Die Tänzer Olga Smirnowa und Artem Beljakow bei der Neujahrs-Gala im Bolschoi Theater (Archiv Dezember 2019)

Primaballerina verlässt Bolschoi-Ballett "Ich schäme mich für Russland"

Stand: 18.03.2022 14:30 Uhr

Olga Smirnowa war ein Star des Bolschoi-Balletts. Nun sagt sie frei heraus, was sie über den Krieg in der Ukraine denkt - allerdings aus sicherer Entfernung. Sie hat Moskau verlassen und tanzt jetzt in Amsterdam.

Von Ludger Kazmierczak, ARD-Studio Den Haag

Olga Smirnowa hat schon länger mit dem Gedanken gespielt, das Moskauer Bolschoi-Theater zu verlassen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe diesen Schritt beschleunigt, erzählt sie im Interview mit dem niederländischen Fernsehen: "Instinktiv fühlte ich, dass sich die Welt verändern wird, und zwar dramatisch." Als sie die Nachricht hörte, war das für sie wie ein absoluter Albtraum. "Das passt doch nicht ins 21. Jahrhundert. Kriege gehören der Vergangenheit an. Wir können doch heute Konflikte nicht mehr mit Kriegen lösen."

Anfang dieser Woche ist die russische Primaballerina in Amsterdam angekommen. Das Niederländische Nationalballett hat sie mit Kusshand aufgenommen. Smirnowa sei eine "herausragende Tänzerin", sagt Ensemble-Chef Ted Brandsen. Schon in zwei Wochen wird sie in Amsterdam ihre Premiere feiern.

"Ich habe enormes Glück, dass sie mich gefragt haben, ob ich die 'Raymonda' tanzen möchte von Marius Petipa", erzählt Smirnowa. Premiere ist am 3. April. "Ich habe die Titelrolle schon mal getanzt, aber das ist eine andere Choreographie, die ich noch einstudieren muss. Für mich ist es allerdings sehr wichtig, dass ich wieder proben und auf der Bühne stehen kann - gerade unter diesen Umständen."

"Mit jeder Faser meiner Seele gegen diesen Krieg"

Sie sei "mit jeder Faser meiner Seele" gegen diesen Krieg, sagt die Tänzerin. Sie habe einen ukrainischen Großvater, Freunde und Verwandte leben dort. Dass in der Ukraine Zivilisten sterben und ihre Wohnungen verlassen müssen, schmerze sie. Sie habe nie gedacht, dass sie sich jemals für Russland schämen würde, so die 30-Jährige.

"Diesen Krieg hat Russland angefangen. Ich war immer stolz auf die russische Kultur und unsere sportlichen Erfolge, aber dieser Krieg markiert eine Grenze zwischen früher und heute". Sie glaube, viele Russen seien ihrer Meinung, "aber sie haben Angst um sich und um ihre Familien, und deshalb schweigen sie." Schweigen ist für die derzeit wohl bekannteste Tänzerin Russlands keine Option. Sie liebe ihre Heimat, sagt Smirnowa, aber das Recht, sich frei und unabhängig äußern zu dürfen, sei ein hohes Gut.

"Jeder muss das für sich entscheiden, aber ich will sagen können, was ich denke. Weil es richtig ist." Wenn sie dafür ihr Land verlassen müsse, dann mache sie das. "Wenn ich nach Russland zurückgehen würde und dafür meine Meinung aufgeben müsste, dann könnte ich das nicht."

Hoffnung auf Rückkehr

Der Chef des Bolschoi-Balletts hat in den russischen Medien den Wechsel seiner Primaballerina nach Amsterdam bestätigt. Sie habe um ein Jahr Urlaub gebeten, behauptet Makhar Vazijev lapidar. Wie lange sie wirklich in den Niederlanden bleiben wird, kann Olga Smirnowa noch nicht sagen, aber sie hofft auf eine Rückkehr in ihre Heimat.

"Ich hoffe, dass die Grenzen sich wieder öffnen und Russen wieder ein- und ausreisen können. Und ich hoffe, dass der Ruf des russischen Volkes wiederhergestellt wird, dass es wieder besser wird, als es jetzt ist. Aber keiner weiß, was die Zukunft bringt, aber natürlich hoffe ich."

Ludger Kazmierczak, Ludger Kazmierczak, ARD Den Haag, 18.03.2022 13:35 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. März 2022 um 23:59 Uhr.