Blick auf die Pariser Kathedrale Notre-Dame und das Baugerüst.
FAQ

Notre-Dame Warum der Wiederaufbau so schwer ist

Stand: 17.04.2019 15:04 Uhr

Frankreichs Präsident Macron will Notre-Dame innerhalb von fünf Jahren wieder aufbauen lassen. Ist das möglich? Wo liegen die Schwierigkeiten? Ein Überblick über die wichtigs

Wie groß sind die Schäden?

Die Schäden im Inneren sind weniger schlimm als erwartet, allerdings könnte sich das Ausmaß in den kommenden Tagen noch verändern. Denn die steinernen Deckengewölbe unterhalb des verbrannten Dachstuhls haben sich mit Löschwasser vollgesogen. "Das hat dazu geführt, dass es zu einer Gewichtszunahme der überwölbten Decken um ein Vielfaches gekommen ist. Man wird die nächsten Tage abwarten müssen, ob die Gewölbe trotz dieses Gewichts standhalten", erklärt der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich.

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Carsten Schabosky, WDR, tagesthemen 22:15 Uhr

Das Dach und ein Spitzturm von Notre-Dame wurden durch die Flammen zerstört. Der historische Holz-Dachstuhl, dessen Ausarbeitung bis ins 12. Jahrhundert oder noch weiter zurückreicht, ist für immer verloren. Im Inneren wurde nur der 1989 installierte Hochaltar durch den nach unten gestürzten Spitzturm schwer beschädigt. "Alle Stelen aus dem 18. Jahrhundert, die Pietàs, die Fresken, die Kapellen und die große Orgel sind in Ordnung", sagte der Denkmalschutz-Direktor für Notre-Dame, Laurent Prades.

Es ist jedoch möglich, dass die drei großen Rosettenfenster durch die Hitze Schaden genommen haben. Das muss erst noch überprüft werden.

Auch die Gewölbe könnten durch zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Temperaturschocks - durch das Feuer und anschließend das Löschwasser - in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Eine Einsturzgefahr besteht Experten zufolge jedoch nicht, weil der Dachstuhl bei dem Bau keine stabilisierende Rolle gespielt habe.

Was sind die nächsten Schritte für den Wiederaufbau?

Zunächst muss das Innere der Kathedrale vor Wettereinflüssen geschützt werden - durch ein provisorisches Dach aus Metall oder Plastik, das Regen abhält. Dann beginnen Ingenieure und Architekten damit, die Statik des Gebäudes zu analysieren und die Schäden zu bewerten. Danach muss entschieden werden, wie die Schäden behoben werden sollen. Dann erst können die Ausschreibungen folgen.

Es wird einige Zeit dauern, das Bauwerk zu sichern. Denn dabei müsse darauf geachtet werden, dass der Schutt nicht zunichte gemacht werde, erklärt Duncan Wilson, Vorsitzender der staatlichen englischen Denkmalpflegebehörde Historic England. Darin könnten wertvolle Informationen und Material für die Restauratoren enthalten sein. "Das ist eine mühevolle Aufgabe. Es ist wie eine archäologische Ausgrabung."

Und es gibt noch mehr, was Zeit braucht - etwa die Vorbereitungsarbeiten oder die Beseitigung der Wasserschäden durch die Löscharbeiten.

Wie lange wird der Wiederaufbau dauern?

Das lässt sich im Moment nicht seriös abschätzen. "Jetzt zu spekulieren, wie lange der Wiederaufbau dauern und was er kosten wird, ist ein Blick in die Glaskugel", sagt der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich. Er rechnet damit, dass der Wiederaufbau deutlich länger dauern wird als von Macron angekündigt. "Allein wenn man die Fernsehbilder gesehen hat, weiß man, dass es nicht nur Jahre sein werden, bis der letzte Schaden beseitigt ist, sondern dass es da um Jahrzehnte geht."

Auch der Berater der französischen Regierung für Kulturgüter, Stéphane Bern, geht davon aus, dass der Wiederaufbau "mindestens zehn bis 20 Jahren" dauern wird.

Wie wird der Wiederaufbau finanziert?

Am Geld wird der Wiederaufbau nicht scheitern. Konzerne und Großspender haben bereits fast eine Milliarde Euro zugesagt. Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, will zudem eine internationale Geberkonferenz in der französischen Hauptstadt abhalten.

