Ursula von der Leyen steht im Gebäude des Europäischen Parlaments und spricht.
analyse

Rede der EU-Kommissionschefin Grundstein für die Wiederwahl-Kampagne

Stand: 13.09.2023 16:02 Uhr

In ihrer Rede zur Lage der Union hat EU-Kommissionschefin von der Leyen kein Wort darüber verloren, ob sie eine zweite Amtszeit anstrebt. Und doch machte sie viele Andeutungen, wie sie die EU weiter prägen will.

Auch diesmal hat sich Ursula von der Leyen nicht offen zu ihren persönlichen Zukunftsplänen geäußert. Ob sie für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission zur Verfügung steht, bleibt unausgesprochen. Eine Überraschung ist das Schweigen nicht. Von der Leyen will sich neun Monate vor der Europawahl noch nicht in den Wahlkampf begeben. Und doch ist nach dem Auftritt im Plenarsaal des Europaparlaments in Straßburg der Eindruck unvermeidlich: Ihre Rede zur Lage der Europäischen Union enthielt deutliche Spuren von Werbung in eigener Sache.

Eine Stunde Bilanz und Ausblick

Bevor es am Morgen losging, wurde viel gelächelt. Ursula von der Leyen schüttelte unzählige Hände, stand für Selfies zur Verfügung. Bussi links, Bussi rechts. Dann tritt sie ans Rednerpult für eine gute Stunde Bilanz und Ausblick. Wie sieht sie den Zustand der Europäischen Union?

Ohne Zweifel war von der Leyens EU-Kommission mit Großkrisen konfrontiert, deren Ausmaß zu Beginn ihrer Amtszeit 2019 nicht annähernd absehbar waren: die Corona-Pandemie und der russische Angriff auf die Ukraine mit allen Konsequenzen, die diese Zäsur auch für die EU hatte.

Die Deutsche ist - wenig überraschend - mit dem Erreichten völlig zufrieden: Die EU stehe geschlossen an der Seite der Ukraine, so lange es nötig sei. Putin habe Energie als Waffe eingesetzt, Europa sei dennoch warm durch den Winter gekommen.

Abgesehen davon komme der sogenannte Green Deal, der Plan im Kampf gegen Klimawandel, voran - das Projekt, das von der Leyen anfangs als "Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment" betitelt hatte. In die EU-Asylpolitik sei endlich Bewegung gekommen.

Wichtige Themen: KI, Windkraft, Afrika

Doch beim Blick zurück allein soll es nicht bleiben. Was hat sie noch vor, bis im kommenden Jahr das Ende ihrer Amtszeit näher rückt? Den ersten vernehmbaren Applaus bekam die Kommissionspräsidentin, als sie ankündigte, die staatliche Förderung für chinesische Elektroautos untersuchen zu lassen: "Der Preis dieser Autos wird durch riesige staatliche Subventionen künstlich gedrückt - das verzerrt unseren Markt."

Die Deutsche will sich außerdem dafür einsetzen, ein internationales Expertengremium zur Künstlichen Intelligenz einzurichten - nach dem Vorbild des Weltklimarates. Der frühere EZB-Chef Mario Draghi soll einen Bericht zu Chancen und Risiken der EU-Wirtschaft erarbeiten. Ein Windkraftpaket, eine Afrikastrategie. Frauen sollen besser vor Gewalt geschützt werden, indem das Prinzip "Nein heißt Nein" gesetzlich verankert wird. Die Liste ist lang. Von der Leyens Fazit über die Arbeit der von ihr geleiteten Kommission fällt durchweg positiv aus.

Parteifreund kritisiert "wolkige Ankündigungen"

Nicht jeder im Straßburger Rund teilt das. Katharina Barley, SPD-Abgeordnete und Parlamentsvizepräsidentin, sieht "sehr wenig konkretes für die Bürgerinnen und Bürger in diesen schwierigen Zeiten." Das Fazit von CSU-Mann Markus Ferber, einem Parteifreund: "wolkige Ankündigungen, Recycling bekannter Vorschläge und wenig Neues".

Was verrät die Rede über von der Leyens persönliche Pläne? Daniel Freund von den Grünen sagt, es sei "für jeden was dabei" - vor allem in der eigenen Partei. "Es ist absehbar, dass die Kommissionspräsidentin hier die ersten Grundsteine für ihre Wiederwahl-Kampagne ausgelegt hat."

Kein Wort zu einer zweiten Kandidatur

Und natürlich drängt sich die Frage auf: Warum sollte von der Leyen nicht weitermachen wollen? Warum jetzt aufhören? Schließlich sei es - nach ihren Worten - wieder einmal der Moment für Europa, "dem Ruf der Geschichte" zu folgen. Beim WDR-Europaforum im Juni hatte die Kommissionspräsidentin angekündigt, sich "in der zweiten Jahreshälfte" zu äußern.

Bis dahin, meint Politikwissenschaftler Andreas Maurer von der Universität Innsbruck, werde von der Leyen sehr genau ihre Erfolgschancen prüfen: "Wo sind ihre Unterstützer, und hat sie diese Unterstützer auch im Sack? Wenn das nicht der Fall ist, dann werden wir von ihrer Kandidatur bis nächstes Jahr nichts hören."

Die amtierende Präsidentin braucht die Unterstützung sowohl des Europaparlaments also auch der Mitgliedstaaten. Welche Bedeutung bei der Wahl im kommenden Jahr das Spitzenkandidaten-Prinzip haben wird, ist noch unklar - die Regelung sieht vor, dass die Kommissionspräsidentschaft nur bekommen kann, wer als Spitzenkandidat oder -kandidatin antritt. 2019 war von der Leyen ins Amt gekommen, weil die Mitgliedsstaaten das Prinzip gebrochen hatten. Heute in ihrer Rede sagte sie zu diesem Thema nichts.

Rede zur Lage der EU: Kommissionspräsidentin von der Leyen betont Erfolge

Tobias Reckmann, ARD Brüssel, tagesthemen, 13.09.2023 22:15 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 13. September 2023 um 16:00 Uhr.