Ein Warteraum für Asylbewerber
Hintergrund

Seit Flüchtlingskrise 2015 So wurde die Asylpolitik verschärft

Stand: 05.09.2020 04:46 Uhr

Die deutschen Grenzen blieben zwar trotz der vielen Geflohenen 2015 offen, dennoch schränkte die Politik fast zeitgleich die Migrationsmöglichkeiten immer weiter ein. Die Verschärfungen im Überblick.

Es ist ein simpler Satz im Grundgesetz, der seit 1949 in Artikel 16a verankert ist: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Doch so simpel dieser Satz ist, so kompliziert ist seine Auslegung und praktische Anwendung.

Die Anerkennungsquote ist grundsätzlich gering. Daran änderte auch der Herbst 2015 nicht sehr viel. Zwar wurden Syrer für eine gewisse Zeit nicht entsprechend der Dublin-Verordnung in das EU-Land zurückgeschickt, das sie zu erst betreten hatten. Dennoch bemühte sich die Politik auch weiterhin, vor allem abgelehnte Asylbewerber schneller wieder los zu werden.

Fünf Jahre "Wir schaffen das": Erste Bilanz zur Flüchtlingsintegration

tagesschau, tagesschau, 31.08.2020 20:00 Uhr

Oktober 2015: Beschäftigungsverbote und sichere Herkunftsländer

Wenige Wochen nach Merkels "Wir schaffen das" trat das Asylverfahrenbeschleunigungsgesetz in Kraft - das Asylpaket I. Diese Beschleunigung sollte etwa durch die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten erreicht werden. Wer aus Ländern wie Albanien, das Kosovo und Montenegro flieht, gilt per se nicht als politisch verfolgt. Der Asylantrag wird also in der Regel ohne eine aufwändige Prüfung abgelehnt. Der Geflohene muss das Gegenteil beweisen. Noch eine weitere Einschränkung kommt für sie hinzu: Sie unterliegen einem Beschäftigungsverbot für die Dauer ihres Asylverfahrens und auch für den Fall, dass sie nach der Ablehnung aufgrund einer Duldung nicht abgeschoben werden dürfen.

Eine wichtige Änderung gibt es zudem bei der Abschiebung. Neu ist der sogenannte Ausreisegewahrsam von maximal vier Tagen, um die Durchführung der Abschiebung zu sichern. Dem Ausländer darf der Termin der Abschiebung auch nicht mehr angekündigt werden.

März 2016: schnellere Abschiebungen

Geflohene, die wenig Aussicht darauf haben, als Flüchtling in Deutschland anerkannt zu werden, sollen nach dem sogenannten Asylpaket II künftig noch schneller abgeschoben werden können. Das betraf Antragsteller aus sicheren Herkunftsländern, solche mit Wiedereinreisesperren oder etwa Geflohene mit Folgeanträgen. Die Verfahren sollten sich bei ihnen auf eine Woche beschränken und auch das Rechtsmittelverfahren innerhalb von zwei Wochen durchgeführt werden. Für sie sollten bundesweit besondere Aufnahmeeinrichtungen geschaffen werden, in denen eine verschärfte Residenzpflicht gilt. Bei Verstößen dagegen droht der Wegfall von Sach- und Geldleistungen.

Eine weitere wichtige Neuerung war auch die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs für Geflohene mit subsidiärem Schutz. Also solchen Geflohenen, denen zwar kein Asyl gewährt wird, die aber dennoch bleiben dürfen, weil ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Zudem galten qualifizierte Anforderungen an das ärztliche Attest, mit dem die Gruppe der Geduldeten eine schwere Krankheit nachweisen müssen, um nicht abgeschoben zu werden.

An den Sprach- und Integrationskursen sollen sich die Geflüchteten zudem mit einem angemessenen Betrag beteiligen.

August 2016: Asylbewerber stärker fördern und fordern

Die Bundesregierung beschreibt das Motto ihres Integrationsgesetzes selbst als "Fördern und Fordern". Wer eine gute Bleibeperspektive hat, sollte schneller und besser integriert werden. Geduldeten wurde erstmals ein gewisses Bleiberecht für die Dauer einer Berufsausbildung mit anschließender Beschäftigung gewährt. Die Regierung will zudem mehr Integrationskurse anbieten. Verschärfend gilt die befristete Wohnsitzauflage. "Integration ist schwierig, wenn zu viele Flüchtlinge in Ballungszentren ziehen. Deshalb können die Länder ihnen in den ersten drei Jahren einen Wohnsitz zuweisen", begründet sie die Vorgabe. Wer Integrationsmaßnahmen ablehnt, dem drohen Leistungskürzungen.

