Blick auf einen Getreideterminal im Hafen von Odessa
Reportage

Ukrainischer Getreide-Export Nervenprobe am Schwarzen Meer

Stand: 29.07.2022 10:42 Uhr

In den ukrainischen Schwarzmeer-Häfen lagern Millionen Tonnen Getreide für den Export. Nach UN-Angaben sollen die ersten Frachter bald auslaufen. Das Warten darauf kostet Nerven, die Bedingungen sind gefährlich

Sie beißen leidlich, die Schwarzmeerfische, auf die Nikolai und Oleg aus sind an diesem sonnigen Nachmittag. Die beiden Männer angeln an der Mole in der ukrainischen Hafenstadt Odessa und schauen dabei direkt auf einen Teil des verminten Hafens. Neben hohen Kränen lagert in großen Silos unter anderem Getreide für den Export.

Seit dem russischen Angriff liegen die zivilen Frachtschiffe hier vor Anker. Mit dem ukrainisch-russischen Abkommen von Istanbul sollen die ersten wieder ablegen - beladen mit Weizen, Gerste, Mais, Sonnenblumenöl oder Düngemitteln.

"Wenn wir das haben und andere das brauchen, bin ich nicht dagegen", sagt Oleg. "Sollen andere Menschen in Gottes Namen doch auch etwas bekommen."

"Eigentlich sollte das Getreide hier bleiben, denn überall gibt es eine Dürre und wir wissen nicht, wie gut die nächste Ernte wird", sagt Nikolai. "Es wäre besser, das Getreide bliebe hier."

Blick auf das Schwarze Meer vor Odessa.

Das Schwarze Meer vor Odessa: eine wichtige - und aktuell gefährliche - Exportroute.

68 Schiffe in Häfen blockiert

Mit dieser Meinung ist Nikolai, 44 Jahre alt, ein Tischler in roter Badehose, zurzeit wohl ziemlich allein. Denn ob ukrainische Führung, Landwirte, beteiligte Unternehmen oder Reedereien - alle warten auf den lukrativen und politisch wichtigen Export von knapp 20 Millionen Tonnen Getreide.

Warten auf die Getreidelieferungen aus der Ukraine

Isbael Shayani, WDR, zzt. Odessa, tagesthemen, tagesthemen, 28.07.2022 22:15 Uhr

In den drei Schwarzmeer-Häfen Odessa, Pivdennyi und Tschornomorsk waren nach Angaben der Hafenbehörde 68 Schiffe blockiert. Die ersten können nun auslaufen, berichtet ein Ladespezialist im Tschornomorsker Hafen.

Doch die Schwierigkeiten bleiben enorm, so der Ingenieur, der nicht öffentlich genannt werden möchte. "Es gibt viele Fragen, die mit der Sicherheit auf dem Meer zusammenhängen. Und nach fast einem halben Jahr Unterbrechung lösen Sie das nicht in ein bis zwei Tagen oder einer Woche", sagt der Mann. "Vor allem, wenn es um Sicherheit unter diesen Bedingungen geht." Allein die Navigation sei jetzt ganz anders ist als vor dem Krieg.

Verminte Transportwege, russische Raketenangriffe

Die ukrainische Armee säubert die drei Häfen und das Meer von eigenen Minen, doch für die Schiffe und ihre Besatzung ist die Fahrt dennoch hochriskant: Nicht kontrollierbare Treibminen oder russische Raketenangriffe bleiben eine tödliche Gefahr. Genau wie russische Kriegsschiffe oder russische Minen, die ebenfalls geräumt werden sollen.

Überwacht werden soll das von einem Kontrollzentrum in Istanbul. Es ist ein komplizierter Prozess, so Dmytro Barinow, Sprecher der ukrainischen Häfen. "Es wäre schlecht, wenn alles scheitert", sagt Barinow. "Die Häfen müssen arbeiten, die Menschen auch, denn sie brauchen Geld für ihre Familien. Genau wie die ukrainische Wirtschaft und die Bauern." In Europa seien die Preise gestiegen und Menschen in armen Länder hätten nicht genügend Essen. "Deswegen ist das ein großes Problem."

Dmytro Barinow

Wenn die Getreideausfuhren misslängen, wäre das dramatisch für die Menschen in der Ukraine und weltweit. "Es wäre schlecht, wenn alles scheitert", sagt Dmytro Barinow, Sprecher der ukrainischen Häfen.

Exportvereinbarung für 120 Tage

Die ukrainisch-russische Exportvereinbarung gilt zunächst für 120 Tage - und die Regierung in Moskau profitiert davon enorm. Denn Russland darf eigenes Getreide oder Düngemittel exportieren.

In den Handel involvierte Reedereien oder Versicherer müssen zudem nicht fürchten, beim Mitabwickeln gegen westliche Sanktionen zu verstoßen.

Ungewisse Zukunft

Ausgerechnet Russland entgegenkommen zu müssen, das stört auch den Angler Nikolai. Er wirft die Angel aus und hofft, dass er in Odessa bleiben kann. Denn Export hin oder her - die Zukunft ist ungewiss.

"Sie waren doch sicher schon mal an einem Bahnhof", sagt Nikolai. "Wir hier leben wie in einem Wartesaal. Da weiß auch niemand, wie es weitergeht. Aber wenn wir von dort auch noch verjagt werden: Das wäre dann das Schlimmste."

Andrea Beer, WDR, 29.07.2022 09:11 Uhr