und in Form von CO2 freigesetzt werden. Dazu kommt Methan, das ist Erdgas, das sowohl aus den Bohrungen und Pipelines frei wird, als auch beim Anbau von Nass-Reis entsteht und in der Landwirtschaft durch Wiederkäuer wie Rinder, Ziegen und Schafe. Und schließlich kommt eine Reihe weiterer klimawirksamer Gase dazu.

Das politische Ziel: weniger Treibhausgase

Im Pariser Klimaabkommen haben die Staaten festgelegt, dass sie so bald als möglich den Ausstoß an Treibhausgasen mindern wollen mit dem Ziel, ein Gleichgewicht zwischen menschengemachten Emissionen und dem Aufnahmevermögen zu erreichen - durch Senken bis zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts.

Das nennt sich dann gemeinhin "Net-Zero-Emissions" oder deutsch "Treibhausgas-Neutralität". Aber es gibt tatsächlich keine verbindlichen Definitionen für diese Begriffe in der klimapolitischen Debatte - weder im Paris-Abkommen noch sonst wo. Die Wissenschaft unterscheidet aber durchaus.  

Treibhausgasneutral oder "Netto-Null-Emissionen"

Damit ist gemeint, dass die Summe an klimarelevanten Gasen in der Atmosphäre nicht mehr ansteigt. Das gilt für Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) sowie eine Reihe fluorierter Treibhausgase (F-Gase). Die haben ganz unterschiedlich starke Wirkungen aufs Klima und deshalb rechnet man sie jeweils auf CO2-Einheiten um.

Man kann auf sehr verschiedenen Wegen erreichen, dass dieses Gleichgewicht erreicht wird. Etwa indem man ganz einfach aufhört, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen, Moore trockenzulegen oder Rinder zu halten. Oder indem man Moore wieder nass macht und Wälder aufforstet, um CO2 wieder einzufangen. Auch technische Lösungen sind denkbar wie CCS (carbon-capture-and-storage), also die Abscheidung von CO2 aus Abgasen mit anschließender Verdichtung und Wegsperren in unterirdische Lager.

Dabei spielt es keine Rolle, welches Gas man jeweils vermeidet oder auffängt. Nur in Summe darf eben der Gehalt der Atmosphäre in CO2-Einheiten umgerechnet nicht steigen. Wegen dieser Umrechnung entsteht leicht der Eindruck, dass CO2-neutral dann das Gleiche sein müsste.

CO2-neutral

Der Begriff ist nicht eindeutig und deshalb hat der Weltklimarat auch in seinem neuesten Sachstandsbericht darauf verzichtet. China hat für sich das Ziel ausgegeben, bis 2060 CO2-neutral zu wirtschaften. Das sagt dann streng genommen nichts darüber aus, ob nicht die anderen Klimagase weiter steigen. Der Begriff "Kohlenstoff-neutral" ist vor allem im englischen Sprachraum (carbon neutral) verbreitet. Das ist aber vage, denn Kohlenstoff ist fast überall enthalten, meint aber im Grund ebenfalls CO2-neutral. Der Weltklimarat verzichtet in seinem aktuellen Bericht auch darauf.

Null-Klimagas-Emissionen oder "Emissionsfrei"

Ist im Grund auch eine strenge Anforderung. Denn dann dürfte gar kein Treibhausgas mehr entstehen. Die Ausgleichs-Möglichkeit fällt dann weg.

Klimaneutral

Ist ein besonders gerne genutzter und gleichzeitig besonders schwammiger Begriff. Wissenschaftlich gesehen, ist das sogar eine sehr strenge Vorgabe. Denn das würde bedeuten, dass nicht nur die Treibhausgase in ein Gleichgewicht kommen müssten, sondern auch alle anderen Effekte von menschlichem Handeln mit Klimawirkung betroffen wären. Also etwa die kühlende Wirkung von Aerosolen in Abgasen (zum Beispiel Schwefeldioxid) oder auch die wärmende von Kondensstreifen.

Tatsächlich aber wird "klimaneutral" in der Werbung oft ganz anders benutzt. Da sprechen Unternehmen davon, dass ihre Produktion klimaneutral sei, weil sie zwar weiter fröhlich Treibhausgase ausstoßen, aber durch Zahlungen dazu beitragen, dass anderswo auf der Welt welche reduziert werden. Dem Klima ist das zwar zunächst egal, wo es geschützt wird und das funktioniert anfangs ja auch, der Markt entscheidet, wo das am günstigsten möglich ist. Aber das ist kein Konzept für die Zukunft, denn wenn alle schnell und viel reduzieren müssen, hilft das nicht weiter.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 09. August 2021 um 12:00 Uhr.