Ein Mann geht auf der Münchner Theresienwiese an einem Plakat mit der Aufschrift "Impfen" vorbei.
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Desinformation zu Corona Fremdschutz durch Impfung war gegeben

Stand: 19.10.2022 15:23 Uhr

Im Netz verbreitet sich ein Video, das den Fremdschutz der Corona-Impfung zu Beginn der Impfkampagne infrage stellt. Dabei schützte die Impfung nachweislich auch vor einer Ansteckung und Weitergabe des Virus - anders als heute.

Von Pascal Siggelkow, Redaktion ARD-faktenfinder

Ein Video des niederländischen Politikers Robert Roos, der auch Abgeordneter im EU-Parlament ist, sorgt derzeit für ordentlich Wirbel. Dabei geht es um eine Anhörung von Janine Small, Präsidentin für internationale Märkte beim Pharmaunternehmen Pfizer, die sich vergangene Woche den Fragen der Abgeordneten des Sonderausschusses zur Corona-Pandemie gestellt hat.

In dem Video ist zu sehen, wie Roos die Pfizer-Mitarbeiterin fragt, ob das Unternehmen den Corona-Impfstoff vor seiner Markteinführung im Dezember 2020 darauf getestet habe, ob es auch die Übertragung des Virus verhindere. Small verneint das mit der Begründung, Pfizer habe sich mit der "Geschwindigkeit der Wissenschaft" bewegen müssen, um zu wissen, was auf dem Markt vor sich gehe.

Roos postete das Video in den sozialen Netzwerken und schrieb dazu, dass Small zugegeben habe, dass der Impfstoff nie auf die Verhinderung einer Übertragung getestet wurde. Dass man mit einer Impfung nicht nur sich, sondern auch andere schütze, sei damit schon immer eine Lüge gewesen. Somit hätten auch Maßnahmen wie der Corona-Impfpass lediglich den Sinn gehabt, die Menschen zur Impfung zu zwingen.

Das Video von Roos erreichte allein auf Twitter mehr als 245.000 Likes und wurde mehr als 145.000-mal geteilt. Auch in zahlreichen verschwörungsideologischen Kanälen auf Telegram wurde das Video verbreitet - oft mit dem Hinweis, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Deutschland auf einer Lüge basiere.

"Falsch und irreführend"

Dass zum Zeitpunkt der Notfallzulassung des Corona-Impfstoffes von BioNTech/Pfizer keine gesicherten Daten zum Schutz vor einer Übertragung des Virus durch einen Geimpften vorlagen, ist keineswegs eine Neuigkeit - auch wenn die zahlreichen Beiträge zu der Anhörung im EU-Parlament den Anschein erwecken. Im Protokoll von BioNTech/Pfizer zur ersten Analyse der Phase-III-Studie, die im November 2020 erschienen und auch online einsehbar ist, ist von einer Untersuchung der Übertragung nicht die Rede.

Als primärer Endpunkt für die Wirksamkeit des Impfstoffes, also das erstrangige Ziel der Studie, wird die Prävention einer symptomatischen Coronainfektion angegeben. Die Prävention einer schweren Erkrankung gilt als sekundärer Endpunkt für die Wirksamkeit. Dass das Vakzin auch vor einer Weitergabe des Virus schützt, wurde von Pfizer und BioNTech somit gar nicht angegeben. "Zu behaupten, diese Erkenntnisse seien neu, ist damit falsch und irreführend", teilt BioNTech auf Anfrage mit.

Auch in der Notfallzulassung der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA von Anfang Dezember 2020 heißt es: "Derzeit gibt es keine Daten, um eine Aussage darüber zu treffen, wie lange der Impfstoff Schutz bietet, noch gibt es Beweise dafür, dass das Vakzin die Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch verhindert." Das Paul-Ehrlich-Institut teilt ebenfalls mit, dass in den Zulassungsstudien der Corona-Impfstoffe das Ziel verfolgt wurde, die Wirksamkeit des Schutzes vor einer symptomatischen Infektion zu beweisen.

Fremdschutz war dennoch gegeben

Dennoch gab es anhand der Studienergebnisse zu der Wirksamkeit der Impfstoffe bereits starke Indizien dafür, dass eine Impfung auch vor einer Weitergabe des Virus schützen kann. Denn bei der Alphavariante, die zum Zeitpunkt der Impfzulassung vorherrschte, zeigten die beiden mRNA-Vakzine von BioNTech/Pfizer und Moderna einen Schutz vor einer symptomatischen Infektion von mehr als 90 Prozent.

"Die Zulassungsstudien haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, durch die Impfung deutlich geringer waren", sagt Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereich Immunologie an der TU Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI). "Und wenn ich mich nicht infiziere, kann ich das Virus auch nicht weitergeben."

