
Nach Wiener Terroranschlag Verfassungsschutz unter Druck
In Österreich wird die Frage lauter, wie es zu dem Terroranschlag von Wien kommen konnte. Hat der Verfassungsschutz zu langsam auf Warnungen aus dem Ausland reagiert?
Was lief schief? Diese Frage stellt nicht nur Österreichs Innenminister, der auch einräumt, dass Fehler gemacht wurden. Tage nach dem Anschlag von Wien wird klar, dass die Behörden Informationen hatten und diese entweder falsch interpretierten oder auch nicht weiterleiteten. Und so wird inzwischen über Fehler und Versagen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz diskutiert.
Auslöser der Debatten waren Meldungen, wonach weit vor dem Anschlag, im Sommer 2020, das Innenministerium der Slowakei die österreichischen Behörden informiert hatte, dass der spätere Täter und ein weiterer Mann ersucht hatten, Munition zu kaufen.
Der österreichische Verfassungsschutz nahm nach den Warnhinweisen aus der Slowakei eine Gefährdungseinschätzung des Täters vor, die aber zum Anschlagszeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. Österreichische Medien berichten, dass die österreichischen Behörden "mehrfach" nachfragen mussten, ehe sie am 16. Oktober aus der Slowakei die Bestätigung bekamen, dass es sich bei dem verhinderten Munitionskäufer um die Person handelte, die später den Anschlag ausführte.

Vier Menschen wurden von dem Attentäter getötet, mehr als 20 verletzt. Der Täter wurde von der Polizei erschossen.
War der Täter gewarnt?
Medien und politische Kreise spekulieren außerdem darüber, ob der Täter vorgewarnt war und eine bereits geplante Aktion gegen islamistische Kreise verraten worden sein könnte.
So wurde bekannt, dass am 3. November, also am Tag nach dem Terrorakt, Razzien gegen Islamisten durchgeführt werden sollten. Das würde auch erklären, dass am Tatabend in vergleichsweise kurzer Zeit starke Polizeikräfte in der Stadt zusammengezogen werden konnten.
Debatte über politische Konsequenzen wird lauter
Von der FPÖ wird inzwischen der Rücktritt von Innenminister Karl Nehammer gefordert. Die Grünen in Wien fragen, warum der ÖVP-Minister noch im Amt ist. Der Vorwurf: Er habe einen "erkennbaren Terrorangriff" nicht verhindert. Die SPÖ wirbt dafür, den Verfassungsschutz neu zu ordnen. Aus derzeit drei Organisationen solle eine schlagkräftige werden.
Nehammer wiederum sieht vor allem seinem Amtsvorgänger, den früheren Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ, in der Verantwortung für die Fehler. Er wirft Kickl vor, den Verfassungsschutz zerstört zu haben. Der Minister setzte inzwischen eine Untersuchungskommission ein. Ihr Auftrag: eine Reform des derzeitigen Bundesamtes.
Am Freitagnachmittag wurde schließlich bekannt, dass der Leiter des Wiener Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung abberufen wurde, weil er keine Konsequenzen gezogen habe, obwohl die Behörde wusste, dass es im Sommer zu einem Treffen zwischen dem späteren Täter und Islamisten aus Deutschland gekommen war.
Behörden gehen gegen Moscheen vor
Die Polizei geht davon aus, dass sich der 20-jährige Täter in zwei Moscheen radikalisiert hatte. Eine der Moscheen, die zur Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) gehört, wurde nach Angaben von Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) am Freitag auf Grundlage des Islamgesetzes geschlossen. Begründung: Die "positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat" bestehe nicht.
Gegen eine zweite Moschee wurde ein Auflösungsverfahren eingeleitet. Sie gehört nach Behördenangaben nicht zur IGGÖ und habe laut Verfassungsschutz "die Radikalisierung des Attentäters begünstigt".
Kontakte zwischen Täter und Islamisten in Deutschland und in der Schweiz
Im Zuge der Ermittlungen kam es nicht nur in Österreich zu Verhaftungen von mutmaßlichen Islamisten. In der Schweiz wurden zwei Männer festgenommen, am Freitag gab es in Deutschland Razzien in Wohnungen von vier jungen Männern. Drei der Männer sollen direkten Kontakt zum Attentäter vom Montagabend gehabt haben - zwei sollen ihn noch im Juli in Wien getroffen haben.
Außerdem sollen sich im Juli zwei Männer aus Bosnien ebenfalls mit dem späteren Täter in Wien getroffen haben, kurz bevor dieser in die Slowakei fuhr, um Munition zu kaufen. Es steht die Vermutung im Raum, dass der Täter bei dem Treffen mit Gesinnungspersonen Geld oder auch die Waffe bekommen haben könnte.
Insgesamt wurde bislang in Österreich gegen acht Personen Untersuchungshaft in Zusammenhang mit dem Anschlag beantragt. Die Vorwürfe lauten: Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und Mitglied in einer kriminellen Organisation.
Wie groß ist die islamistische Szene?
Neben den polizeilichen Ermittlungen richtet sich der Blick auch zunehmend auf den sogenannten politischen Islam. Hier recherchiert die erst im Sommer eingerichtete "Dokumentationsstelle", kann aber noch keine belastbaren Zahlen über die Größe der Szene liefern.
Allerdings scheint es so zu sein, dass die Zahl der gegenüber der Ideologie des politischen Islam Empfänglichen größer ist als die der mehr als 90 Personen, die als Gefährder eingestuft werden. In der Dokumentationsstelle ist von einer diffusen Lage die Rede, wobei die Islamisten sich nicht nur auf die Hauptstadt Wien beschränken.