
Coronavirus Südafrikas Schüler verlieren Jahre
Stand: 08.09.2020 06:01 Uhr
Es dürfte Jahre dauern, bis Südafrikas Bildungssystem die Folgen der Pandemie überwunden hat. Während die einen weiterlernen konnten, hatten andere weder Bücher noch regelmäßige Mahlzeiten.
Von Jana Genth, ARD-Studio Johannesburg
Seit gut zwei Wochen gehen die meisten Kinder in Südafrika wieder zur Schule. Die Abschlussklassen durften etwas früher zurückkehren. Für alle gelten strenge Hygiene-Regeln. Dennoch hat die südafrikanische Regierung Eltern freigestellt, ihre Kinder vorerst weiterhin zu Hause zu unterrichten.
Schließlich ist die Angst vor dem Coronavirus noch nicht gebannt. Vorangegangen waren Monate der Unsicherheit. Am 18. März schlossen die Schulen landesweit, am 1. Juni öffneten sie schrittweise wieder. Am 27. Juli wurden die Schulen wegen steigender Infektionszahlen erneut für vier Wochen geschlossen, allerdings nur die öffentlichen. Dass Privatschulen öffnen durften, wurde in der breiten Öffentlichkeit als Sinnbild der Spaltung der südafrikanischen Gesellschaft empfunden.
Die südafrikanische Menschenrechtskommission hat diese Entscheidung als bedauerlich und nicht zu rechtfertigen bezeichnet. In einer Erklärung hieß es, die Entscheidung bedeute, dass bis zum 24. August 2020 über 10 Millionen südafrikanische Kinder je nach Klassenstufe mehr als die Hälfte des Lehrstoffes oder 100 geplante Schulstunden verloren haben würden.
Die Mängel sind groß und grundsätzlich
Die Gräben zwischen Arm und Reich sind auch 30 Jahre nach Ende der Apartheid tief - die Coronakrise zeigt das deutlich. Die Ungleichheiten im Bildungssystem sind sichtbar in der besseren Struktur der Privatschulen und dem Fehlen grundlegender Ausstattung in öffentlichen Schulen. Überfüllte Räume sind das eine - bis zu 80 Kinder sind in einer Klasse. Das andere sind fehlende Wasseranschlüsse und mangelhafte sanitäre Einrichtungen - auch in städtischen, vor allem aber in ländlichen Bildungseinrichtungen.
Dazu kommt: Viele Kinder aus armen Familien gehen schon nach der vierten Klasse von der Schule ab, um Geld zu verdienen. Vor allem Mädchen sind davon betroffen. Das Problem ist seit Jahren bekannt, geändert hat sich daran auch durch Covid-19 nichts.
Die südafrikanische Regierung hat den Lockdown genutzt und so manche Schule mit Toiletten und Waschbecken ausgestattet, aber nach wie vor nicht alle. Zusätzlich verschwanden Masken und Desinfektionsmittel, die an die Schulen hätten verteilt werden sollten – Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat diese Korruptionsskandale aufs Schärfte verurteilt.
Schule bedeutet auch: regelmäßige Mahlzeiten
Die Schulschließungen gingen einher mit täglichen Herausforderungen. Über soziale Netzwerke oder per Videokonferenz zu unterrichten, war in vielen Schulen keine Option. Schließlich verfügt nicht jeder Haushalt über ein Smartphone oder einen Internetanschluss, auch zu Büchern hat nicht jedes Kind Zugang. Dazu kommt, dass vor allem in ländlichen und armen Gebieten die Schule mehr abdeckt als Bildung: Kinder bekommen dort Schulessen - für viele ist das die Hauptmahlzeit des Tages.
Seit die Schulen Ende August wieder öffneten, sind vielerorts weniger als ein Drittel der Kinder zurück in den Einrichtungen. Zu groß ist die Sorge vieler Eltern, Covid-19 könne sich in den Klassenräumen übertragen. Bildungsministerin Angie Motshekga geht davon aus, dass die Schülerinnen und Schüler in diesem Schuljahr nur 70 Prozent des ohnehin schon coronabedingt gekürzten Lehrplans abarbeiten werden. Die restlichen 30 Prozent werden ihr zufolge ins nächste Schuljahr übertragen. Was nicht geschafft wird, soll im Schuljahr 2022 fertig gestellt werden.
Kann der Rückstand aufgeholt werden?
Auch wenn die Regierung versuchte, unter Hochdruck die Lehrpläne anzupassen, auch wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk SABC über Radio und Fernsehen Lehrstoff vermittelte, sprach Motshekga im August von einem Desaster. "Für mich ist es besonders katastrophal, arme Kinder zu haben, die zu Hause keinen Zugang zu Büchern und Internet haben. Ich sehe das als Katastrophe. Das Wenige, das wir aufholen können, sollten wir auch nacharbeiten."
Fakt ist: Das Schuljahr 2020 ist nicht verloren in Südafrika, aber drei Jahre lang werden die Folgen der Pandemie-Auflagen zu spüren sein. Die Abschlussklassen schreiben ihre Prüfungen später als ursprünglich geplant, und die Bewerbungsfristen für Hochschulen wurden auf 2021 ausgedehnt. Aus Regierungskreisen hieß es: Die Schulen noch länger geschlossen zu halten, hätte bedeutet, dass eine ganze Generation von Schulkindern Gefahr gelaufen wäre, einen grundlegenden Teil ihrer Bildung zu verlieren.
Die Zahl der Infektionen sinkt
Seit dem 24. August, also auch seitdem die Schulen wieder geöffnet haben, lag die Zahl der bestätigten Corona-Neuinfektionen in Südafrika täglich unter 2700. Der Anteil derjenigen, die nach einer Infektion wieder gesund sind, liegt trotz weiterer Lockerungen der Ausgangssperre bei 88 Prozent.
Gesundheitsminister Zweli Mkhize schrieb dennoch auf Twitter, das Schlimmste sei noch nicht vorbei, er mache sich Sorgen über ein Wiederaufflammen der Infektionen. Die Regierung hat von Beginn an klargemacht, sie werde je nach Infektionslage ihre Entscheidungen anpassen. Schulen in Südafrika planen das restliche Jahr folglich unter Vorbehalt.
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