Die Solidarität und Spendenbereitschaft der Menschen ist enorm. Zahlreiche Länder haben Hilfe zugesagt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, Deutschland sei bereit, "mit deutscher Expertise, deutscher Erfahrung" den Wiederaufbau zu unterstützen.

Wie hoch die Kosten sein werden, hängt von vielen Faktoren ab - unter anderem von der Frage, ob traditionelle oder moderne Techniken zur Anwendung kommen.

Strittig ist, wer die Kosten tragen muss. Die Kathedrale sei im staatlichen Besitz und somit nicht im klassischen Sinne versichert, berichtete die Zeitung "Le Monde" unter Berufung auf den französischen Versicherungsverband. Der Staat sei in diesem Falle sein eigener Versicherer.

Gibt es Baupläne von Notre-Dame?

Notre-Dame ist ein gut dokumentiertes Bauwerk. Über die Jahre haben Geschichtswissenschaftler und Archäologen mithilfe von 3D-Lasertechnik gründliche Pläne und Abbildungen erstellt, auch vom Inneren der Kathedrale.

Schwierig könnte der Wiederaufbau des Dachstuhls werden. Der gehe auf eine Holzkonstruktion aus dem 13. Jahrhundert zurück, deren Baupläne nicht mehr verfügbar seien, erläutert der Kunsthistoriker Stephan Albrecht von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. "Es gibt nur vage Zeichnungen, wie das ausgesehen hat", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Soll Notre-Dame originalgetreu aufgebaut werden?

Darüber streiten die Experten. Viele Architekten fordern einen originalgetreuen Wiederaufbau, andere dagegen plädieren für eine schnellere Neukonstruktion aus Stahl oder Beton.

Klar ist, dass der eingestürzte Vierungsturm ein neues Aussehen erhalten wird. Er war erst im 19. Jahrhundert hinzugefügt worden und soll nun durch ein modernes Design ersetzt werden. Frankreichs Premierminister Édouard Philippe kündigte einen Architektenwettbewerb an. Der Turm solle den "Techniken und Herausforderungen unserer Zeit" gewachsen sein.

Eine Herausforderung dürfte die Materialbeschaffung werden. Das Dach der Kathedrale wurde aus Eichenbalken aus jahrhundertealten Bäumen gesägt. Selbst im 13. Jahrhundert waren diese schwer zu bekommen. In Europa dürfte es keine Bäume geben, die dafür groß genug sind. Solche Eichen hätten spätestens im 19. Jahrhundert angepflanzt werden müssen.

Alternativ könnte man eine andere Art von Struktur bauen, die aus kleineren Balken besteht, oder sogar ein Dach aus Metall - wobei Puristen das wohl ungern sähen.

Gibt es genügend Fachleute für den Wiederaufbau?

Nach Einschätzung von Experten wird der Fachkräftemangel ein großes Hindernis beim Wiederaufbau. Der Kunsthistoriker Hermann Hipp glaubt, dass es schwierig wird, Spezialisten zu finden, die die Feinheiten der gotischen Bautechnik beherrschen. "Die Steinmetztechnik, die statischen Kenntnisse über Gewölbe zum Beispiel oder Strebebögen. In der Gotik ist ja eine Steintechnik entwickelt worden, die nicht mit Mörtel arbeitet, sondern mit Blei - mit präzisestem Steinschnitt. Das muss man können", erklärte Hipp dem NDR.

Auch der Vorsitzende der Vereinigung der Europäischen Dombaumeister, Wolfgang Zehetner, sieht ein Riesenproblem. Die handwerklichen Fähigkeiten seien dünn gesät, um die vielen Kräfte mobilisieren zu können, die einen raschen Wiederaufbau ermöglichen, sagte Zehetner dem österreichischen Magazin "trend". So könnten etwa von den 20 Fachkräften, die permanent mit der Restauration des Stephansdoms in Wien betraut sind, vielleicht zwei Leute abgestellt werden.

Wann können Besucher wieder ins Innere von Notre-Dame?

Die Kathedrale wird für fünf bis sechs Jahre geschlossen sein. Das kündigte Bischof Patrick Chauvet an. Ein Segment der Kathedrale sei sehr geschwächt worden.

Mathias Zahn, ARD Paris, 17.04.2019 17:35 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 17. April 2019 um 16:00 Uhr.