
Hintergrund zu Gambia Kleines Land, großer Machtkampf
Stand: 19.01.2017 10:53 Uhr
Gambia ist eines der ärmsten Länder der Welt. Viele Menschen fliehen von dort - auch nach Deutschland. Der aktuelle Machtkampf könnte alles noch schlimmer machen. Jens Borchers erklärt, was in Gambia abläuft und was auf das Land zukommen könnte.
Von Jens Borchers, ARD-Studio Nordwestafrika
Als Yahya Jammeh im Staatsfernsehen den Ausnahmezustand verhängt, liefert er eine bemerkenswerte Begründung: "Diese Maßnahme ist notwendig wegen der beispiellosen und außergewöhnlichen ausländischen Einmischung in die Wahlen vom 4. Dezember und in die internen Angelegenheiten Gambias. Die ungerechtfertigte feindliche Stimmung bedroht die Souveränität, den Frieden und die Sicherheit des Landes."
Als "ausländische Einmischung" interpretiert Jammeh die Rücktrittsforderungen an ihn. Die Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten, Ecowas, und viele andere Regierungen fordern, dass er abtritt. Aber der 51-Jährige klammert sich an die Macht. Jammeh verlangt weiterhin eine Entscheidung des Obersten Gerichts in Gambia. Wegen Unregelmäßigkeiten und Einmischungen müsse die Präsidentschaftswahl wiederholt werden.
Kein Rücktritt, weil nicht genug Richter da sind?
Das Gericht konnte bisher nicht über diesen Einspruch entscheiden - weil nicht genug Richter da sind, hieß es zur Begründung. Jammeh will ohne das Votum der Obersten Richter nicht abtreten. In Gambias Hauptstadt herrscht deshalb höchste Anspannung: "Wir machen uns Sorgen", sagt eine Passantin Frau. "Wir fürchten, dass etwas passieren könnte." Und ein anderer Hauptstädter hofft noch darauf, dass Jammeh nachgibt, fürchtet aber, dass es "Unruhen und Tote" geben könnte.
Tausende Gambier sind deshalb in Nachbarstaaten geflohen, berichten die Vereinten Nationen. Gambias Wahlsieger, Adama Barrow, hält sich ebenfalls aus Sicherheitsgründen im Nachbarland Senegal auf. Alle politischen Vermittlungsversuche der Ecowas scheiterten bislang.
Ein wundersames Telefonat mit Liberias Präsidentin
Am vergangenen Sonntag hatte Jammeh Liberias Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf in ihrer Eigenschaft als Ecowas-Vermittlerin angerufen. Sie solle helfen, Richter nach Gambia zu bringen, damit das oberste Gericht über seinen Einspruch entscheiden kann. Jammeh ließ das Telefonat aufzeichnen, sendete es im Staatsfernsehen, sagte aber Johnson-Sirleaf nichts davon. Die rief daraufhin wütend bei der britischen BBC an. "Leider hat er unser Gespräch aufgezeichnet und im Fernsehen gesendet – so ist er eben. Mir hatte er davon nichts gesagt", klagte sie dort.
Johnson-Sirleaf fühlte sich offenbar für Jammehs Propaganda zum Machterhalt missbraucht. Jetzt hat Marokko dem Autokraten Gambias Asyl angeboten, wenn er die Macht abgebe. Jammeh weigert sich bisher.
Experte warnt vor "katastrophalen Szenario"
Jean-Claude Marut, ein französischer Politikexperte für Westafrika, hofft nach wie vor auf eine politische Lösung der Krise: "Wenn sich diese Hoffnung nicht erfüllt, dann könnte es zu einem katastrophalen Szenario kommen: Dass sich Jammeh bis zuletzt an die Macht klammert, bewaffnet und im Kreis seiner letzten Getreuen. Aber das wäre ein komplett selbstmörderische Perspektive für ihn."
Hinter den Kulissen heißt es, niemand wünsche sich eine Militärintervention im Namen der Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas. Deshalb sei es auch denkbar, dass die Amtseinführung des Wahlsiegers Adama Barrow heute in einer Botschaft Gambias im Ausland vollzogen werde. Gambia hätte dann auf unbestimmte Zeit gewissermaßen zwei Präsidenten. Yahya Jammeh, der nicht gehen will, und Adama Barrow, der noch nicht kommen kann.