Juli 2017: Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums befanden sich am 31. Januar 213.439 "vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer in Deutschland". Wegen des großen Andrangs 2015 werde sich ihre Zahl noch weiter steigern, heißt es in dem Referentenentwurf. Um ihre Rückkehr zu verbessern, sollen etwa Ausreisepflichtige, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht, künftig länger in der Sicherunshaft verbracht werden. Zunächst bis zu sechs Monaten. Die Frist kann allerdings verlängert werden. Auch der Ausreisegewahrsam, der zur Sicherstellung der Abschiebung dient, wird auf zehn Tage ausgeweitet. Um die Identität von Geflüchteten klären zu können, darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) künftig auch Handydaten auslesen.

2018: ausgeweitete Abschiebehaft und begrenzter Familiennachzug

Es ist Horst Seehofers vermeintlicher "Masterplan Migration", den das geordnete Rückkehrgesetz umsetzen soll. "Nur die konsequente Durchsetzung des Rechts sichert das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Akzeptanz von Asylverfahren in der Bevölkerung. Menschen ohne Bleiberecht müssen unser Land verlassen", begründet Seehofer die Novelle. Die Abschiebehaft wird auf sämtliche abgelehnte Asylbewerber, die seit über 30 Tagen ausreisepflichtig sind, ausgedehnt, wenn sie gegen Informations- oder Mitwirkungspflichten verstoßen. Seehofer nennt es die Mitwirkungshaft. Die strengste Maßnahme, wenn andere Sanktionen nicht helfen. Aus Platzgründen wird die vorläufige Unterbringung der Abschiebehaftgefangenen mit Strafgefangenen möglich. Gerade das gilt als besonders umstritten und wird von den Bundesländern so gut wie nicht umgesetzt.

Der ursprünglich auf zwei Jahre ausgesetzte Familiennachzug wurde 2018 für die susbidiär Schutzberechtigten nur begrenzt wieder möglich. 1000 Personen pro Monat durften auf diesem Weg kommen. Das Ergebnis heftiger Auseinandersetzungen innerhalb der Union schon alleine um die richtige Bezeichnung wie etwa der Obergrenze, Richtwert oder Orientierungsgröße.

September 2019: Geldleistungen werden gekürzt

Kosten für Strom und die Wohnungsinstandhaltung werden künftig nicht mehr als Geld-, sondern als Sachleistung erbracht. "Alleinstehende, die nicht in einer Sammelunterkunft leben, erhalten zehn Euro weniger im Monat", schreibt die Bundesregierung zur Erläuterung. Statt 354 gibt es noch 344 Euro. Für Asylbewerber in einer Sammelunterkunft sinkt der Betrag auf 310 Euro. Dafür können Geflohene für ein Ehrenamt bis zu 200 Euro verdienen. Auch für Bewerber in einer Ausbildung oder Studium erhalten etwas länger Geld. Zum Jahresende 2019 zählte das BAMF nur noch 165.938 Asylanträge.

Sommer 2020 - Corona hemmt Asylverfahren

Die Corona-Pandemie wird eine zusätzliche Herausforderung des Asylrechts. Durch die teils geschlossenen Grenzen ist die Flüchtlingsbewegung zunächst zurückgegangen, aber auch die Rückführungen nehmen ab. Innenminister Seehofer hatte noch im März verfügt, dass keine Flüchtlinge mehr in andere EU-Staaten abgeschoben werden sollen. Inzwischen ist das Moratorium wieder gelockert. Derweil dürften sich die Verfahrensdauer durch ausgesetzte Asylberatungen oder Anhörungen beim BAMF wieder verlängern, so dass die enge Unterbringung in den Sammelunterkünften zu einer gesteigerten Seuchengefahr werden kann. Die angepeilte Verkürzung der Asylverfahren auf unter sechs Monate hat die Bundesregierung noch nicht erreicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete am 31. August 2020 tagesschau24 um 11:00 Uhr und die tagesschau um 20:00 Uhr.