Das auf Gotland stationierte Regiment der schwedischen Armee bei einer Schießübung.
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Beitritt zu Militärbündnis Wie die NATO von Schweden profitiert

Stand: 12.08.2023 11:07 Uhr

Schweden bereitet sich auf den NATO-Beitritt vor. Dieser bringt dem Militärbündnis eine Reihe an Vorteilen - allen voran die Kontrolle der Ostsee, wovon auch Deutschland profitieren kann.

Von Johannes Edelhoff, ARD Stockholm

Anlegen, feuern, pro Anschlag drei Schuss - möglichst präzise. Der 19-jährige William Landqvist schießt mit einem Maschinengewehr Typ "Bofors AK-5C" auf die Papier-Silhouette eines imaginäres Feindes. Die Übung gehört zur Ausbildung des Wehrpflichtigen beim Gotland-Regiment P18 der schwedischen Armee.

William Landqvist hat sich freiwillig zum Dienst an der Waffe gemeldet: "Ich sehe es einfach als eine große Bereicherung an, Schweden gegen einen bewaffneten Angriff verteidigen zu können", sagt er. "Ich will dabei sein, das ist das Wichtigste für mich. Und jetzt bin ich hier, und es fühlt sich gut an."

2018 hat Schweden die Wehrpflicht eingeführt, aber Zwang ist oft gar nicht nötig, denn seit der Einführung bewerben sich viele junge Schwedinnen und Schweden freiwillig. In dem Land gibt es offenbar ein großes Bewusstsein dafür, dass die Landesverteidigung wichtig ist. "Das hat sich enorm verändert", sagt Anders Malm, der stellvertretende Regimentskommandeur des Gotland-Regiments P18: "Es gibt ein klares Verständnis dafür, dass eine Verteidigung notwendig ist und dass die schwedischen Streitkräfte gute Arbeit leisten."

Auch die Heimwehr, eine Bereitschaftsarmee innerhalb der schwedischen Streitkräfte, hat enormen Zulauf: Die Bewerberzahlen haben sich verdoppelt in der vergangenen zwei Jahren.

Was der Beitritt Schwedens der NATO bringt

Johannes Edelhoff, ARD Stockholm, Europamagazin, 13.08.2023 15:30 Uhr

Strategischer Vorteil: das Hinterland

Sollte Schweden der NATO beitreten, wäre die militärische Einstellung der Bevölkerung ein großer Vorteil für das Bündnis, sagt Militärexperte Johannes Peters vom Institut für Sicherheitspolitik in Kiel.

Es zahle auf das Abschreckungspotenzial ein, weil Schweden ebenso wie Finnland in der Lage wäre, in einem Kriegsfall sehr schnell gut ausgebildete Reservisten heranzuziehen, die dann zur Verfügung stünden: "Das ist ja etwas, was wir in Deutschland hier gründlich verlernt haben. Spätestens mit der Abschaffung der Wehrpflicht ist die Bundeswehr nahezu komplett aus dem kollektiven Bewusstsein Deutschlands verschwunden."

Seitdem Russland die Ukraine überfallen hat, will Schweden NATO-Mitglied werden. Der Beitritt gilt mittlerweile als sehr wahrscheinlich. Alle NATO-Länder müssen zustimmen, wenn ein neues Land aufgenommen werden soll.

Lange hat die Türkei sich gegen den Beitritt Schwedens ausgesprochen. Doch auf dem NATO-Gipfel in Litauen im Juli hatte Recep Tayyip Erdogan zugesagt, Schwedens Beitritt unterstützen zu wollen. Im Herbst könnte es dann so weit sein.

Der 19-jährige schwedische Soldat William Landqvist bei einer Schießübung auf Gotland.

William Landqvist hat sich freiwillig zum Dienst an der Waffe gemeldet - und auch sonst haben Schwedens Streitkräfte keine Nachwuchsprobleme.

Strategisch bietet Schwedens riesiges Hinterland einen Vorteil für die NATO. Etwa für Flugrouten - die Nordseite der Ostsee bis zur Arktis wäre ein in sich geschlossener NATO-Raum.

Genau diesen Vorteil betonte erst kürzlich das US-Militär bei einer Übung in Skandinavien: "Die Fähigkeit, Ausrüstung, Soldaten, Munition und Vorräte schnell, organisiert und effizient zu transportieren, ist wirklich wichtig" , sagte  Gregory Anderson, Generalmajor der US Army. "Ob Häfen, Flugplätze, Eisenbahnen oder Autobahnen - all diese Dinge sind von Bedeutung für die Kriegsführung."

Die "Sonneninsel" wird hochgerüstet

Besonders deutlich wird das auf Gotland. Eigentlich gilt sie als die Sonneninsel der Schweden - die beliebteste Urlaubsgegend. Bis 2018 war sie vollständig entmilitarisiert, doch jetzt wird sie wieder hochgerüstet. Denn wer Gotland kontrolliert, kontrolliert auch die Ostsee, heißt es.

Grund dafür ist die zentrale Lage der zweitgrößten Insel: Sie liegt vor der Ostküste Schwedens. Wie ein riesiger Flugzeugträger, sagt Anders Malm: "Wenn man Gotland unter Kontrolle hat, dann kann man sicherstellen, dass man mit seinen eigenen Verbänden, seinen eigenen Einheiten und auch mit der zivilen Schifffahrt oder der Luftfahrt freie Fahrt auf der Ostsee hat."

Anders Malm, der stellvertretende Regimentskommandeur des Gotland-Regiments P18.

Der stellvertretende Kommandeur Anders Malm beobachtet ein "klares Bewusstsein" für die Wichtigkeit von Verteidigung bei den Schweden.

In der Auseinandersetzung mit Russland ist besonders die Ostsee ein Spannungsgebiet. Erst kürzlich präsentierte Russlands Präsident Wladimir Putin seine Flotte bei einer Parade vor Sankt Petersburg: 45 Schiffe, U-Boote und 3.000 Marinesoldaten.

Im Konfliktfall könnte Schwedens Beitritt der NATO helfen. Denn das Land verfügt über hochmoderne U-Boote. In der engen Ostsee könnten die kriegsentscheidend sein. "Das ist ein immenser Vorteil", sagt Militärexperte Peters: "Denn die Kontrolle über die Ostsee würde unter Wasser gewonnen, da Schiffe, die über Wasser fahren, auf der kleinen Ostsee immer detektierbar und damit auch angreifbar sind."

Aber schon ab sofort wäre die schwedische U-Boot-Flotte ein Vorteil für die NATO. Besonders für Deutschland. Denn die Schiffe sind perfekt an die flachen Gewässer der Ostsee angepasst, das ist eine seltene Fähigkeit. Sie helfen bei der Aufklärung: "Bisher war es so, dass aus NATO-Sicht allein Deutschland diese Fähigkeiten mitbrachte", sagt Militärexperte Peters.

Die deutsche Marine habe bislang "die ganze Last der NATO-U-Bootpräsenz in der Ostsee zu schultern." Mit einem Beitritt Schwedens kämen "die schwedischen Qualitäten ins Portfolio". Von einem schwedischen Beitritt zum Verteidigungsbündnis würde also vor allem die deutsche Marine profitieren.

Mitarbeit: Linnea Pirntke

In einer früheren Version hieß es, Gotland liege an der Westküste Schwedens. Die Insel liegt allerdings im Osten.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das "Europamagazin" im Ersten am 13. August 2023 um 15:30 Uhr.