Das Problem bei solchen klinischen Studien sei jedoch gewesen, die nicht symptomatischen Infektionen zu überprüfen. Denn dafür hätten alle der mehr als 40.000 Probanden der Zulassungstudie regelmäßig einen PCR-Test machen müssen. Dass auch die asymptomatischen Infektionen durch die Impfung verringert werden, zeigten weitere Studien im Nachhinein. Nach Angaben des RKI liegt der Schutz vor asymptomatischen Infektionen zwischen 80 und 90 Prozent. Bei Menschen, die trotz Impfung positiv getestet wurden, "konnte darüber hinaus eine signifikant geringere Viruslast und auch eine verkürzte Dauer der Virusausscheidung nachgewiesen werden".

Somit war vom damaligen Gesichtspunkt aus durchaus auch ein Fremdschutz durch die Impfung gegeben. Hinzu kommt, dass damals noch die Herdenimmunität das Ziel war - also dass ab einem gewissen Zeitpunkt so viele Menschen durch Impfung oder überstandener Infektion immun gegen das Virus sein würden, dass es keinen neuen Wirt mehr findet und ausstirbt. Bei einer Herdenimmunität besteht auch eine Art Fremdschutz, weil Menschen, die sich nicht impfen lassen können, davon profitieren, dass es genug andere gibt, die gegen das Virus immun sind und somit die Verbreitung stoppen.

Varianten sorgen für mehr Impfdurchbrüche

Mit dem Aufkommen der neuen Varianten veränderte sich das Bild. Denn sie sorgten dafür, dass auch bereits Genesene und Geimpfte sich mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit auch weitere Male anstecken können. Insbesondere durch die Omikronvariante ist der Fremdschutz einer Impfung mittlerweile zu vernachlässigen. Das RKI verweist auf Haushaltsstudien aus Norwegen und Dänemark, die zeigen würden, dass eine Grundimmunisierung die Übertragbarkeit um etwa sechs bis 21 Prozent reduziere, eine Auffrischimpfung um weitere fünf bis 20 Prozent.

"Man kann im Prinzip nur sagen: Die Impfung schützt dich selber, weil du dann mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit schwer erkranken kannst", sagt Watzl. Generell habe man den Fremdschutz durch die Impfung zu sehr in den Vordergrund gestellt. Denn dieser sei immer nur temporär. "Impfungen sollen gar nicht so sehr vor der Ansteckung schützen, sondern vor der schweren Erkrankung." Das hätte deutlicher kommuniziert werden sollen.

Denn der Antikörperspiegel, der in den Wochen nach einer Impfung sehr hoch ist, sinkt mit der Zeit wieder. Somit wird das Virus bei einem zeitlich versetzen Kontakt nicht mehr unmittelbar auf den Schleimhäuten neutralisiert, was eine Ansteckung verhindern würde.

"Es war zu erwarten, dass der Schutz vor einer symptomatischen Infektion irgendwann auch mal verloren geht", sagt Watzl. "Bei der Deltavariante haben wir gemerkt, dass die Geimpften gar nicht mehr so sehr vor einer Ansteckung geschützt sind." Die Auffrischungsimpfung habe dem dann entgegengewirkt, jedoch sei auch deren Wirkung nur temporär gewesen. Vor schweren Verläufen hingegen schützen die Impfungen auch längerfristig.

Einrichtungsbezogene Impfpflicht noch haltbar?

Interessant werden könnte die nachlassende Fremdwirkung bei der Omikronvariante vor allem mit Blick auf die einrichtungsbezogene Impfpflicht werden. Denn in einem Beschluss des Bundesverfassungsgericht hieß es im Mai, dass der Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes davon ausging, "dass sich geimpfte und genesene Personen seltener mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren und daher das Virus seltener übertragen können". Angenommen wurde auch, "dass Geimpfte bei einer Infektion weniger und kürzer als nicht Geimpfte infektiös sind."

Das Gericht hielt dadurch die einrichtungsbezogene Impfpflicht im verfassungsrechtlichen Sinne für geeignet - auch mit Blick auf die Omikron-Variante, über die zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch wenig bekannt war. Watzl sieht das skeptisch:

Man könnte jetzt noch argumentieren, dass wir mit den angepassten Impfstoffen auch wieder mehr Schutz vor einer Ansteckung haben. Aber auch dieser Schutz ist wieder nur temporär. Und als Immunologe muss ich sagen: Jedes halbe Jahr impfen macht einfach keinen Sinn.

Bis Ende des Jahres ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht gültig. Ob sie darüber hinaus verlängert wird, hat die Bundesregierung bislang noch nicht entschieden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Oktober 2022 um 14:00 Uhr.