EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält eine Rede.

Rede zur Lage der EU Spannung vor von der Leyens Bilanz

Stand: 13.09.2023 05:04 Uhr

Die Anspannung ist groß in Brüssel: Kommissionspräsidentin von der Leyen hält ihre letzte Rede zur Lage der EU vor der Europawahl im kommenden Jahr. Welche Themenschwerpunkte wird sie setzen?

Seit Wochen läuft auf der Internet-Seite der EU-Kommission ein Countdown. Gezählt werden die Tage, die Stunden, die Minuten und sogar die Sekunden, bis Ursula von der Leyen in Straßburg ans Rednerpult tritt. Das lässt erahnen, welche Bedeutung dieser Moment für die Brüsseler Behörde hat - und für ihre Chefin wahrscheinlich auch. Kein Wunder: Schließlich ist es ihre letzte Rede zur Lage der EU vor der Europawahl im kommenden Jahr.

In Brüssel gehen viele davon aus, dass von der Leyen danach gerne weitermachen würde. Nicolai von Ondarza, Europa-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, erwartet deshalb auch mehr Rückschau als Ausblick.  

"Sie ist ja eine Krisen-Kommissionspräsidentin gewesen, mit Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg, da wird sie sicher die Einheit beschwören und auf ihre großen Erfolge verweisen", vermutet von Ondarza. "Es gibt nur noch sechs Monate Zeit, um Gesetzgebungsvorhaben durch das Parlament zu bringen. Sie wird wahrscheinlich auf die letzten pochen, um zu sagen: Das müssen wir noch vor den Wahlen erreichen, um dann möglicherweise im nächsten Jahr vor die Wähler zu treten."

Viel Eigenlob der EU-Kommission

Die EU-Kommission präsentiert auf ihrer Homepage eine regelrechte Leistungsschau. Das Von-der-Leyen-Team habe seit der vorherigen Rede zur Lage der EU "bahnbrechende Projekte" auf den Weg gebracht, heißt es da in aller Bescheidenheit. Um der Ukraine zu helfen und Russland zu isolieren. Um den Fachkräftemangel einzudämmen, den Strommarkt gerechter zu machen, die geistige Gesundheit zu fördern. Für besseren Verbraucherschutz, für mehr Wettbewerb im Internet - und, und, und.

Bei der Rede heute soll es aber auch um die Zukunft gehen. Denn die großen Themen von vor einem Jahr sind alle noch da. Der russische Angriffskrieg. Der Klimawandel. Die Energiekrise. Die Länder, die auf einen EU-Beitritt warten.

Weber wünscht sich Optimismus

Im Europaparlament sind die Erwartungen groß. "Ursula von der Leyen hat als Kommissionspräsidentin die Krisen, die wir hatten, gemanagt, gemeinsam haben wir die vorangebracht und viele gute Antworten gegeben", macht Manfred Weber, Fraktionschef der Christdemokraten, deutlich.

In einer Zeit, in der die Menschen viele Sorgen hätten - ob das Leben stabil bleibe, ob es gut weitergehe, trotz des Kriegs, der Inflation, der globalen Veränderungen, des Klimawandels - sei das Wichtige, "dass wir uns vergewissern: Ja, wir können das schaffen. Ich wünsche mir Optimismus."

Kann die EU mit China und den USA mithalten?

Nach Ansicht von Rasmus Andresen, dem Sprecher der deutschen Grünen-Abgeordneten, muss die Kommissionspräsidentin die soziale und wirtschaftliche Lage in Europa zum zentralen Thema ihrer Rede machen und dazu konkrete Vorschläge präsentieren. Zum Beispiel, wann der versprochene milliardenschwere Investitionsfonds endlich kommt. Er sagt: "Immer mehr Europäerinnen und Europäer rutschen in Armut und wir investieren viel zu wenig in unsere europäische Infrastruktur. Das macht uns auch im Vergleich zu China oder den USA deutlich schwächer."

"Einfach nicht genug abgeliefert"

Dass von der Leyen ihren Auftritt in Straßburg auch als Bewerbungsrede nutzt oder zumindest andeutet, dass sie gerne fünf weitere Jahre an der Spitze der Kommission dranhängen würde, gilt als äußerst unwahrscheinlich.

Martin Schirdewan, Fraktionschef der Linken, sieht ohnehin keinen Grund, warum sie ihr Amt nach der Europawahl behalten sollte. Er wirft der Kommissionschefin vor, viel versprochen, aber wenig davon eingelöst zu haben. "Die Armut ist gestiegen, die Ungleichheit hat enorm zugenommen und beim Klimaschutz sind nur halbgare Maßnahmen verabschiedet worden. Diese Kommissionspräsidentin hat einfach nicht genug abgeliefert, und es ist ziemlich schwierig, darin einen Arbeitsnachweis zu erkennen, der für eine weitere Amtszeit qualifiziert." 

Stephan Ueberbach, SWR Brüssel, zzt. Straßburg, tagesschau, 12.09.2023 23:43 Uhr